Скачать книгу

gegen mich getan, hätte dem Könige zu Ohren kommen können. Was sie ihm gesagt hatten, habe ich nicht erfahren. Da kam eines Tages der Feldwebel zu mir und teilte mir mit, dass der Herr Hauptmann in seiner besonderen Güte und Gnade mir eine Schullehrerstelle in Westfalen, also gar in meiner Heimat, ausgewirkt habe, und ich wurde mit einem Postfreipass hierher in den äußersten Winkel des Westfalenlandes nach dem Dorfe Heimsen als Lehrer geschickt.

      Da habe ich seitdem bleiben müssen. Mein Vater war schon gestorben, während ich noch Soldat in Potsdam war, und seine Stelle sofort wieder besetzt worden. Ich hatte kein Geld, um noch einmal auf das Seminar zu gehen und mich für eine bessere Stelle vorzubereiten.

      Und nun will ich Euer Hochwürden erzählen, wie ich zu dem Mädchen, der Henriette, gekommen bin. Sie war die Tochter meines Vorgängers in Heimsen Der arme Mann war mit Frau und Kindern am Nervenfieber gestorben; nur ein Kind war übrig geblieben, die Henriette; sie war damals zwei Jahre alt und —

      Aber ich muss Ihnen vorher sagen, worin die große Güte und Gnade bestand, mit welcher der Hauptmann von Steinau mir die Schulmeisterstelle in Heimsen verschafft hatte. Die Stelle trug und trägt mir Folgendes ein: ich habe freie Wohnung, jährlich vierzehn Taler Gehalt und gehe bei den Bauern der Gemeinde der Reihe nach herum, um mich des Mittags mit ihren Knechten und Mägden satt zu essen. Das ist alles. Die Gemeinde ist sehr arm. Meine Wohnung besteht in einer einzigen Stube im Schulhause, die mir zum Aufenthalte bei Tag und bei Nacht dient, und zugleich zur Küche, wenn ich etwas zu kochen habe.

      Für dieses Einkommen musste ich alle Tage Schule halten und musste ich damals das verlassene zweijährige Kind meines Vorgängers übernehmen, dessen sich keiner in der Gemeinde annehmen wollte und dessen Versorgung sie so von sich abschüttelte.

      Und jetzt wissen Sie, hochwürdiger Herr, wie ich zu dem Mädchen kam und sie zu mir. Wie sie mit mir und ich mit ihr hungerte, das erzähle ich Ihnen nicht.

      Wie sie aber immer mit der kindlichsten Liebe und Dankbarkeit an mir gehangen hat, das brauche ich Ihnen nicht mehr zu sagen; Sie haben es an der Freude gesehen, mit der sie mich hier empfing. Doch noch eins von ihr. Sie war meine beste Schülerin, die ich in der Gemeinde gehabt habe. Darum schien sie mir auch zu gut für das arme elende Dorf und ich brachte sie, als sie fünfzehn Jahre alt war, nach Warburg in die Stadt als Magd zu einer ordentlichen Herrschaft Sie war dort so anstellig, dass sie bald Kellnerin im Gasthofe werden konnte, und sie war so brav und solid, dass ich es vor zwei Jahren wagen durfte, sie als Kellnerin nach Kassel gehen zu lassen, wo sie einen leichtern Dienst und mehr Lohn hat. Ihr Kasseler Herr hat ihr in diesem Sommer hier die Restauration anvertrauen können.«

      Der Schullehrer schloss damit.

      »Und nun kenne ich Ihre lange Geschichte?« fragte der Domherr.

      »Ich fürchte, Sie war Euer Hochwürden auch langweilig.«

      »Hm, das könnte ich eben nicht sagen. Aber eine Frage noch, lieber Schulmeister. Haben Sie nachher nichts wieder von Ihrem Hauptmann von Steinau gehört?«

      »Nichts Gewisses. In den Winkel, in welchem mein Dorf liegt, kommt kein Fremder, zu den armen Bauern kommen keine Zeitungen. Aber im vorigen Jahre hatten einige Burschen des Dorfes den Feldzug nach Frankreich mitgemacht, die erzählten bei ihrer Rückkehr von einem General von Steinau, der in einer Schlacht schwer verwundet worden sei; sie meinten gehört zu haben, das Bein sei ihm abgeschossen.«

      »Bein für Bein! Zahn für Zahn!« warf der Dom hm hin.

      »Ich möchte es ihm nicht wünschen, hochwürdiger Heu. Wer weiß auch, ob dieser General mein ehemaliger Hauptmann war.«

      »Wie sah Ihr Hauptmann aus?«

      »Er war ein großer, schöner Mann.«

      »So, so! — Aber ich muss fort«, sagte der Domherr dann, nachdem er auf seine Uhr gesehen hatte. »Und da kommt ja auch Ihre Tochter wieder, mit der Sie lieber sprechen werden als mit mir. Sie sind ein braver Mann, Herr Schulmeister, wenn Sie auch die Bibel nicht ganz gründlich studiert zu haben scheinen. Zahn um Zahn, Auge um Auge, es steht nun einmal darin. Aber wie Sie es meinen, so mag es am Ende auch gut sein. Und Sie, mein liebes Kind«, wandte er sich darauf an die hübsche Kellnerin, die in die Laube zurückgekehrt war, »meine liebe Henriette, so heißen Sie ja wohl?«

      »Henriette Brandt«, sagte das Mädchen.

      »Also, meine liebe Henriette Brand, wir werden hoffentlich hier uns noch öfter wiedersehen und Freunde werden. Und hier für meinen Kaffee und für den Wein des Kutschers.«

      Er gab ihr einen von seinen Krontalern.

      »Der gnädige Herr bekommen zurück«, sagte die Kellnerin.

      »Eigentlich nicht, und ich komme ja auch heute Abend wieder hierher. Ah, da fällt mir noch eins ein — ich hätte es beinahe vergessen. In einer Stunde wird sich hier eine lustige Gesellschaft aus dem Bade einfinden. Sie wollen an der Sägemühle einen vergnügten Abend zubringen und gar tanzen. Tanzen, heute tanzen, heute, da Tausende und Tausende armer Menschen auf den Schlachtfeldern verbluten! O, o!«

      Die hübsche, frische Kellnerin war plötzlich blass geworden. Sie sah den Domherrn fragend an; sie hatte eine Frage an ihn auf den Lippen und nicht den Mut, sie auszusprechen.

      »He«, sagte der Domherr, »was fehlt Ihnen?«

      Da war ihr doch der Mut gekommen, die Frage zu tun.

      »Hat der gnädige Herr Nachricht von der Armee?«

      »He, he«, sagte der Domherr noch einmal, »ist das Herz da hinten bei der Armee? Auch hier eins?«

      Die Blässe des Mädchens hatte einer dunklen Glut Platz gemacht.

      Auch der Schullehrer sah sie verwundert an.

      »Ich erzähle Dir alles, Vater«, sagte sie zu diesem.

      »Haben Sie Nachrichten?« fragte sie so bittend wiederholt den Domherrn.

      »Ich weiß nur«, antwortete der Domherr, »dass vorgestern schon in der Frühe eine Schlacht gewesen sein muss und —«

      Er brach ab.

      »Und?« fragte das Mädchen erschrocken.

      »Hm, mein liebes Kind, mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten, hat noch niemals gut getan. Aber vorher auch von Ihnen ein klein wenig Wahrheit. Hat das Herz etwas da hinten bei der Armee?«

      »Einen Verlobten«, gestand sie errötend.

      »Und er ist?«

      »Unteroffizier bei der Landwehr.«

      Und zu dem Schullehrer sich wendend, setzte sie hinzu:

      »Louis Becker, Vater. Er war schon im Gasthofe zu Warburg mit mir zusammen.«

      »Zusammen?« fragte der Domherr.

      »Er war Kellner.«

      »So, so! Nun, ich hatte hinzufügen wollen, es scheine mir kein gutes Zeichen zu sein, dass wir heute, am dritten Tage, noch nicht einmal Nachricht haben. Eine Siegesbotschaft wäre schon da. Aber es ist nur meine Ansicht, liebes Kind, und lassen Sie sie nicht bis in Ihr Herz kommen. Trifft gute Nachricht ein, so bin ich der erste, der sie Ihnen hierher bringt.«

      Er gab dem Schullehrer und dem Mädchen die Hand und ging.

      »Die könnte heute nicht mehr tanzen«, sagte er im Gehen für sich. »Gisbertine kann es!«

      Er nahm seinen Weg nach der alten Sägemühle, zu der Fähre hinter derselben. Er wollte sich über die Diemel setzen lassen. Vom jenseitigen Ufer führte durch das Gebirge ein näherer Fußweg nach Ovelgönne. Der Domherr kannte in dem Gebirge Weg und Steg.

      Die Fähre fuhr mit ihm ab.

      Als sie nicht weit mehr von dem andern Ufer war, wurde dort der Huf eines Pferdes laut. Sehen konnte man nichts. Durch die Berge lief ein Hohlweg bis hart an den jenseitigen Fährplatz.

      Der Domherr blickte umso erwartungsvoller hin.

      Ein Pferd in dem Gebirge?

Скачать книгу