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den Ho­sen­ta­schen, die Zi­ga­ret­ten im Mund­win­kel – und scherz­ten über den Vor­gang. Der Tel­le­r­at war ihr Be­kann­ter, ein fi­xer Kerl, der Tel­le­r­at! Sie lach­ten mit auf­ge­bla­se­nen Ba­cken und wand­ten sich nach den Vor­über­ge­hen­den um, stolz auf ihre ei­ge­ne Mun­ter­keit.

      Frau La­nin stand vor ih­rer Hau­stü­re und sprach mit der Ge­würz­krä­me­rin von ne­ben­an, ei­ner klei­nen ha­ge­ren Frau mit rot­ge­rän­der­ten Au­gen, die im­mer Trau­er und nie einen Hals­kra­gen trug. Nur durch die halb­ge­öff­ne­te Türe ver­kehr­te Frau La­nin mit der Wit­we Tan­ke, denn die­se ge­hör­te nicht zur gu­ten Ge­sell­schaft. Sie wuss­te aber al­les, was vor­ging, und be­saß eine so kla­re, un­um­wun­de­ne Art, sich aus­zu­drücken, ei­nem je­den je­des zu­zu­trau­en, dass Frau La­nin oft solch ein Plau­der­stünd­chen an der Hau­stü­re ver­an­lass­te. Heu­te konn­te Frau Tan­ke ge­naue Nach­rich­ten über die jüngs­ten Er­eig­nis­se ge­ben. Sie hat­te den Ju­den, Ida, die Jü­din aus­ge­fragt. Sie wuss­te, dass die Tröd­ler­woh­nung für Rosa ge­schmückt wor­den war, wuss­te, wann Rosa zu kom­men, wann sie zu ge­hen pfleg­te.

      Klappe­kahl und Dr. Hol­te un­ter­hiel­ten sich auch über Rosa, wäh­rend sie lang­sam ne­ben­ein­an­der her­gin­gen. Der Dok­tor hat­te al­les vor­her­ge­se­hen, al­les, »ver­mit­telst ei­ner phy­si­schen Dia­gno­se – ver­ste­hen Sie«. Klappe­kahl hat­te hun­dert ähn­li­che Fäl­le er­lebt – in der Groß­stadt na­tür­lich. »Aber sie sieht bril­lant aus, die Ro­set­te«, wie­der­hol­te er im­mer wie­der und leck­te sich die Lip­pen.

      Wenn die Leu­te an der Herz­schen Woh­nung vor­über­gin­gen, blie­ben sie einen Au­gen­blick ste­hen, schau­ten zu dem ge­öff­ne­ten Fens­ter des zwei­ten Stockes em­por – und dort oben, zwi­schen den wei­ßen Vor­hän­gen, zwi­schen den Gera­ni­um­stau­den, schim­mer­te es wie das Stück ei­nes blon­den Zop­fes her­vor. Ei­ner zeig­te es dem an­de­ren. »Das ist sie.« – »Sie ir­ren, das ist nur der Wi­der­schein der Son­ne.« – »Nein doch! Ich seh es zu ge­nau. Es be­wegt sich ja. Sie ist es, wenn ich’s Ih­nen sage.«

      Sal­ly aber konn­te jetzt zu dem blon­den Ge­gen­stan­de zwi­schen den Gera­ni­um­blät­tern mit un­ge­misch­ter Ver­ach­tung hin­auf­bli­cken.

      Zweites Kapitel

      Die Leu­te auf der Stra­ße sa­hen ganz recht – Ro­sas Zöp­fe wa­ren es, die zwi­schen den Vor­hän­gen her­vor­schim­mer­ten. Sie selbst saß am Fens­ter, den Rücken an die Fens­ter­bank ge­lehnt, die Füße einen über den an­de­ren ge­lehnt und von sich ge­streckt. So hat­te sie den gan­zen Tag über da­ge­s­es­sen, mit kla­ren, weit of­fe­nen Au­gen auf die ge­gen­über­lie­gen­de Wand bli­ckend, die Lip­pen sehr rot in dem wei­ßen Ge­sicht.

      »Willst du nicht es­sen?« frag­te Ag­nes. »Iss et­was, Kind«, sag­te Herr Herz. »Nein – ich dan­ke«, er­wi­der­te Rosa sanft. Sie woll­te blei­ben, wo sie war. Das Le­ben wür­de nun wie­der sei­nen ge­wohn­ten Gang ge­hen – mög­lich! Sie moch­te je­doch nichts dazu tun. In die Ver­gan­gen­heit zu­rück­zu­schau­en wag­te sie nicht – in der Zu­kunft lag nichts, was des An­se­hens wert war – so war Rosa denn auf den Au­gen­blick an­ge­wie­sen, auf jene Au­gen­bli­cke, die ihr die Wand­uhr mit dem brum­mi­gen Tick­tack leer und gleich­för­mig ein­zähl­te. Sie fühl­te sich müde – zu müde selbst, um sehr un­glück­lich sein zu kön­nen.

      In der letzt­ver­gan­ge­nen Nacht, ja – da hat­te sie es er­fah­ren, was es heißt, recht von Her­zen elend sein! – Furcht­bar war es, wie ihr Va­ter in der Nacht vor ihr stand, bleich, mit em­por­ge­zo­ge­nen Au­gen­brau­en, das Ge­sicht selt­sam starr. Er beug­te sich zu Rosa her­ab und leuch­te­te ihr in das Ge­sicht: »Sie schläft nicht«, sag­te er zu Ag­nes, die to­des­bleich hin­ter ihm stand, als wäre sie eben aus ei­nem bö­sen Trau­me auf­ge­fah­ren.

      »Wir wer­den sie ent­klei­den müs­sen«, mein­te Ag­nes. Ihre Stim­me und auch die des Va­ters hat­ten einen ge­zwun­ge­nen, ru­hi­gen Klang. Sie spra­chen nicht lei­se, es war, als sprä­chen sie von je­man­dem, der sie nicht mehr hö­ren konn­te. – Sie rich­te­ten Rosa auf, ent­klei­de­ten sie – ohne eine Fra­ge, ohne ein Wort, das ihr galt; und doch wa­ren ihre Au­gen ge­öff­net, und sie hör­te al­les. Sie ward ins Bett ge­legt – warm zu­ge­deckt. Der Va­ter und Ag­nes rie­fen sich über sie hin­weg kur­ze An­ord­nun­gen zu. »Noch eine De­cke.« – »Zieh ihr die De­cke über die Schul­tern.« Es war, als sarg­ten sie eine Tote ein. Be­vor sie das Zim­mer ver­lie­ßen, leg­te der Va­ter sei­ne Hand sanft auf Ro­sas Kopf, und sie spür­te es durch das Haar hin­durch, wie kalt die­se Hand war und wie sie zit­ter­te. – Dann ward es still und dun­kel, nur durch die halb an­ge­lehn­te Türe fiel ein schma­ler Licht­streif in das Zim­mer. Dort, ne­ben­an, sa­ßen sie wohl auf und wach­ten.

      An­fangs lag Rosa ru­hig da; sie war müde, sie fror, sie glaub­te schla­fen zu kön­nen – und mit Be­ha­gen streck­te sie die Glie­der. Kaum je­doch schloss sie die Au­gen, als die Er­eig­nis­se des Ta­ges, die Stun­den und Le­bens­la­gen wirr in­ein­an­der­flos­sen. Es war ihr, als läge sie wie­der auf ih­rem Bett, um die Stun­de der Flucht zu er­war­ten; er­schro­cken fuhr sie auf, um sich nicht zu ver­spä­ten, und wenn sie sich – in der Stil­le und Fins­ter­nis rings­um – ent­sann, dass ja al­les aus war, dann ward sie von ver­zwei­fel­tem Schmerz ge­schüt­telt. Die Au­gen heiß von Trä­nen, fiel sie in die Kis­sen zu­rück. Sie stöhn­te, wie von kör­per­li­chem Schmerz ge­quält. Mit den Fü­ßen zer­stampf­te sie das Bet­tuch. Nein, sie konn­te es nicht er­tra­gen! Ihre Kis­sen mit den Ar­men zer­drückend, warf sie sich hin und her. Es war wie ein Kampf mit dem großen Leid, wel­ches ihr das Herz ab­drück­te, ein Rin­gen, das sie zu­wei­len in­ne­hal­ten ließ, Hän­de und Füße von sich ge­streckt – die Lip­pen ge­öff­net – stark at­mend.

      Plötz­lich stieg in ihr der Ge­dan­ke auf, wenn al­les dies nur Traum wäre; wenn sie auf­wach­te und ne­ben Am­bro­si­us im Post­wa­gen säße. Wenn al­les, al­les durch ein Wun­der an­ders, bes­ser wür­de und sie den schreck­li­chen Mon­tag nicht zu er­war­ten brauch­te. »Lass es – lass es ge­sche­hen«, be­te­te sie und rich­te­te sich auf, um um­her­zu­tas­ten – ob das Wun­der nicht voll­zo­gen sei. Nein – nein! Al­les blieb beim al­ten! Bit­ter ent­täuscht stütz­te Rosa die Stirn an die Wand. – Aber – we­nigs­tens muss­te eine große Krank­heit kom­men, viel­leicht konn­te sie ster­ben. Ihre Stirn brann­te, ihr Herz poch­te zum Zer­sprin­gen, die Glie­der wa­ren schwer wie Blei und wur­den von hef­ti­gem Frost ge­schüt­telt. Das war die Krank­heit – ohne Zwei­fel! Es wäre zu lä­cher­lich, de­mü­ti­gend und trau­rig, mor­gen auf­zu­ste­hen, sich an­zu­klei­den, als wäre nichts vor­ge­fal­len. Die Krank­heit konn­te über so man­ches hin­weg­hel­fen. Nun lag Rosa da und war­te­te. Zu­wei­len fass­te sie ihr Hand­ge­lenk, um sich zu über­zeu­gen, ob das Fie­ber schon da sei.

      Sie warf die De­cke von sich, sie moch­te sich nicht schüt­zen; sie fror – gut – um so bes­ser!

      Die Nacht­stun­den ver­ran­nen. Zwi­schen den Vor­hän­gen hin­durch drang ein staub­grau­es Däm­mern in das Zim­mer, ein trüb-nüch­ter­nes Licht, das schwe­re Trau­rig­keit um sich ver­brei­te­te.

      Da war er also, die­ser Tag, den Rosa fürch­te­te; fahl – grau – trost­los leer in sei­ner har­ten, gleich­mä­ßi­gen Däm­me­rung kroch er her­auf. Gro­ße Mü­dig­keit er­griff Rosa. Sie ver­steck­te ihr Ge­sicht in den Kis­sen, um den Tag nicht zu se­hen,

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