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verstanden habe, dann wollen Sie nicht hierbleiben?«

      Sonja schüttelte heftig den Kopf, dann fuhr sie sich über die Augen. Sie wollte jetzt nicht weinen, sie wollte nur weg von hier.

      »Sie wollen wirklich ohne Ihren Mann zurückfahren?« Mit gerunzelter Stirn trat Dr. Lindau einen Schritt zurück.

      »Es hat keinen Sinn, wenn ich hierbleibe.« Sie drehte den Kopf zur Seite. »Ich könnte natürlich meinen Mann um Geld bitten und mit dem Zug zurückfahren. Er müsste mir das Geld geben, nur, es käme dann wieder zu einem Streit.«

      Dr. Lindau gab sich keine Mühe, den Seufzer zu unterdrücken.

      »Frau Baldau, wegen eines Streits läuft man doch nicht gleich weg.«

      »Es ist mehr als ein Streit, Herr Doktor! Es hat wirklich keinen Sinn, wenn ich hierbleibe.« Sie gab sich einen Ruck, sah ihn an. »Sie fahren doch nach Bayern. Bitte, Sie müssen mich nur bis zur Grenze mitnehmen.«

      »Das ist doch völliger Unsinn«, brummte Dr. Lindau. »Gehen Sie doch zu Ihrem Mann.« Seine Stimme wurde fester. »Sprechen Sie sich mit ihm aus. Das wird sicher nicht der erste Streit bleiben. Glauben Sie mir, morgen lachen Sie darüber.«

      Er räusperte sich, zweifelte selbst an seinen Worten. Während er der jungen Frau ins Gesicht sah, fielen ihm Szenen der letzten Tage ein. Er hatte sie kein einziges Mal lachen gesehen.

      »Herr, Doktor, ich möchte so schnell wie möglich weg von hier. Ich möchte nicht mit einem wildfremden Mann mitfahren, zu Ihnen habe ich Vertrauen.«

      »Das ehrt mich!« Dr. Lindau konnte nicht verhindern, dass Ironie in seiner Stimme mitschwang. »Dann hören Sie mir jetzt aber auch zu!« Er legte ihr die Hand auf den Oberarm, führte sie so aus der Mitte der Halle.

      »Herr Doktor, ich kann nicht bleiben! Wirklich nicht!«

      Er merkte, dass sie zu zittern begann.

      »Kind, Sie können aber auch nicht etwas tun, was Sie später bereuen würden.«

      Sie schüttelte heftig den Kopf. Ihre Zähne bohrten sich in die Unterlippe, trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr die Augen überliefen.

      »Kind«, begann er erneut. »Es geht oft nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Dann müssen wir uns arrangieren. Das werden Sie noch lernen. Sie sind noch so jung. Ich weiß, wovon ich spreche. Jeder von uns hat schon einmal das Gefühl gehabt, weglaufen zu müssen.«

      »Es ist ganz anders, Herr Doktor!« Jetzt schluchzte sie.

      »Nichts ist so schlimm, dass man es nicht aus der Welt schaffen könnte. Man muss dies nur wollen.« Er tätschelte ihr jetzt die Wange. »Haben Sie etwas Mut, gehen Sie zu Ihrem Mann.«

      »Nein!« Es klang fest und entschlossen. Sonja trat dabei sogar einen Schritt zurück. »Es hätte wirklich keinen Sinn. Ich reise auf alle Fälle ab. Irgendwie komme ich schon von hier weg.« Sie streckte sich.

      »Das ist doch Unsinn! Natürlich können Sie mit mir mitfahren. Ich möchte nur nicht, dass Sie eine Dummheit machen.«

      »Es wäre eine Dummheit, wenn ich hierbleiben würde.«

      »Das verstehe ich nicht. Sie sind doch auf der Hochzeitsreise?«

      »Ich liebe meinen Mann auch und ich hoffe, dass auch er mich liebt, nur …« Ihre Stimme brach.

      »Wenn Sie wollen, dass ich mit Ihrem Mann spreche?«, bot Dr. Lindau an. Worauf ließ er sich da nur ein? Aber er konnte diese verzweifelte junge Frau doch nicht einfach hier stehen lassen.

      »Worüber wollen Sie mit meinem Mann sprechen?« Sonja streckte sich wieder. »Er hat sicher nichts dagegen, wenn ich abreise. So hat er Zeit, über alles nachzudenken. Jetzt, wo wir verheiratet sind, kann doch nicht alles anders sein?«

      Was sollte Dr. Lindau darauf sagen? Er konnte diese Frage nur beantworten, wenn er wusste, worum es ging. So schlug er vor: »Wollen wir uns nicht irgendwo hinsetzen?« Die Kollegen, die im Frühstücksraum auf ihn warteten, hatte er bereits vergessen.

      »Nein, Herr Doktor, ich habe nicht die Absicht, Ihnen etwas vorzujammern. Da müssen mein Mann und ich schon ganz allein durch. Jeder von uns braucht Zeit, um nachzudenken.«

      Das war einleuchtend. Vielleicht ließ sich die ganze Angelegenheit doch noch einrenken. Er war schon lange Arzt und in diesem Beruf schon öfter Beichtvater geworden. Auch war er gewohnt zu helfen, und so sagte er spontan: »Ich würde trotzdem gern mit Ihrem Mann sprechen. Wenn ich Sie mit nach Deutschland nehme, dann soll er es wenigstens wissen.«

      Sonja nickte. »Mein Mann ist auf dem Zimmer. Wenn Sie mitkommen wollen?« Sie sagte es gleichgültig, mit einem Achselzucken, und er wunderte sich über ihre Bereitschaft.

      *

      Dr. Lindau blieb an der Tür stehen, während Sonja Baldau auf ihren Mann zuging, der auf dem Bettrand saß, eine Zeitung in der Hand.

      »Moritz, ich habe dir gesagt, dass ich Dr. Lindau fragen werde, ob er mich mit nach Deutschland nimmt. Ich habe es getan. Nun ist Dr. Lindau hier. Sag ihm, dass du nichts dagegen hast, wenn ich mit ihm mitfahre.«

      Moritz ließ die Zeitung sinken. »Du hast es dir also nicht anders überlegt? Ich verstehe dich wirklich nicht. Aber ich wiederhole mich.« Er erhob sich.

      »Herr Baldau«, ergriff nun Dr. Lindau das Wort. Er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. »Ich fahre nach Deutschland zurück. Ihre Frau fragte mich nun, ob ich sie mitnehmen könnte. Natürlich kann ich das, aber …«

      »Wenn meine Frau unsere Hochzeitsreise für beendet ansieht, dann werde ich sie nicht zurückhalten.«

      Unwillig schüttelte Dr. Lindau den Kopf. Er hatte wirklich nicht die Absicht, in irgendein Eheproblem hineingezogen zu werden. Sonja jedoch sah ihn an. Sie zwang sich zu einem Lächeln.

      »Sie sehen nun, mein Mann hat nichts dagegen, wenn ich mit Ihnen mitfahre. Bitte, Herr Doktor, nehmen Sie mich mit. Von Lindau aus fahre ich mit dem Zug weiter.«

      »Ich finde es nach wie vor vernünftiger, Sie bleiben hier und sprechen sich dann mit Ihrem Mann aus. Streit wird es immer wieder einmal geben.«

      »Es handelt sich um keinen Streit.« Moritz Baldau nagte kurz an seiner Unterlippe. »Jedenfalls haben wir keine Meinungsverschiedenheiten. So etwas könnte wirklich behoben werden. Nach einem Ehekrach soll die Versöhnung immer am schönsten sein, so hörte ich es jedenfalls. Da Sonja an so einer Versöhnung nicht interessiert ist, kann es sich nicht um einen Ehekrach handeln. Wir scheinen uns einfach nicht mehr zu verstehen. So verhält sich ein Ehepaar, das zwanzig Jahre verheiratet ist.« Verächtlich warf er den Kopf in den Nacken.

      Dr. Lindau verstand nicht, was er damit meinte. Er sah zu der jungen Ehefrau hin, sah, dass sich ihre Wangen mit einem glühenden Rot überzogen hatten.

      »Gut, Sonja! Beenden wir die Hochzeitsreise. Ich bleibe noch einige Tage hier. Mal sehen, wie es dann in Rosenheim ist.«

      »Sie versuchen nicht, Ihre Frau zurückzuhalten?« Dr. Lindau sah von einem zum anderen.

      »Wozu?« Moritz’ Mundwinkel bogen sich nach unten.

      Dr. Lindau konnte nur erneut den Kopf schütteln. So sah wirklich kein jung verheiratetes Ehepaar aus.

      »Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frau mitnehmen. Ich weiß wirklich nicht, was sie hier noch soll.« Moritz wandte sich ab.

      »Herr Baldau!« Dr. Lindaus Miene war nun ärgerlich geworden. »Es wäre sicher besser, wenn Sie mit Ihrer Frau noch einmal über Ihre Probleme sprechen würden. Ich möchte Sie nicht weiter stören.«

      »Ob Sie gehen, oder bleiben, Herr Doktor, dies ändert nichts an der Situation. Jedenfalls hat das Ganze hier keinen Sinn.« Moritz sah sich im Zimmer um, als sähe er es zum ersten Mal.

      »Sie hören es ja!« Jetzt waren es Sonjas Mundwinkel, die sich nach unten bogen. »Mein Mann und ich sind uns einig. Sie müssen auf mich nicht lange warten. Ich habe gleich

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