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ein Durcheinander auslösen, wenn du dich jetzt noch mit jeder Patientin eingehend unterhalten wolltest. In wenigen Minuten ist Schichtwechsel. Denk daran, auch die Schwestern wollen ihren Feierabend.«

      »Womit wir wieder beim Thema sind. Daher hast du dir nicht einmal Zeit genommen, dich zu setzen. Gut, dann auf zum Gespräch mit Frau Holl und Frau Killian. Du begleitest mich doch?«

      Dr. Westphal nickte. »Ich habe sowieso die Absicht, heute in der Klinik zu schlafen.«

      »Gut! Dann können wir unseren Rundgang machen, wenn das Geschirr abgeräumt ist.« Mit zufriedener Miene ging Dr. Lindau zur Tür.

      »Das kommt überhaupt nicht infrage! Du suchst Frau Holl auf und dann noch Frau Killian. Anschließend begleite ich dich höchstpersönlich zum Ausgang. Du hast sicher noch nicht deine Unterlagen zusammengesucht und den Koffer gepackt.«

      Der Chefarzt zuckte die Achseln, er gab sich geschlagen. Er hatte wirklich nicht die Absicht, den Abend in der Klinik zu verbringen. So nahm er sich vor, Anja für ihre Fürsorge ein kleines Geschenk aus der Schweiz mitzubringen. Dass sie dies nicht falsch verstehen würde, wusste er.

      *

      Eigenhändig zog Dr. Anja Westphal die Bettdecke der Patientin höher. Sie schenkte ihr dabei ein Lächeln. Die Frau hatte Angst. Das war jedoch kein Wunder, sie war noch sehr jung, und sie erwartete Zwillinge.

      Die Hand von Rita Killian kam unter der Bettdecke hervor. »Bitte, Frau Doktor, bleiben Sie hier! Die Wehen, sie haben schon begonnen. Ich spüre schon deutlich das Ziehen.«

      »Das kann noch Stunden dauern. Die Wehen haben noch nicht richtig eingesetzt.« Die Frauenärztin drückte der werdenden Mutter kurz die Hände. »Ich komme gleich noch einmal zurück.« Daraufhin nickte sie dem Chefarzt zu.

      »Alles Gute«, sagte Dr. Lindau. »Sie sind bei Kollegin Westphal in den besten Händen. Wenn ich zurück bin, werden mich Ihre Zwillinge bereits mit kräftigen Stimmen begrüßen.«

      Rita Killian verzog ihren Mund zu einem kläglichen Lächeln. Ihr Blick huschte vom Chefarzt zu der Frauenärztin. »Sie kommen wirklich zurück? Bitte!« Sie wollte sich aufsetzen, da war jedoch wieder das Ziehen, das sie aufstöhnen ließ. »Ich spüre es, die Kinder …« Ihre Augen wurden groß.

      »Sie müssen Geduld haben«, sagte Dr. Lindau. »Ihr Muttermund muss sich erst öffnen. Es wird kaum vor morgen zur Geburt kommen, aber Sie müssen keine Angst haben. Es wird ständig jemand in Ihrer Nähe sein.«

      »Ich bin gleich wieder da«, versicherte Dr. Westphal noch einmal. »Wir sprechen dann über die Geburt. Ich werde versuchen, Ihnen jede Frage zu beantworten.« Sie ging zur Tür, hielt diese einladend auf. So folgte Dr. Lindau ihr.

      Dr. Westphal schloss die Tür wieder. »Ich denke, ich komme ohne dich hier zurecht, du kannst nach Hause gehen und dich auf deine Reise vorbereiten.«

      »Und du willst die ganze Nacht hierbleiben?« Dr. Lindau sah sie mit gerunzelter Stirn an.

      »Ich werde hier schlafen. Wegen Frau Holl hatte ich dies sowieso vor. So kann man mich sofort rufen, wenn bei Frau Holl die Wehen wider Erwarten doch einsetzen sollten. Das gleiche gilt natürlich auch für Frau Killian. Ich bin jedoch auch deiner Ansicht, sie hat noch eine Menge Zeit. Selbst wenn die Fruchtblase platzt, wird es noch Stunden dauern.«

      Dr. Lindau nickte.

      Dr. Westphal kreuzte die Arme vor der Brust. »Wenn du weiterhin Bedenken hast, dann wird es wohl besser sein, ich suche mir in einer anderen Klinik Arbeit.«

      »Was soll der Unsinn?« Im ersten Augenblick war der Chefarzt wirklich verwirrt, dann verstand er jedoch. Er lächelte, hob die Hände. »Schon gut! Ich bin schon weg!« Er wollte noch etwas sagen, schluckte es dann jedoch hinunter und drehte sich um … Feierabend! Er würde nach Hause gehen, sich in den Lehnstuhl setzen und sich noch einmal in seinen Vortrag vertiefen.

      *

      Dr. Lindau war es gelungen, sich vom Alltag zu lösen. Die Fahrt durch die herbstliche Landschaft hatte ihm gutgetan. Er hatte sich Zeit gelassen und war daher ausgeruht und in bester Stimmung im Tagungshotel, das an der Uferpromenade lag, eingetroffen. Er ließ sich eine Erfrischung aufs Zimmer bringen, zog sich um, dann war er bereit zu einem Bummel. Bevor er sich mit Kollegen traf, wollte er durch die Altstadt streifen. Er erinnerte sich noch gut an die Kathedrale San Lorenzo, die die Altstadt überragte.

      Während er die Zitronade austrank, drangen aus dem Nebenzimmer erregte Stimmen zu ihm. Den Stimmen nach zu schließen, handelte es sich um ein männliches und ein weibliches Wesen. Dr. Lindau hatte kein Interesse daran zu lauschen, so ging er ins Bad. Kurze Zeit darauf trat er hinaus in den Flur. Zur gleichen Zeit wurde die Tür zum Nebenzimmer von innen aufgerissen, eine junge Frau stürmte heraus. Sie nahm ihre Umgebung überhaupt nicht wahr und prallte gegen Dr. Lindau. Dieser konnte nicht mehr ausweichen. Er griff jedoch zu und verhinderte so, dass die Fremde das Gleichgewicht verlor.

      Die Hände noch immer auf die Oberarme der Frau gelegt, sah er ihr nun ins Gesicht. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Die Tränenspuren auf den Wangen waren nicht zu übersehen.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Dr. Lindau automatisch.

      »Verzeihen Sie!« Die junge Frau war sehr verwirrt. Sie musste aufschnupfen. »Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen.«

      »Ich wohne nebenan, das heißt, ich bin vorhin erst eingezogen.«

      »Oh!« Die junge Frau schluckte. »Dann haben Sie gehört …« Eine tiefe Röte überzog ihre Wangen. »Mein Mann und ich …« Sie geriet ins Stocken. »Haben wir Sie gestört? Waren wir sehr laut?«

      Ehe Dr. Lindau antworten konnte, wurde die Zimmertür weiter aufgestoßen: »Sonja, mit wem sprichst du?« Die Eifersucht in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. Dr. Lindau wandte sich ihm zu.

      »Wer sind Sie? Was wollen Sie von meiner Frau?« Der junge Mann streckte sich, trat dicht an den Chefarzt heran.

      Ein amüsiertes Lächeln huschte über Dr. Lindaus Gesicht. »Ich will nichts von Ihrer Frau. Ich kenne sie nicht, wir haben uns gerade das erste Mal gesehen.«

      Der junge Mann wurde unsicher. Er sah zu seiner Frau hin.

      »Moritz, der Herr ist ein Hotelgast. Ich bin gegen ihn gerannt.«

      »Liebling, was musst du auch davonlaufen? Es war doch nicht so gemeint. Ich verstehe dich nur nicht.« Der Mann, der von seiner Frau Moritz genannt worden war, streckte seine Hände aus.

      »Du …, du …« Da waren wieder die Tränen. Die junge Frau konnte nicht weitersprechen. Sie wandte sich ab, aber da legte ihr der Mann den Arm um die Schultern.

      »Bitte, lass mich!«, stammelte die junge Frau verzweifelt. Sie hatte Dr. Lindau den Rücken zugekehrt. Ihr Gesicht verbarg sie zwischen den Händen.

      »Ich nehme an, dass ich nicht gebraucht werde«, sagte Dr. Lindau.

      Der junge Mann fuhr herum. »Verzeihen Sie, wir sind auf Hochzeitsreise.«

      »So!« Dr. Lindaus Augenbrauen zogen sich etwas in die Höhe.

      »Wir sind seit genau einer Woche verheiratet. Mein Name ist Baldau, das ist meine Frau Sonja.«

      »Entschuldigen Sie die Belästigung«, hauchte Sonja.

      »Nicht der Rede wert! Es war ein Zufall, dass wir zur gleichen Zeit die Zimmer verließen. Ich wollte mir nur noch etwas die Füße vertreten. Da wir in den nächsten Tagen Zimmernachbarn sein werden, mein Name ist Dr. Lindau.«

      »Ich habe schon gehört, dass in diesem Hotel ein Ärztekongress stattfindet«, sagte Moritz Baldau. Er ließ dabei jedoch seinen Arm nicht von der Schulter seiner Frau. »Sie gehören also dazu. Sie kommen auch aus Deutschland, nicht wahr?«

      »Stimmt! Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Am Abend gibt es einen Empfang, und da muss ich wieder zurück sein.«

      Er ging auf Abstand, wollte nicht mit den Problemen dieses jungen Paares konfrontiert werden.

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