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      Er wies mit der Hand auf die zerknüllte Depesche. Er kommandierte den Doktor wie einen Hund, und Dr. Glossin gehorchte wie ein geprügelter Hund. Jetzt saß er auf dem angewiesenen Sessel, dicht neben Cyrus Stonard, und entfaltete ganz mechanisch den Papierball.

      »Lesen Sie!«

      Dr. Glossin las die Depesche, die er heute schon so oft gelesen hatte.

      »Was haben Sie mir gesagt? Und was sagen Sie jetzt?«

      Der Arzt war unfähig, eine zusammenhängende Antwort zu geben. Cyrus Stonard sah, daß er ihm die Möglichkeit zur Sammlung geben müsse. So befahl er weiter:

      »Geben Sie mir noch einmal einen genauen Bericht über die Vorgänge in Linnais. Nicht gefärbt, absolut genau!«

      Dr. Glossin raffte sich zusammen. Er begann zu sprechen und wurde ruhiger, je weiter er in seinem Bericht kam.

      »Die Engländer waren zur selben Zeit am Platze wie ich. Als ich den englischen Führer kennenlernte, war ich über seine Naivität erstaunt. Ich wollte ihn zurückrufen lassen, aber die Zeit war zu kurz. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, die Expedition zu verhüten …«

      Cyrus Stonard streifte den Arzt mit einem kalten Blick.

      »Das kommt davon, wenn die Werkzeuge anfangen, selbst zu denken. Ihnen hatte ich den Befehl gegeben, die drei zu vernichten. Ihnen! … Nicht den Engländern. Ich habe Ihre Eigenmächtigkeit nach Ihrem ersten Bericht nicht gerügt, weil Sie mir einen Erfolg meldeten. Einverstanden war ich nicht damit.

      Warum habe ich Sie zu meinem Werkzeug gewählt? … Weil ich mir solche bewährte Kraft für manche Geschäfte nicht entgehen lassen durfte. Wenn Ihr Talent nicht ausreicht, drei Menschen vom Erdboden verschwinden zu lassen, wenn Sie dazu die Engländer gebrauchen … Mann, warum haben Sie die Engländer auf die drei gehetzt, anstatt selbst zu gehen?«

      Dr. Glossin stammelte: »… Interesse des Landes … Rücksicht auf die Neutralen … diplomatische Schwierigkeiten.«

      »Unsinn … Dummheit … was geht mich Schweden an? Denken Sie, ich hätte die Möglichkeit, die Neutralität dieses Ländchens zu verletzen, nicht in meinen Kalkul eingezogen?«

      Er blickte dem Doktor scharf in die Augen.

      »Sie haben Furcht gehabt! Erbärmliche, feige Furcht vor den drei Leuten! Darum wollten Sie den Fuchs spielen. Andere Leute die Kastanien aus dem Feuer holen lassen … So ist diese … Gemeinheit zustande gekommen … Merken Sie wohl auf! Sie stehen von heute ab unter Überwachung. Sie wissen, was das heißt. Der Verdacht einer Verräterei, eines Ungehorsams, und Sie verschwinden. Denken Sie daran, wenn Sie mir jetzt antworten.

      Ich wünsche genau Ihre Meinung über diese drei Menschen zu wissen. Ob sie noch am Leben sind … oder ob diese Depesche etwa von einer anderen Stelle kommt. Und wenn sie leben, was sind ihre Pläne, wie groß ist ihre Macht, wie weit reicht sie? Werden sie sich in dem kommenden Kampfe auf eine Seite stellen? Überlegen Sie sich genau, bevor Sie antworten. Es geht um Ihren Hals.«

      Dr. Glossin wußte, daß der Präsident-Diktator nicht scherzte. Eine unbefriedigende Antwort … ein Druck auf den Klingelknopf am Schreibtisch und er erlebte den nächsten Stundenschlag nicht mehr. Er sammelte seine Gedanken und sprach langsam Wort für Wort abwägend:

      »Nein! Es ist ausgeschlossen, daß eine dritte Stelle in Betracht kommt. Ich war Augenzeuge der Katastrophe in Linnais, und ich sage doch, es sind die drei, die die Depesche sandten.«

      »Wie konnten sie entkommen? Sie mußten doch schließlich fürchten, eines Tages ausgehoben zu werden. Sie konnten sich durch einen unterirdischen Gang sichern, der irgendwo in den Bergen oder am Fluß ins Freie mündet.«

      »Ich habe daran gedacht. Aber dann müßte er schon lange bestanden haben. Die drei sind erst seit wenigen Wochen in Linnais. Die Anlage eines Ganges braucht Monate, wenn nicht Jahre. Immerhin bleibt der unterirdische Gang die nächstliegende Erklärung. Es könnte sein, sie hätten ihn mit ihren phänomenalen Hilfsmitteln in dieser kurzen Zeit geschafft … oder … sie sind …«

      Dr. Glossin preßte sich mit beiden Händen die Stirn zusammen, als ob ihm der Schädel unter der Gewalt des neuen Gedankens springen wollen. Er schwieg.

      Cyrus Stonard trieb ihn zum Weiterreden: »… oder sie sind? Sprechen Sie doch!«

      »Oder sie haben unsere Augen geblendet und sind unsichtbar durch unsere Reihen gegangen!«

      Cyrus Stonard betrachtete den Doktor zweifelnd.

      »… unsichtbar? … Das wäre der Teufel selbst! … Sich unsichtbar machen? … Es geht um Ihren Kopf, Herr Dr. Glossin! Tischen Sie mir keine Märchen auf. Sie werden alt. Ich mußte es Ihnen schon einmal sagen.«

      Dr. Glossin sah den Präsident-Diktator ruhig an. Ohne Furcht vor der Gewalt, die jeden Moment sein Leben zerstören konnte. Mit weltabgewandten, weltentrückten Blicken. Dann sprach er. Erst leise und stockend. Dann immer bestimmter und mit gehobener Stimme:

      »Was Ihnen Kindermärchen scheint, ist für manchen schon längst Wahrheit und Tatsache. Sie sind der Mann der Realitäten. Der Mann, der seine Politik mit Blut und Eisen macht. Es ist Ihre Stärke, aber … es wird Ihre Schwäche, wenn Kräfte und Dinge aus einer anderen Sphäre an Sie herantreten. Es gibt Wissende, die über diese Dinge nicht lächeln, sondern … ich selbst, Naturwissenschaftler, Skeptiker, ich glaube eher, daß sie aufrecht und unsichtbar durch unsere Reihen gegangen sind, als daß sie sich wie die Maulwürfe in einen unterirdischen Gang verkrochen haben.«

      Der Präsident-Diktator zerknitterte die Sayville-Depesche mit energischem Griff von neuem.

      »Mögen sie gemacht haben, was sie wollen! Ich halte mich an die realen Tatsachen. Die Macht existiert. Sie ruht in den dreien. Sie hat in Sayville angesprochen. Weshalb warnen sie, wenn sie handeln können? Weshalb haben sie dann nicht auch bei der Geschichte vor Sydney eingegriffen und das Gefecht verhindert?«

      »Das ist meine Hoffnung. Sie haben es nicht gekannt. Ihre Macht reicht nicht so weit. Noch nicht so weit. Sonst hätten sie es verhindert. Vorläufig bluffen sie nur. Die Warnung war ein Bluff …«

      »Es geht um den Kopf, Herr Dr. Glossin. Sagen Sie nur, was Sie mit Ihrem Kopf vertreten können.«

      »Es ist meine feste Überzeugung, Herr Präsident. In ihrer ganzen Tragweite ist die Erfindung erst im Entstehen begriffen. Nur so finde ich eine Erklärung für das Nichteingreifen in die Affäre vor Sydney. Nur so kann ich es verstehen, daß sie warnen, anstatt zu verbieten. Die Fassung der Depesche ist für mich der unumstößliche Beweis, daß die Entwicklung der Macht irgendwo stockt.«

      Der Präsident-Diktator war den Ausführungen Glossins mit wachsender Spannung gefolgt.

      »Ich glaube Ihnen. Die Folgerung ist einfach. Den Engländern an den Leib! So schnell wie möglich! An Stellen, die der Macht heute noch unerreichbar sind. In Indien … In Südafrika … vielleicht … jedenfalls so schnell wie möglich, denn eines Tages sind sie doch so weit.«

      Cyrus Stonard drückte auf den Knopf. Ein Adjutant kam.

      »Die Herren vom Kriegsrat! In einer halben Stunde!«

      Er sprach wieder zu Dr. Glossin.

      »Unsere Pläne müssen geändert werden. Wir wollten England in England schlagen. Jetzt müssen wir es am Äquator versuchen. Das verdanke ich Ihrer Neigung für unkontrollierbare Privatunternehmungen.«

      Cyrus Stonard blickte den Arzt an, wie eine Schlange ihr Opfer betrachtet. Mit kaltem, klarem Blick. Lange Sekunden bewegten sich die Lider seiner Augen nicht, und Dr. Glossin fühlte das Blut in seinen Adern gefrieren. Dann fuhr der Präsident-Diktator langsam fort:

      »Es gibt ein Mittel für Sie, um sich vollständig zu rehabilitieren. Fangen Sie mir die drei! Wenn Sie sie mir lebendig bringen, will ich Sie belohnen, wie noch niemals ein Mensch von einem anderen belohnt worden ist. Wenn Sie sie tot bringen, soll Ihr Lohn noch überreich sein. Alle Machtmittel, die ein Land von dreihundert Millionen bieten kann, stehen

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