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ehrwürdig und wenig veränderlich. Es gab Speck mit dicken Erbsen, wie ihn die Seeleute Nelsons schon bei Aboukir und Trafalgar bekommen hatten und wie ihn aller Voraussicht nach auch noch die Enkel und Urenkel der hier Schmausenden erhalten würden. Nur so weit hatte sich der soziale Gedanke auch in der australischen Flotte durchgesetzt, daß die Offiziere das gleiche erhielten wie die Mannschaften, also in diesem Falle ebenfalls Speck mit dicken Erbsen.

      So saßen sie und speisten. Die Mannschaften zu Hunderten. Die Offiziere zu Dutzenden. Nur der Kapitän allein. Eben jenem alten Brauche folgend, der im Kapitän eines Schiffes einen Halbgott erblickt, den kein anderer Sterblicher essen sehen darf.

      Also saß Kapitän George Shufflebotham, der Kommandant der »Tasmania«, allein in seiner Kabine und verzehrte das kräftige, aber Durst erregende Mahl. Es lag in seinen persönlichen Gewohnheiten begründet, daß er dabei den Whisky nur wenig mit Soda verdünnte. Gerade als er das letzte Stück Speck mit einem guten Schluck Whisky vom Stapel ließ, kam der Läufer in seine Kabine und legte ihm die Funkendepesche auf den Tisch.

      Kapitän Shufflebotham kaute und las. Schluckte und schlug mit der Faust auf den Tisch.

      Mit der Depesche in der Hand verließ er seine Kabine und ging in das Mannschaftsdeck, wo die Leute gerade mit den Resten der Mahlzeit beschäftigt waren. Winkte den ersten besten heran.

      »Kannst du lesen, mein Junge?«

      »Ich denke ja, Herr Kapitän.«

      »Dann lies mal! Lies das Ding so laut vor, daß alle es hören können!«

      Mit einem Blick hatte Jimmy Brown den Inhalt der Depesche überflogen und begriffen. Stellte sich in Positur und brüllte mit Riesenstimme: »Achtung! … Ruhe! … Verlesung auf Befehl des Herrn Kapitäns …!«

      Als Jimmy Brown geendet hatte, durchbrauste ein ungeheurer Jubel das Zwischendeck. Kapitän Shufflebotham beobachtete mit triumphierender Miene die Wirkung der Verlesung. Dann winkte er Jimmy Brown beiseite, nahm die Depesche zurück und sprach angelegentlich mit ihm.

      Jimmy Brown hörte zu. Erst ruhig. Dann mit weit aufgerissenen Augen, als verstünde er nicht, was der Kapitän sage und wolle. Dann mit beginnendem Verständnis und schließlich mit kaum verhehltem Vergnügen. Der Kapitän ging in seine Kabine zurück. Jimmy Brown ließ Erbsen Erbsen sein und machte sich auf dem Deck zu schaffen. Auf Deck, und zwar an der Flaggenleine. Ganz langsam stieg der Union Jack, der im Topp des Gefechtsmastes flatterte, herunter. Kurze Zeit hatte Jimmy Brown danach an einer Stelle der Flaggenleine zu tun. Er bastelte, knotete und knüpfte, während ein paar Kumpane ihn nach allen Seiten deckten.

      Dann kam die Flaggenleine wieder in Bewegung. Sie stieg. Aber sie nahm eine eigenartige und von keiner seefahrenden Nation anerkannte Flagge mit empor. Es war ein großer Scheuerlappen, der dort majestätisch in die Höhe ging, und in einem Drittel der Mastlänge folgte ihm der Union Jack. Als die Leine zur Ruhe kam und von Jimmy Brown festgeknotet wurde, flatterte der Lappen munter im Topp, und tief unter ihm, beinahe Halbmast, stand die Flagge Großbritanniens.

      Es war Unfug … Grober Unfug … Wenn die Mannschaften einmal mit der Beköstigung oder sonstwie unzufrieden waren, hatten sie solchen Lappen an die Flaggenleine geknotet. Die Götter mögen wissen, wie dem Kapitän Shufflebotham in der Whiskylaune der Gedanke kam, diese alte Geschichte wieder aufzuwärmen und zu einer offenkundigen Verhöhnung der britischen Flagge zu benutzen. Es genügt, daß es geschah und auf den anderen Schiffen Nachahmung fand. Auch auf der »Viktoria«, der »Alexandra«, der »Kaledonia« und allen anderen hatte man die Depesche des Parlamentsbeschlusses erhalten und war tatenlustig. Vergebens warfen sich die Offiziere ins Mittel und verboten das Manöver. Es grenzte so ziemlich an Meuterei. Überall wurden die Vorgesetzten zurückgedrängt, und auf allen Schiffen der australischen Flotte flatterte nach wenigen Minuten ein übler Lappen über dem Union Jack.

      Vergeblich sandte Admiral Morison von seinem Flaggschiff, der »Melbourne«, eine dringende Depesche nach der anderen und drohte, die Schiffskommandanten vor ein Kriegsgericht zu bringen. Sie beteuerten die Unmöglichkeit, diese sonderbaren Flaggen gegen den Willen der gesamten Mannschaften niederzuholen. Bis auf den Kapitän Shufflebotham. Der antwortete überhaupt nicht. Er lag auf dem Sofa seiner Kabine und schlief den Schlaf des Gerechten.

      Aber die eigenartige Flaggenparade war von mehr als einer Stelle gesehen worden. Auch Kommodore Blain, der Chef des englischen Geschwaders, hatte sie bemerkt. Bei der Entfernung von sechzehn Kilometer konnte er auch mit einem guten Glase nur erkennen, daß eine einfarbige dunkle Flagge über dem Union Jack saß. Darum schickte er einen Flieger aus, der sich das Ding in der Nähe besehen sollte. War entrüstet, als er hörte, daß die ältesten und zerrissensten Schauerlappen in den Toppen der australischen Flotte über der geheiligten Flagge Englands wehten. Dann griff er zum Telephon und rief den Admiral Morison selber an.

      Die Unterredung war auf englischer Seite von bemerkenswerter Kürze, aber inhaltvoll. Admiral Morison betonte, daß seine Flotte sich im Zustande halber Meuterei befände, daß sein eigenes Schiff den Unsinn nicht mitmache, daß er bemüht bleibe, wieder ordnungsmäßige Zustände herzustellen. Die Antwort des Admirals Blain war kurz und schroff.

      »Es ist drei Viertel eins. Wenn die Lappen noch um eins hängen, schieße ich.«

      Die telephonische Verbindung brach ab. Admiral Morison rief den Kapitän und die Offiziere seines Flaggschiffes. Es war in zwölf Minuten eins, als sie bei ihm eintraten. Von ihnen hörte er, daß das englische Geschwader die Anker aufgenommen habe und nordwärts über die Kimme dampfe. In fliegender Hast benachrichtigte er sie von der Unterredung mit dem Engländer. Zehn Minuten vor eins hatten sie die Lage begriffen. Natürlich … die englische Flotte segelte auf Gefechtsentfernung von dreißig Kilometer irgendwohin, wo sie im Falle eines Kampfes die australischen Flieger erst ausfindig machen mußten, während Admiral Blain wußte, wo er den Gegner zu suchen und zu treffen hatte.

      Neun Minuten vor eins … acht Minuten vor eins.

      Die Schiffe noch jetzt zum Streichen dieses verdammten Schauerlappens zu bringen? … Ganz unmöglich. Seit fast einer Stunde versuchte man es ja vergeblich. Dann wenigstens nicht wehrlos zugrunde gehen. Sich nicht hier vor Anker in Grund schießen lassen. Es war sechs Minuten vor eins, als vom Admiralschiff an alle Einheiten der Flotte der Befehl kam, schnellstens Anker aufzunehmen und gefechtsklar zu machen.

      Niemals wurde ein Befehl in der australischen Marine schneller befolgt. So schwerhörig sie früher auf den einzelnen Schiffen gewesen waren, so hellhörig wurden sie jetzt. Man hatte das Verschwinden der englischen Flotte beobachtet und machte sich seinen Vers darauf.

      Vier Minuten vor eins waren alle Anker gelichtet. Drei Minuten vor eins lief die australische Flotte, die einzelnen Geschwader in Kiellinie, mit voller Maschinenkraft seewärts Kurs Süd zu Südost.

      Admiral Morison sah auf die Uhr. Eine Minute vor eins. Er trat in den Kommandoturm. Immer noch die schwache Hoffnung im Herzen, daß der Engländer seine Drohung nicht wahrmachen würde. Daß es ihm selber gelingen würde, die Flotte unter den Kanonen der Botany-Bai in Sicherheit zu bringen. Der Kampf mit der doppelt so starken englischen Flotte war zu aussichtslos, als daß er ihn irgendwie wünschen konnte. Der Kapitän der »Melbourne« war hinsichtlich der Engländer anderer Meinung.

      Schon schwirrten englische Flieger über der Kimmung. Und dann kamen die ersten englischen Geschosse. Zunächst keine Treffer. Aber jeder Schuß gab Veranlassung zu Korrekturen, und immer näher bei den Schiffen schlugen die schweren Geschosse in die See, dort wüste und wütende Wasserberge emporreißend.

      Die Aussichten, ein schnell und im Zickzackkurs fahrendes Schiff auf dreißig bis vierzig Kilometer Entfernung direkt zu treffen, waren natürlich minimal. Dafür aber hatte die Technik dieser Tage Geschosse geschaffen, welche das alte Prinzip der bereits im Weltkriege benutzten Wasserbomben weiter ausbauten. Sie explodierten erst vierzig Meter unter Wasser, warfen dann aber eine Woge auf, welche jeden in fünfhundert Meter Nähe befindlichen Panzer zum Kentern bringen mußte. Die Kriegstechnik hatte, wie immer, auf den verbesserten Angriff einen verbesserten Schutz folgen lassen. Die Kriegsschiffe waren mit stabilisierenden Kreiseln ausgerüstet, die den kippenden Wogen Widerstand zu leisten vermochten. Bis zu einem gewissen

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