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ihre Hand auf die seine. »Klaus, du bist krank! Ich hörte von dem Unfall, der dich traf. War froh, als ich hörte, daß du vom Schacht weggegangen bist. Wärst du doch meiner Warnung gleich gefolgt. Du bist krank, Klaus! Ich fühle, wie dein Arm zittert. Wir werden jetzt zurückgehen. Ich werde dich begleiten, bis …«

      »Nein, Juanita! Nein! Ich bin nicht krank. Der Unfall dort … keine Bedeutung. Und doch!« Er faßte sie mit beiden Händen an den Schultern. »Du! Sage mir, was tatest du eben? Sag es mir! War das Absicht? Wolltest du das?«

      Seine Finger krampften sich in das weiche Fleisch ihrer Schultern, daß sie ächzend niedersank.

      »Klaus! Klaus! Du tust mir weh. Was tat ich, daß …«

      Sie war auf die Knie gesunken. Ein leises Wimmern kam aus ihrem Munde. Er kämpfte gegen den Drang, sich hinunterzubeugen, sie an sich zu reißen.

      »War es Absicht?« Er schrie es. »Sage es! Sage nein! Oder ich muß verzweifeln.«

      Tredrup beugte sich hinab und legte seine Hand um ihr Haupt.

      »Juanita! Sage es! Sage es …«

      Und dann fühlte er, wie ihr Haupt sich emporhob. Wie ein Hauch klang es.

      »Nein, Klaus!«

      »Nein?! O Gott, ich danke dir! Juanita!«

      Er riß sie in die Höhe und hielt sie in den Armen.

      »Nein! Juanita! Wie danke ich dir für dies kleine Wort. Wenn du wüßtest, was es für mich bedeutet.«

      Minuten verrannen. Er spürte am Beben ihrer Schultern die Bewegung, die in ihr stürmte. Er fühlte, wie die Erregung matter wurde, wie sie sich immer schwerer an seine Brust legte, die Arme seinen Nacken umschlangen. Er stand und vergaß … vergaß alles. Eine weiche Hand strich über sein Gesicht. Ein Kuß brannte auf seinen Lippen. Ein verzehrender Brand kam über ihn. Sein Arm preßte sie an sich. Und dann war sie ihm entglitten.

      Ein leiser Hauch: »Klaus, Klaus, du …«, drang an sein Ohr. Ein leichter Schritt verhallte im Dunkel des Weges, und dann war er allein.

      Die Sirenen heulten über der Grubenstadt Wibehafen: Zweite Schicht!

      Doch was war? Die Menge, die die Schächte umlagerte, dachte nicht an Einfahren. Sie brandete hin und her. Wirre Reden … gestikulierende Arme … laute Drohworte. Die Menschenmenge wuchs mit jeder Minute.

      Alles, was von der ersten Schicht zu Tage fuhr, gesellte sich dazu. Ein Arbeiter sprang auf eine Lore. Die Massen drängten sich um ihn. Seine laute, gellende Stimme drang weit über den Zechenplatz.

      »Kameraden! Keine Stunde länger hier! Lügner, die da drüben …« Er deutete mit der Faust nach dem Direktionsgebäude. »Wir wußten es besser, von Anfang an. Der Einbruch auf Sohle vier hat bewiesen, daß wir Recht hatten. Was mit Black Island geschah, wird sich hier wiederholen. Spitzbergen wird sich heben. Die Schächte werden zerquetscht werden, die Sohlen zusammenbrechen – ein Grab für die tausend Kameraden, die da drinstecken! Weg von hier! Wie sich die Gelegenheit bietet!«

      Tosendes Beifallsgebrüll von allen Seiten verschlang die letzten Worte.

      »Zu Schiff! Zu Schiff!« schrie die Menge.

      Im Verwaltungsgebäude waren die Direktoren versammelt. Blässe lag auf mehr als einem Gesicht. Das Erwartete war eingetreten.

      Die Tür öffnete sich. Der Chefingenieur trat herein. Mit einem Ruck wandten sich alle Köpfe ihm entgegen. Er genoß das unbegrenzte Vertrauen der Belegschaft. Sein Eingreifen allein konnte in letzter Stunde noch eine Wendung zum Guten bringen.

      Von allen Seiten flogen ihm Fragen entgegen. Ein Kopfschütteln ließ sie verstummen.

      »Unmöglich, meine Herren! Keine Macht der Erde, kein Gott bringt die Leute wieder in den Schacht. Das natürliche Einbrechen des Hangenden auf Sohle vier hat ihnen den letzten Rest der Besinnung geraubt.«

      Die Bestimmtheit, mit der diese Worte gesagt wurden, ließ jede weitere Frage verstummen. Der Chefingenieur sprach weiter.

      »Es heißt sich in das Unabänderliche fügen, meine Herren, und unsere Hoffnung auf eine vielleicht recht ferne Zukunft zu richten. Meine einzige Sorge ist, daß bis dahin die Notstandsarbeiten fortgeführt werden. Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, das dazu nötige Personal halten zu können.

      Das wäre die Lage, soweit sie uns betrifft. Es wäre noch die Frage zu erledigen, wie dem zu erwartenden Ansturm auf die einlaufenden Schiffe am besten zu begegnen ist. Bei der Kopflosigkeit der Leute ist zu erwarten, daß sie die ersten ankommenden Schiffe in Massen stürmen werden. Es könnten sich da Szenen abspielen, die zum Chaos führen. Es wird unsere Aufgabe sein, die Flucht zu organisieren.«

      Murmeln … Fragen … Sprechen … die Abneigung war deutlich zu merken.

      »Jawohl, meine Herren! Unsere Sache ist es …« Die Worte, mit Schärfe gesprochen, ließen alle verstummen. »Ich werde die Aufgabe übernehmen und auch die Verantwortung tragen. Mit Hilfe der Besonnenen werde ich den Abtransport organisieren. – Noch einmal, meine Herren«, der Chefingenieur wandte sich zum Gehen, »fügen wir uns in das Unabänderliche. Der Sturm wird sich legen … früher oder später …«

      Als der Chefingenieur aus dem Verwaltungsgebäude auf den Zechenplatz trat, sah er noch eben den Redner von der Lore springen.

      Sah die Massen in Bewegung geraten und dem Ausgang zudrängen.

      Sein Auge suchte nach älteren, ihm vertrauten Leuten, mit denen er dem Chaos steuern könnte.

      Da! Was war das? Eine neue Gestalt auf jenem Wagen. Der Chefingenieur kniff die Brauen zusammen. Er? Der von da drüben?

      Vom alten Leuchtturm … Was wollte der?

      Der Chefingenieur schüttelte den Kopf. Dafür? Oder dagegen? Was hat der Mann vor? Er sah von der erhöhten Steintreppe aus, wie die Massen in nächster Nähe des neuen Redners sich wandten, zurückwandten, wie die Köpfe sich zu ihm hoben. Sah, wie der Blick des Mannes über den Zechenplatz schweifte. Glaubte auch selbst davon getroffen zu sein … glaubte auch selbst eine Wirkung zu verspüren … unerklärlich … rätselhaft … bannend … zwingend.

      Und dann sah er, wie die Massen sich immer dichter um die Lore zusammenkeilten. Sah, wie der da oben die Lippen öffnete. Sah, wie vom Zechentor her ein Rückstrom kam, sah geballte Fäuste sich heben und sich senken. Sah, wie die an seinem Munde hingen und seinen Worten folgten … und Stille eintrat … und er auch zu hören begann und er auch stand und lauschte.

      Was war das? Was geschah hier? War es wirklich jener von da drüben? Ja, er war’s! Ein Mensch … war’s ein Mensch? Er hielt die Augen zu. Seine Gehörnerven spannten sich zum äußersten. Und er hörte alles, was jener wundersame Mensch da oben sprach. Sein Kopf senkte sich immer tiefer. Die Töne, die von da oben kamen, drangen tief in sein Innerstes ein. Verwirrend … betäubend … beruhigend. Er fühlte sich mit allen Fasern des Seins gezogen … gepackt. Er fühlte einen Willen, stärker, als er ihn je gefühlt, der ihn zwang … fesselte … willenlos machte. Und er stand und hörte …

      Der Redner schien geendet zu haben. Die Stimme da oben verstummte. Der Chefingenieur hob den Kopf, richtete seine Augen auf die Gestalt des Redners. Sah, wie jener die Rechte ausstreckte … zum Schachtturm wies.

      »Und nun geht an eure Arbeit!«

      Kein gebieterischer Ton … kein Befehl … einfach, ruhig … fast gelassen klangen die Worte. Der Chefingenieur stand einen Augenblick starr. Was? Noch immer die Gestalt da oben auf dem Wagen. Die Rechte nach dem Zechenhaus deutend. Die Blicke langsam im Kreise über die Gesichter der Belegschaft gleitend. Eine kurze Spanne tiefster Stille und Ruhe. Dann wandten sich die Köpfe. Die Massen gerieten in Bewegung. Da … dort … überall lösten sich einzelne Gruppen und strebten dem Förderturm zu.

      Am nächsten Morgen saß Uhlenkort in der Halle seines Hotels beim Lunch. Eine kurze, fast überall gleichlautende Notiz in allen Zeitungen: Unfall im Zirkus Briggs. Er legte die Blätter zur Seite und sah nach

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