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als einer Tarantel. Und noch heute bin ich versucht, meine Phobie zu rationalisieren und zu rechtfertigen. Es ist wie Owen Barfield mir einmal sagte: „Das Schlimme an den Insekten ist, dass sie wie französische Lokomotiven sind – die ganze Mechanik sitzt an der Außenseite.“ Die Mechanik – das ist es, was mir zu schaffen macht. Ihre eckigen Gliedmaßen, ihre ruckartigen Bewegungen, ihre trockenen, metallischen Geräusche – all das lässt mich entweder an lebendig gewordene Maschinen denken oder an Lebewesen, die zu Mechanismen degeneriert sind. Man könnte hinzufügen, dass wir im Bienenstock und im Ameisenhügel die beiden Dinge voll umfassend verwirklicht sehen, die mancher für unsere eigene Spezies am meisten fürchtet: die Herrschaft des Weibchens und die Herrschaft des Kollektivs.

      Ein Umstand im Zusammenhang mit der Geschichte dieser Phobie ist vielleicht berichtenswert. Als ich viel später, als Jugendlicher, Lubbocks Ants, Bees, and Wasps las, entwickelte ich für kurze Zeit ein regelrecht wissenschaftliches Interesse an Insekten. Es wurde bald von anderen Lerngebieten verdrängt; doch während meiner entomologischen Phase war meine Furcht fast verschwunden und ich neige zu der Auffassung, dass eine wirklich objektive Wissbegier stets diese reinigende Wirkung haben wird.

      Ich fürchte, die Psychologen werden sich nicht damit zufriedengeben, meine Insektenangst mit dem zu erklären, was eine schlichtere Generation als ihre Ursache diagnostizieren würde – nämlich ein gewisses abscheuliches Bild in einem meiner Kinderbücher. Darin stand ein winziges Kind, eine Art Däumling, auf einem Pilz und wurde von unten her von einem Hirschkäfer bedroht, der viel größer war als es selbst. Das war schon schlimm genug; aber es kommt noch schlimmer. Die Fühler des Käfers bestanden aus separaten Pappstreifen, die an einer Nabe befestigt waren. Indem man nun einen teuflischen Mechanismus auf der Rückseite betätigte, konnte man sie dazu bringen, sich zu öffnen und zu schließen wie eine Pinzette: Schnipp-schnapp – schnipp-schnapp – ich sehe es vor Augen, während ich schreibe. Wie eine gewöhnlich so umsichtige Frau wie meine Mutter ein solches Gräuel im Kinderzimmer dulden konnte, ist schwer zu begreifen. Es sei denn (denn jetzt regt sich ein Zweifel in mir), dieses Bild ist selbst das Produkt eines Albtraums. Aber ich glaube es nicht.

      1905, in meinem siebenten Lebensjahr, fand die erste große Veränderung in meinem Leben statt. Mein Vater, dessen Wohlstand wuchs, wie ich annehme, beschloss, das halbe Doppelhaus, in dem ich geboren war, zu verlassen und sich ein viel größeres Haus zu bauen, außerhalb der Stadt, wo damals noch freies Land war. Das „neue Haus“, wie wir es noch Jahre später nannten, war selbst nach meinen heutigen Maßstäben groß; für ein Kind wirkte es weniger wie ein Haus als wie eine Stadt.

      Mein Vater, der mehr Talent hatte, sich betrügen zu lassen, als irgendjemand sonst, den ich je kannte, wurde von den Bauunternehmern nach Strich und Faden betrogen; die Rohre funktionierten nicht, die Schornsteine funktionierten nicht, in jedem Zimmer zog es.

      Uns Kindern machte freilich nichts von alledem etwas aus. Für mich war das Wichtige an diesem Umzug, dass er meinen Lebensrahmen erweiterte. Das neue Haus ist fast so etwas wie eine Hauptfigur in meiner Geschichte. Ich bin ein Produkt von langen Fluren, leeren, sonnendurchfluteten Zimmern, der Stille in den oberen Räumen, den Dachbodenzimmern, die ich in Einsamkeit erforschte, des fernen Gurgelns der Wasserbehälter und Rohre und dem Geräusch des Windes unter den Dachziegeln. Und ebenso ein Produkt unendlich vieler Bücher. Mein Vater kaufte alle Bücher, die er las, und gab keines davon je wieder her. Es gab Bücher im Arbeitszimmer, Bücher im Wohnzimmer, Bücher in der Garderobe, Bücher (zwei Reihen tief) in dem großen Bücherregal auf dem Treppenabsatz, Bücher in einem der Schlafzimmer, Bücher in Stapeln so hoch wie meine Schultern auf dem Speicher, wo der Wasserbehälter war; Bücher aller Art, in denen sich jedes vorübergehende Interesse meiner Eltern spiegelte, lesbare und unlesbare, für ein Kind geeignete und ganz und gar ungeeignete. Nichts davon war mir verboten. An den schier endlosen verregneten Nachmittagen holte ich mir einen Band nach dem anderen aus den Regalen. Ich konnte stets ebenso gewiss sein, ein neues Buch zu finden, wie ein Mann, der auf einer Wiese spazieren geht, gewiss sein kann, einen neuen Grashalm zu finden. Wo all diese Bücher gewesen waren, bevor wir in das neue Haus einzogen, ist ein Problem, das mir noch nie als solches aufgefallen ist, bevor ich mich daran machte, diesen Absatz zu schreiben. Ich habe keine Antwort darauf.

      Draußen war „die Aussicht“, die zweifellos der Hauptgrund für die Auswahl dieses Bauplatzes gewesen war. Von unserer Haustür aus blickten wir über weite Felder auf den Belfast Lough hinab und darüber hinaus auf die lang gezogene Kette der Berge am Antrim-Ufer – Divis, Colln, Cave Hill.

      Das war in den weit zurückliegenden Tagen, als Großbritannien noch der Spediteur der Welt und der Lough voller Schiffe war; sehr zur Freude von uns Jungen, besonders aber meines Bruders. Der Klang einer Dampfersirene in der Nacht beschwört für mich immer noch meine ganze Jungenzeit herauf. Hinter dem Haus, grüner, flacher und näher als die Berge von Antrim, waren die Holywood Hills, aber sie gewannen meine Aufmerksamkeit erst viel später. Was zuerst zählte, war die Aussicht nach Nordwesten; die unendlichen Sommersonnenuntergänge hinter den blauen Bergkämmen und die heimfliegenden Krähen. Mitten in diese Welt begannen die Schläge der Veränderung zu fallen.

      Zuerst wurde mein Bruder auf ein englisches Internat verschickt und verschwand so für den größten Teil eines jeden Jahres aus meinem Leben. Ich erinnere mich gut an die überschwängliche Freude, die ich empfand, wenn er in die Ferien nach Hause kam, aber nicht an eine entsprechende Niedergeschlagenheit, wenn er wieder abreiste. Sein neues Leben änderte nichts an unserer Beziehung zueinander. Ich wurde inzwischen weiterhin zu Hause unterrichtet; in Französisch und Latein von meiner Mutter und in allen anderen Fächern von Annie Harper, einer hervorragenden Hauslehrerin. Damals sah ich in dieser sanften und bescheidenen kleinen Dame ein ziemliches Schreckgespenst, aber nach allem, woran ich mich erinnere, bin ich sicher, dass ich ihr unrecht tat. Sie war Presbyterianerin; und ein langatmiger Vortrag, den sie eines Tages zwischen Rechnen und Aufsätzen einschob, ist in meiner Erinnerung das erste Ereignis, das mir die andere Welt auf eine Weise nahebrachte, dass sie mir als wirklich erschien.

      Doch es gab viele andere Dinge, über die ich mehr nachdachte. Mein wirkliches Leben – oder das, was in meiner Erinnerung als wirkliches Leben erscheint – spielte sich zunehmend in der Einsamkeit ab. Nicht dass ich nicht genug Leute gehabt hätte, mit denen ich mich unterhalten konnte: Da waren meine Eltern, mein Großvater Lewis, wenn auch frühzeitig alt und taub geworden, der bei uns wohnte; die Hausmädchen und ein etwas trinkfreudiger alter Gärtner. Ich glaube, ich war eine unerträgliche Quasselstrippe. Doch wenn ich wollte, konnte ich mich fast immer in die Einsamkeit zurückziehen, entweder irgendwo im Garten oder im Haus. Inzwischen konnte ich lesen und schreiben; ich hatte allerhand zu tun.

      Was mich zum Schreiben trieb, war eine ausgesprochene manuelle Ungeschicklichkeit, unter der ich seit jeher leide. Ich schreibe sie einem körperlichen Defekt zu, den mein Bruder und ich beide von unserem Vater geerbt haben; wir haben nur ein Gelenk im Daumen. Das obere Gelenk (das vom Nagel weiter entfernte) ist zwar zu sehen, aber das ist nur Blendwerk; wir können es nicht bewegen. Doch was der Grund auch sein mag, die Natur hat mich von Geburt an mit einer völligen Unfähigkeit bedacht, irgendetwas herzustellen. Mit Feder und Stift konnte ich durchaus umgehen und meinen Krawattenknoten bekomme ich immer noch so gut hin, wie ein Männerkragen es sich nur wünschen kann, doch im Umgang mit Werkzeug, Kricketschlagholz oder Gewehr, mit Manschettenknöpfen oder Korkenziehern bin ich immer völlig hilflos gewesen. Das war es, was mich zum Schreiben zwang. Ich sehnte mich danach, Dinge zu basteln, Schiffe, Häuser, Maschinen. Viele Bögen Pappe und Scheren ruinierte ich, nur um immer wieder in Tränen meine hoffnungslosen Versuche aufzugeben. Als letzten Ausweg nahm ich meine Zuflucht dazu, stattdessen Geschichten zu schreiben. In was für eine Welt des Glücks ich damit eintreten durfte, ahnte ich freilich nicht. Mit einem Schloss in einer Geschichte lässt sich mehr anfangen als mit dem schönsten Schloss aus Pappe, das je auf einem Kinderzimmertisch stand.

      Bald beanspruchte ich einen der Dachspeicherräume für mich und machte ihn zu „meinem Arbeitszimmer“. An den Wänden hingen Bilder, die ich entweder selbst gemalt oder aus den bunten Weihnachtsausgaben der Zeitschriften ausgeschnitten hatte. Dort hatte ich meine Feder, mein Tintenfass, meine Schreibhefte und meinen Malkasten; und dort –

       Welch größres Glück kann ein Geschöpf befallen, als sich in Freiheit freun zu können?

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