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Kafais gab es einen Otairio-Tempel, in den er gemeinsam mit Ryu im vergangenen Jahr eingedrungen war, um Opfergaben zu stehlen. Doch dieser hier war wesentlich größer und beeindruckender. Das Dach auf dem zweistöckigen Bauwerk lief spitz zusammen und war aus roten Backsteinen gefertigt, die einen beinahe schon Ehrfurcht gebietend schönen Gegensatz zu den weißen Marmorwänden bildeten.

      Erst jetzt fiel Darius die Widersprüchlichkeit auf. Denn der Tempel mit seiner weißen Fassade und den baumdicken Säulen vor dem Eingang passte nicht nur rein optisch nicht zu der verwilderten Umgebung des Waldes, welcher einen von ständigem Verfall und Erneuerung geprägten Kreislauf des Lebens bildete. Nein, das Gebäude war sauber. Kein Moos hatte sich an der Mauer abgesetzt, kein Unkraut kämpfte sich zwischen den Fugen der Terrasse hervor und nicht ein Vogel nistete in den breiten, hölzernen Dachgiebeln.

      Hatte Darius bis eben noch vermutet, in dem Tempel eine verlassene Ruine vorgefunden zu haben, so musste er jetzt erkennen, dass er einem Fehlurteil aufgesessen war. Das Gebäude, welches einer unüberschaubaren Menge an Personen Unterschlupf bieten mochte, wurde eindeutig benutzt. Gerade in dem Moment als er Therry darauf aufmerksam machen wollte, bewies sich seine Vermutung urplötzlich, als eine Handvoll Männer in schwarzen Roben aufgeregt miteinander sprechend und gestikulierend um die Ecke kamen. Weite Kapuzen verhüllten ihre Gesichter.

      »Verstecken!«, zischte Therry nur. Und keinen Moment zu früh zog sie Darius hinter einen der letzten Bäume, die vor der gewaltigen Tempelanlage standen. Die Männer schienen sie nicht bemerkt zu haben, was wohl damit zusammenhing, dass sie viel zu aufgeregt und mit sich selbst beschäftigt waren, um einen Blick zur Seite zu werfen, wo sich Darius und Therry mehr schlecht als recht hinter einem viel zu dünnen Baum versteckten.

      »Hinterher?«, fragte Darius knapp, als die schwarz gekleideten Personen die große, hölzerne Eingangspforte öffneten.

      »Ja, aber vorsichtig«, flüsterte Therry, die sich gerade erheben wollte, als jemand aus dem soeben geöffneten Tor trat. Blutüberströmt und mit einem Schwert in der Hand stürmte die Gestalt ins Freie. Die Schwarzgekleideten, vier an der Zahl, waren offenbar genauso erschrocken wie Darius und Therry.

      Sofort rannte der Bewaffnete auf die Priester – wenn es denn welche waren – zu und streckte zwei von ihnen mit dem Schwert nieder, noch bevor sie überhaupt reagieren konnten. Erst als die anderen beiden die Flucht ergriffen und der Angreifer hinter ihnen hersetzte, erkannte Darius den Mann, dessen Gesicht von Blut und einer weiteren schwarzen Flüssigkeit besudelt war.

      Es war sein eigener Meister.

       Die Rückkehr der Alben

      »Skal, was tust du?«, rief Darius vollkommen entsetzt, da er nicht glauben konnte, was sich soeben vor seinen Augen abgespielt hatte. Sicher wusste er noch nicht alles über die Iatas, wie Therry ihm in den letzten zwei Tagen zur Genüge bewiesen hatte. Aber selbst in der kurzen Zeit seiner Ausbildung zum Elitekämpfer für Recht und Ordnung wusste Darius doch, dass man keine Unbewaffneten angreifen durfte. Schon gar nicht durfte man sie ohne Warnung einfach mit dem Schwert durchbohren.

      »Nein, hör auf!«, hörte er sich selbst schreien, als ein weiterer Mann zu Boden fiel. Zielsicher mit einem Wurfmesser von Skal in den Tod geschickt. Darius dachte gar nicht darüber nach, dass Skal womöglich einen Grund für dieses Massaker haben konnte, er wollte seinen Meister einfach nur am Morden hindern.

      Der schien ihn erst jetzt erst zu bemerken, denn plötzlich rief er mit tiefer Stimme: »Darius, halt ihn auf!«, als der letzte der vier sich ihm näherte. Aber der junge Krieger dachte gar nicht daran und ließ den Schwarzgekleideten, der kaum zwei Armlängen an ihm vorbeilief, unbescholten entkommen. Zumindest hatte er es vorgehabt, denn Therry schien die Anweisung eines Iatas-Meisters, sei es auch nicht der eigene, blind zu befolgen.

      Nicht hinterfragend, warum Skal voller Blut war oder wieso er wehrlose Menschen tötete, fegte sie dem Flüchtenden mit einem halbkreisförmigen Tritt die Beine weg. Als er sich gerade wieder erheben wollte, drehte sie ihm kurzerhand den Arm auf den Rücken und versetzte ihm fast schon beiläufig einen Aufwärtshaken in die Nieren.

      »Was macht ihr beide hier? Wir haben euch doch angewiesen, uns nicht zu folgen!«, schimpfte Skal erzürnt, wobei er jedoch kaum die Stimme erhob. Rasch trat er näher und schlug dem Fremden, noch während des Sprechens, mit einem beidhändig geführten Schwertstreich sauber den Kopf ab.

      Therry, die von einem Schwall schwarzen Blutes, der aus dem Stumpf des noch kurz zuckenden Körpers schoss, getroffen wurde, schien es wenig auszumachen. Aber Darius musste sich bei dem Anblick beinahe übergeben. Dass er es nicht tat, lag vermutlich nur daran, dass er kaum etwas im Magen hatte. Es wunderte ihn zwar, dass das Blut des Geköpften nicht rot war, sondern schwarz wie die Nacht, doch im Moment beschäftigten ihn weit dringendere Fragen. Fassungslos starrte er seinen Meister an, dem er bis eben noch den größten Respekt gezollt hatte. Jetzt empfand er für ihn nur noch Ekel.

      »Was soll das? Was hast du getan?«, schrie Darius ihn unentwegt an, während er Skal am Kragen schüttelte.

      »Das kann ich dir alles erklären. Später. Aber jetzt beruhige dich erst mal«, entgegnete ihm der Schlächter, mit noch immer gesenkter Stimme und sah sich nach allen Seiten hin um. »Wir müssen jetzt als Allererstes so schnell wie möglich hier weg. Kommt schon!«

      »Wo ist Irys?«, fragte Therry forsch und ließ den toten Körper, dessen komplettes Gewicht nun auf ihr lastete, fallen wie ein Stück Unrat.

      »Tot«, entgegnete Skal ihr knapp. »Und wenn du nicht willst, dass ihr Opfer für umsonst war, dann kommst du jetzt mit.«

      »Tot?«, hauchte Therry ungläubig und wurde mit einem Mal stocksteif. Mit ihrem bedingungslosen Gehorsam war es schlagartig vorbei. Abwechselnd starrte sie Skal und das Gebäude an. »Das ist unmöglich ... wie ...?«

      »Das erkläre ich euch alles später«, zischte Skal, während er die beiden jeweils an einem Handgelenk greifen und mit sich ziehen wollte. Aber sowohl Darius als auch Therry wichen zurück. Der eine ungläubig über das, was Skal eben getan, die andere über das, was er gesagt hatte. Doch in diesem Moment zeigte sich zumindest, weshalb Skal es plötzlich so eilig hatte. Unverhofft drangen aus der noch immer geöffneten Pforte mit einem Mal ein gutes Dutzend gerüsteter Krieger hervor.

      Ob sie von dem wütend schreienden Darius, dem Fehlen der schwarz gekleideten Männer oder von den dreien, die in einem so ungünstigen Winkel standen, dass man sie von drinnen sehen musste, angelockt wurden, konnte auch im Nachhinein keiner mehr sagen. Doch sahen sie sich nun innerhalb von wenigen Lidschlägen einer wütenden Kriegstruppe gegenüber, die den Tod ihrer Leute rächen wollte.

      War es Wut, Reflex oder der einfache Instinkt zu überleben, jeder der drei wandte sich wie selbstverständlich mit erhobener Waffe den Angreifern entgegen. Auch wenn die Vertrauensbasis zwischen ihnen soeben stark erschüttert worden war, so wussten doch jeder von ihnen, dass sie nur gemeinsam eine Chance hatten.

      Darius, sicher der Unerfahrenste, wenn auch der Mutigste von ihnen, setzte wild entschlossen auf den ersten Angreifer zu. Er war sich sicher, jeden Moment wieder mit unerklärlichen Kräften und Kampfgeschick über sich selbst hinauszuwachsen. Doch vergebens, der angehende Iatas ließ sein Schwert auf das des Gegners treffen und gleich zweierlei überraschte ihn.

      Zum einen passierte gar nichts mit ihm. Er fühlte zwar Aufregung in sich aufsteigen, doch nicht mehr und nicht weniger als bei einer gewöhnlichen Straßenschlägerei. Das Gefühl, in Trance zu fallen und die Kontrolle über seinen Körper abzugeben, blieb aus. Die andere Überraschung, die ihn sogar noch mehr schockierte, war sein Gegner. Es handelte sich nicht um einen Menschen, sondern um die Sagengestalt, von der er erst kürzlich erfahren hatte. Ein Alb.

      Darius hatte in seinem Leben bisher erst einmal einen Elfen gesehen – es war schon Jahre her, aber trotzdem erinnerte er sich, als wäre es gestern gewesen. Die ebenmäßige Haut, die große, schlanke Gestalt, das schöne Gesicht, welches dieser Rasse zu eigen war und die spitz zulaufenden Ohren. Dieser hier sah genauso aus. Jedoch mit zwei Unterschieden. Das makellose Antlitz wirkte keinesfalls friedlich und erhaben, sondern war zu einer

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