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Stimme hebt sich wohltuend von dem aufgeregten Geschnatter ab. Auch Felix‘ Witze helfen dabei, den Druck in meinem Magen etwas zu dämpfen.

      Gemeinsam müssten wir es doch schaffen.

      Am nächsten Morgen sind die während der Nacht schwarz getönten Fensterscheiben gerade erst wieder hell geworden, da informiert uns der Lautsprecher, dass das Frühstück für uns ausfällt. Als Adoptenschüler der Sektorengruppen A und B müssen wir nüchtern bleiben, weil uns heute die Nomen-Implantate eingesetzt werden.

      Hungern. Implantate. Operationen. Verspricht ja ein toller Tag zu werden! Ich schlüpfe in die seidenweiche und dabei federleichte Kleidung, kämme mir rasch die Haare und schleiche zusammen mit Mila auf den Gang hinaus, um Felix zu suchen, den die Ansage bestimmt auch schon geweckt hat. Wir finden ihn beim Wasserspender, wo er auf die Endlosschleife aus dem Lautsprecher horcht.

      „Nomen?“, fragt er. „Was soll das sein? Na, es reimt sich immerhin schon mal auf Omen.“

      „Das steht für Nanotechnologische Optimierung, Medizin und Nachrichten“, erklärt Mila.

      Überrascht dreht sich Felix zu ihr. Dann lacht er und boxt sie freundschaftlich in die Seite. „Mila, das wandelnde Lexikon!“

      Sie lächelt scheu zurück und errötet. „Das kennst du bestimmt aus den Nachrichten. Das Nomen-Implantat ist schließlich das erfolgreichste Produkt von WERT. Hier im Regenring kriegen das schon die Kinder. Soll wirklich praktisch sein! Man kann damit Filme und Nachrichten anschauen oder selber welche verschicken. Die Daten werden direkt in deinem Blut gespeichert.“

      „In meinem Blut?“ Felix reißt die Augen auf.

      Mila stutzt. „Kennst du das nicht? Das gibt es doch schon seit zwanzig Jahren! – Echt jetzt? Das ist dir neu?“ Sie schüttelt verwundert den Kopf. „Na ja, die Grundidee ist, dass DNA-Ketten nicht nur unser Erbgut, sondern beliebige Informationen speichern können. Das Nomen schreibt seine Daten also auf Aminosäure-Fäden, schüttet sie ins Blut seines Trägers und filtert sie zum Auslesen wieder heraus.“

      Felix kräuselt die Nase. „Und der ganze Müll verstopft uns dann die Adern, oder was?“

      „Da wird gar nichts verstopft“, beruhigt ihn Mila. „Die Datenpäckchen sind viel, viel kleiner als deine Zellen. Die passen überall durch. Und dann enthält jedes Blutströpfchen deine kompletten Daten!“

      Unbehaglich rubble ich an meinem Rauring. Bei dem Gedanken, bald als lebender Datenspeicher herumzulaufen, wird mir ganz mulmig. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

      Unsere Gruppe ist in einer Stunde zur Untersuchung dran. Bis dahin heißt es warten. Felix erinnert sich an eine abgelegene Sitzecke, die er bei unserer Ankunft entdeckt hat. „Zu dritt übersteht man die Wartezeit leichter“, meint er. Mila und ich zucken mit den Schultern und folgen ihm ans Ende der Galerie, die rund um die Trainingsräume verläuft.

      „Hier ist es schön“, sagt Mila seufzend, setzt sich in einen der blattförmigen Schalensessel und zieht die Knie an die Brust. Erst jetzt bemerke ich, wie rot und geschwollen ihre Augen sind. Der Verlust ihrer kleinen Irri macht ihr schwer zu schaffen.

      Selbst Felix sieht geknickt aus. Eine Weile starren wir schweigend aus dem Fenster. Draußen herrscht dichter Nebel. Wo gestern alles in lebhaftem Grün geleuchtet hat, ist heute alles grau in grau.

      Doch Felix kann nie lange stillsitzen. Schon im nächsten Augenblick bewegen sich seine Hände in der Hosentasche. Ich kann ihm an der Nasenspitze ablesen, dass er etwas ausheckt. Verschwörerisch lehnt er sich zu Mila herüber. „Möchtest du ein Geheimnis hören? Aber du darfst es niemandem verraten. Du musst schweigen wie ein Grab.“

      Milas Antwort wartet er gar nicht erst ab. „Emony hat einen Lügendetektor eingebaut“, raunt er ihr zu. „Wenn sie auch nur die kleinste Schwindelei hört, brennen ihr buchstäblich die Ohren, und ihr Hals zeigt Alarmstufe Rot.“

      Ich stöhne laut auf. Felix prahlt mit meinem Lügenfeuer, als ob es eine Superkraft wäre. Dabei bereitet es mir nichts als Ärger. Sogar bei meinen eigenen Flunkereien bricht es aus. Niemand kann sich vorstellen, wie nervig das ist.

      Ungläubig schüttelt Mila den Kopf, daher schlägt Felix einen Test vor. Mila soll zwei Geschichten erzählen, eine wahre und eine falsche. „Unser Rotkehlchen wird die Lüge erkennen“, verkündet er voller Vorfreude.

      Mila schnieft und wischt sich über die Nase. „Mir fällt gar nichts ein.“

      „Das ist doch ganz einfach! Erzähl uns, wo du herkommst. Und zwischendurch flunkerst du ein bisschen … Ich zum Beispiel komme aus dem Grünland.“ Felix zieht den Glücksglobus aus seiner Tasche und deutet auf einen der kleinen Kontinente. „Hier kannst du es sehen.“

      Bestürzt schiebt Mila seine Hand beiseite. „Du musst deinen Talisman verstecken“, flüstert sie. „Sonst nehmen sie ihn dir weg und bestrafen dich vielleicht noch dafür.“

      Sofort greife ich nach dem Rauringsplitter unter meinem Hemd. Schnell stelle ich meinen Hemdkragen auf, um ihn noch besser zu verbergen. Felix verzieht erschrocken den Mund und steckt seinen Globus hastig weg, wobei sein Blick unruhig umherschweift. Aber weil weit und breit niemand zu sehen ist, lächelt er uns wieder an. „Was ich sagen wollte: Meine Urgroßeltern waren Grünbauern mit ganz vielen Tieren auf ihrem Hof.“ Verschwörerisch zwinkert er mir zu. „Naaa, Emo, wo bleibt dein Lügenfeuer?“

      „Das kümmert sich nicht um deine Scherze. Nur echte Lügen brennen und jucken bei mir.“

      Mila richtet sich im Sessel auf und blinzelt erstaunt. „Du meinst, wenn dich jemand bewusst täuschen will? Dann erkennst du die Unwahrheit?“

      Felix schaut sich vorsichtig um. „Wir verraten dir noch ein Geheimnis. Senator Sark ist ein Lügner. Wenn ihn Emony nur in den Nachrichten sieht, sträuben sich bei ihr schon die Haare“, flüstert er.

      Wie unbedacht von Felix! Wenn Mila nicht dichthält, sind wir beide dran. Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu.

      „Im Gesicht merke ich gar nichts“, wiegle ich ab. „Wenn er zu reden anfängt, überkommt mich manchmal ein komisches Gefühl. Aber das geht doch jedem so.“

      Da bricht es aus Mila heraus: „Mein Vater verabscheut den Sark auch! Das sagt er natürlich nicht laut, aber das Sektorbüro hat es trotzdem irgendwie spitzgekriegt. Jetzt haben sie ihn auf dem Kieker und wollen ihm wegen aufsässiger Gesinnung seinen Rauring wegnehmen. Dabei kann er mit seinem schwachen Herz sowieso schon nicht mehr an den Pipelines arbeiten!“ Milas Stimme ist ungewohnt laut geworden. Als sie das merkt, zieht sie verschämt den Kopf ein und schiebt leise nach: „Wenn er den Ring auch noch verliert, ist er ein Niemand, eine Unperson. Mit dem Register-Chip ist er auf einen Schlag sein Konto los und seine ganze Rente. Deshalb will ich Adoptin werden.“

      Mila beißt sich auf die Lippe, als hätte sie Angst, sich verplappert zu haben. Am liebsten würde ich sie ganz fest drücken. Schließlich weiß ich jetzt, dass ich den schleimigen Sark nicht als Einzige hasse.

      „Ich muss für meinen Vater sorgen“, rechtfertigt sie sich. „Seit dem Tod meiner Mutter hat er doch nur noch mich.“

      „Hast du auch keine Geschwister, so wie Emony und ich?“, fragt Felix.

      „Nein“, antwortet Mila, einen Tick zu energisch.

      Meine Ohren kribbeln. „Bist du wirklich ein Einzelkind?“

      Milas Mund bleibt eine Sekunde lang offen stehen. „Jetzt schon. Mein großer Bruder ist spurlos verschwunden. Vor einem Jahr.“ Sie zieht die Knie wieder an die Brust und legt ihren Kopf darauf. Mehr will sie nicht erzählen.

      Ich weiß genau, wie es ihr geht.

      Endlich ruft uns der Lautsprecher ins Medizinzentrum. Felix springt auf und verschwindet in Richtung Schlafsaal, um seinen Talisman unter der Matratze zu verstecken, bevor uns die Ärzte filzen. Wieder taste ich nach meiner Rauring-Kette, die nun unter dem hochgeschlossenen Hemdkragen verborgen ist. Hoffentlich nehmen sie mir die nicht weg. Sie ist zusammengelötet

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