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ist jeder Tropfen frisch und sauber.

      Inzwischen klebt mir das Nachthemd am Körper, und meine Haare sind patschnass. Wirre Strähnen hängen mir ins Gesicht, die ich lachend zur Seite puste. Ich spüre, wie Felix mich beobachtet. Leicht unsicher schaue ich an mir herunter. Meine Schlaftunika klebt mir inzwischen komplett durchnässt am Leib, und von den Haaren laufen mir kleine Rinnsale in den Rückenausschnitt. „Ich sehe aus wie eine zerzauste Wüstenrennmaus“, stelle ich fest, was Felix grinsen lässt.

      „Ach was, du siehst doch immer toll aus“, erwidert er.

      Einen Moment lang bleibt mir vor Überraschung der Mund offen stehen. Wo kommt denn das Kompliment plötzlich her? „Tust du wirklich“, bekräftigt Felix. Er zwinkert mich verschmitzt an, bevor er mich packt, an sich zieht und in einem selbst erfundenen Regentanz im Kreis herumdreht.

      Durch den Lärm, den Felix und ich veranstalten, sind auch die anderen aufgewacht und gesellen sich zu uns auf den kleinen Balkon. Morry stellt sich direkt unter den Regenablauf am Dach, sodass der Wasserstrahl von seinem Kopf in alle Richtungen platscht. Sein nasses Gesicht glänzt ungewohnt rosig. Da fehlt doch was, überlege ich. Dann fällt es mir auf: Seine Pickel sind kaum noch zu sehen! Die Nomen-Gesundheitsoptimierung scheint zu halten, was sie verspricht.

      Felix lenkt den Wasserstrahl aus der Dachrinne auf die Neuankömmlinge und grinst über die spitzen Schreie der Mädchen. Die tun so, als wären sie empört, doch ihrem anschließenden Kichern zufolge lassen sie sich die Regendusche nur zu gern gefallen. Die sonst so schüchterne Mila quietscht besonders begeistert. Lachend bespritzen wir uns gegenseitig, bis alle klatschnass sind. Doch allmählich spüre ich die Kälte und fröstele.

      Olya streicht durch ihre wirren Haare und rümpft die Nase. „Kein Wunder, dass sie hier jeden Tag warm duschen“, sagt sie. „Ab ins Badezimmer.“

      Badezimmer? Allein schon das Wort lässt mich an Lottogewinner und reiche Firmenbosse denken. So etwas gibt es im Rauring nicht, schließlich kommen wir nur einmal im Jahr zu einem richtigen Badevergnügen, wenn das große Waschfest gefeiert wird. Fünf Familien sparen gemeinsam auf eine Wanne Frischwasser, der sie schon Wochen zuvor entgegenfiebern. Sobald das kostbare Nass endlich da ist, planschen wir darin, bis es trüb ist wie Sojamilch – schließlich muss für die nächsten dreihundertvierundsechzig Tage wieder ein feuchter Lappen genügen.

      Aber im Regenring wäscht man sich täglich unter fließendem Wasser! Das muss ich unbedingt auch probieren. Ich nehme noch zwei tiefe Züge von der klaren Luft und folge den anderen Mädchen in den hell erleuchteten Duschgang.

      Erst drehe ich die Dusche nur halb auf und verrenke mich unter ihrem Strahl, um die Pflaster in meinem Nacken und an meinem Arm trocken zu halten. Doch das elastische, silbrig glänzende Gewebe scheint dicht zu sein, und das warme Wasser ist eine Wohltat. Ich werde immer mutiger, bis ich den Strahl schließlich voll aufdrehe und das angenehme Nass über meine kalten Schultern laufen lasse. Es rinnt über meine Arme, perlt von der Haut ab und wärmt meinen ganzen Körper. Minutenlang drehe ich mich unter dem dampfenden Regen, kriege gar nicht genug von dem unglaublichen Kitzeln des Duschstrahls auf meiner Zunge und meinen Lippen. Ich schnuppere an allen Gelspendern, rieche Kräuter, Zitronen und andere Früchte. Schließlich entscheide ich mich für ein rötlich glänzendes Shampoo, das intensiven Blütenduft verströmt und meine verfilzten Haare glättet. Es tut mir fast leid, als der wunderbare Geruch mit dem Schaum den Abfluss hinunterfließt.

      Nachdem ich die Duschkabine verlassen habe, fühle ich mich wie neugeboren. Das schlechte Gewissen, das sich normalerweise bei jeder Wasserverschwendung meldet, ignoriere ich heute ausnahmsweise. Ich vergrabe meine Finger in einem flauschigen Handtuch und rubble meine Haare trocken. So seidig weich waren sie noch nie.

      Auch mein Hals hat sich verändert. Die Entzündungen sind so gut wie weg! Wo meine Haut gestern noch feucht und wund war, ist über Nacht eine rosige Schicht nachgewachsen. Ganz vorsichtig streiche ich darüber. Die neue Haut ist noch dünn und glänzend, doch absolut trocken. Anscheinend wurden die wunden Stellen gestern schon mit der Salbe behandelt. Bei all den Beruhigungsmitteln habe ich das wohl verschlafen.

      Neben meinem Bademantel steht die rote Tube bereit, die mir Dr. Kaishen verschrieben hat. Um die frische Haut nicht gleich wieder aufzureißen, tupfe ich das durchsichtige Gel ganz vorsichtig auf. Es fühlt sich kühl an, richtig angenehm im Vergleich zu der grässlichen Brennsalbe, die ich zu Hause benutzen musste. Hinterher ist meine Haut ein bisschen taub. Dieses Schmerzmittel könnten wir uns daheim nie leisten.

      Als ich überlege, wer mich gestern eingecremt hat, vom Hals über die Schultern bis zu den Oberarmen, schießt mir das Blut in den Kopf. Das war bestimmt Kohen.

      Weil bis zum Frühstück noch etwas Zeit ist, gehe ich im Bademantel wieder hinaus auf den Balkon. Der Regen hat sich inzwischen verzogen, und das nasse Laub der Bäume funkelt in der Sonne. Polaris liegt im Tal unter einer Wolkendecke, nur die höchsten Glastürme ragen in wässrigem Blau heraus. Ich beuge mich über das Geländer, um die tropfenden Farnwedel auf der Wiese zu betrachten.

      Mein Herz macht einen Hüpfer. Dort unten ist Kohen!

      Was macht er denn da?

      Klettern? Scheint ganz so. Er hängt an dem vordersten Pfeiler des Verwaltungsgebäudes und arbeitet sich langsam an der Stahlsäule hoch. In dem weißen T-Shirt sieht er ganz anders aus als im Arztkittel. Normaler. So wie einer von uns, nur viel attraktiver.

      Er klettert ohne Sicherung, hoch über der Wiese. Ich halte mich am Geländer fest und wage kaum zu atmen. Das Metall ist so glatt, dass Kohen eigentlich jeden Moment abrutschen müsste. Aber seine Füße finden Halt, wo keiner ist, an den Nieten des Stahlträgers und in den schmalen Spalten zwischen den Abdeckplatten des Pfeilers. Geduldig tastet er nach einer Griffmöglichkeit für seinen nächsten Zug. Kohen ist konzentriert, hält seinen Körper nahe am Pfeiler. Eine Haarsträhne klebt in seiner Stirn. Er hat die Arme so stark angespannt, dass die Sehnen deutlich hervortreten, doch trotz der Kraftanstrengung sind seine Bewegungen geschmeidig. Er bemerkt nicht, dass ich ihn beobachte. Sein Blick gilt nur dem nächsten Griff, der ihn ein Stück höher bringt. Ich könnte ihm ewig zuschauen.

      Nachdem er oben angelangt ist, zieht er sich auf das Kapitell des Pfeilers hoch. Jetzt steht er im Profil da, atmet tief durch und streicht sich die Strähne aus dem Gesicht.

      Er dreht sich um, schaut hoch und entdeckt mich. Verlegen hebe ich die Hand und winke zaghaft. Kohen lächelt zurück, so breit und spitzbübisch, dass mein Herz kurz aussetzt und seinen Takt erst wiederfindet, als Kohen sich auf den Balkon des Verwaltungstraktes schwingt und im Gebäude verschwindet.

      Aus unserem Schlafsaal dringen Geräuschfetzen an mein Ohr und lassen mich aufschrecken. Ich bin spät dran. Eilig tapse ich auf Zehenspitzen ins Innere. Dort höre ich aufgeregte Stimmen. Unsere Trainingsoveralls sind da!

      Olya hat ihren schon in der Hand. Mit leuchtenden Augen entfaltet sie den metallisch schimmernden Stoff und streichelt ihn andächtig. Auch in meinem Fach liegt ein solcher Overall, grau-glänzend mit weißen Einlagen. Definitiv schick, aber eng. Hoffentlich nicht zu eng.

      Sofort probiere ich ihn an. Die knisternden Hosenbeine schmiegen sich weich um meine Oberschenkel, der Reißverschluss geht kinderleicht zu. Der Anzug passt wie angegossen, genau wie die elastischen Trainingsschuhe mit dem WERT-Logo im Gummiprofil. Für die Haare liegt eine sichelförmige Spange bereit. Wir sollen sie unbedingt immer hochstecken, damit das Nackenteil unseres Nomens frei bleibt.

      Olyas Sanduhrtaille sieht in dem neuen Dress umwerfend aus. Sie tänzelt strahlend lächelnd vor uns her, genießt die neidischen Blicke und schwebt förmlich auf Wolken. Ich bin die Königin, sagt sie mit jeder ihrer Bewegungen.

      „Lass dir den Spaß nicht verderben“, flüstert mir Mila zu. Erstaunlich, wie gut sie mich schon kennt. „Komm, wir gehen frühstücken.“

      Im Speisesaal wartet eine bunte Vielfalt an Obst auf uns. Schnell stecke ich mir eine dicke, tiefrote Beere in den Mund und genieße die Geschmacksexplosion auf meiner Zunge. Ein Traum! Wenn das meine Mutter sehen könnte.

      Felix lädt seinen Teller mit Fleisch- und Wurststücken voll und setzt sich zu uns

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