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um und schaltet den linken aus. Seine Kugeln lassen die lebensechten Projektionen in einer roten Splitterwolke explodieren.

      So deutliche Bilder hätte es gar nicht gebraucht.

      Immer mehr Terroristen entstehen aus dem Nichts, stürmen los und sinken im Funkenregen zu Boden. Kohens Bewegungen sind sicher, kontrolliert und rhythmisch, aber die Gegner werden immer zahlreicher. Die schwarze Geisterarmee agiert unheimlich rasch und gespenstisch leise. Kohen ist umringt.

      Blitzschnell wirft er sich auf die Erde und verbirgt den Kopf in den Armen. Die Holokrieger zielen über ihn hinweg und treffen sich gegenseitig. Ein roter Regen ergießt sich über Kohen. Eine Fanfare ertönt: Spiel gewonnen.

      Nach Kohens beeindruckender Vorführung sind wir an der Reihe. Ich folge den anderen in den Waffenraum und nehme mir eine Pistole aus dem Regal. Sie ist überraschend leicht. Ihr Gewicht scheint sich zu verdoppeln, wenn man das Magazin einlegt. In der Trainingshalle suche ich nach der richtigen Fingerstellung. Obwohl der Griff Einkerbungen für Mittel-, Ring- und kleinen Finger hat, passt es bei mir einfach nicht. Meine Hände sind wohl zu klein. Bis auf die Größe ähneln meine kurzen, dicken Finger denen meines Vaters. Ich schlucke hart.

      Kohen demonstriert, wie man die erste Kugel in den Lauf einlegt. Das klappt schon mal. Waffe einschalten – ich höre ein ansteigendes Pfeifen, das abrupt abbricht, eine Oktave über dem Startgeräusch von Tarmos Geschütz. Oberhalb des Abzugs glimmt eine grüne Leuchte auf und zeigt an, dass der Magnet bereit ist. Die Waffe vibriert.

      Wir sollen ein Übungsziel anvisieren, wobei ein roter Laserpunkt den Einschlag markiert. Meiner taumelt wie betrunken über die Scheibe. Mist, warum kann ich das Teil nicht ruhig halten?

      Zu allem Überfluss genügt es nicht, auf feststehende Scheiben zu schießen – wir bekommen auch Hologegner. Felix wippt ungeduldig auf den Zehenspitzen, bis er dran ist. Erst schießt er daneben, aber dann landet er einen Treffer nach dem anderen. Er scheint meine Bewunderung zu genießen, denn nach jedem Treffer zwinkert er mir zu. Nur widerwillig macht er dem Nächsten Platz. Als ich dran bin, habe ich immer noch nicht den richtigen Griff gefunden. Ich blinzle, das Ziel schlingert. Ich greife die Pistole fester, den Zeigefinger am Abzug.

      Kohen tritt neben mich. Er wirkt ungehalten. „Wie ich vorher schon gesagt habe: Die linke Hand unterstützt die rechte, greift über die Finger der Führungshand, Zeigefinger fest unter den Abzug, Daumen nach vorne.“ Warum erklärt er das nur mir? Die anderen sind doch auch noch keine Profis.

      „Waagrecht halten!“

      „Tu ich doch.“

      „Lass mich es dir zeigen.“ Er fasst mich am Arm. Ich stehe stocksteif, doch seine Hand liegt warm auf meinen Fingern. Die sind so verkrampft, dass er sie einzeln lösen muss, um sie in die richtige Position zu bringen. Vorsichtig dreht er die Waffe in die Waagrechte. Inzwischen starren mich alle an. Und alle sehen, dass ich am Schießstand eine Null bin, der man die Hand führen muss.

      Der erste Gegner taucht aus dem Nichts auf. Mein Puls schießt in die Höhe.

      „Ausatmen – Energie“, meint Kohen.

      „Was?“ Nicht so schnell.

      Der Gegner zielt auf mich. Ich stehe da wie angewurzelt. Im selben Moment trifft mich das Holoprojektil. Ein Stromstoß wirft mich zurück, und mein Nomen sendet ein Warnlicht aus, ich nehme einen Schuss wahr, meinen Schuss, höre mich schreien und die anderen auch. Ein Lampenpaneel über dem Schießstand brummt, flackert und erlischt.

      Kohen reißt mir die Waffe aus der Hand. „Das reicht für heute“, meint er knapp. „Zwanzig Minuten Pause, dann Übungsraum zwei.“

      Geknickt schleiche ich hinter den anderen her, wobei mir das Klirren der abgeschossenen Lampe und Olyas Gekicher noch in den Ohren hallen. Warum musste ich mich gleich am ersten Tag so blamieren? Gerade vor Kohen! Als er meinen Arm berührt hat, hätte ich vor Schreck fast einen Schuss ausgelöst. Ich glaube beinahe, seine ruhige Hand noch auf meinen zitternden Fingern zu spüren. Die Erinnerung löst ein leichtes Kribbeln in mir aus, das aber gleich wieder erstirbt. Nach diesem glorreichen Auftritt hält mich Kohen bestimmt für eine hoffnungslose Niete.

      Ich schniefe und erschrecke vor meinem zerzausten Spiegelbild im Fenster. Da knufft mich Felix freundschaftlich in die Seite. Ich muss wirklich elend aussehen, so fest, wie er mich daraufhin in die Arme schließt. Seitdem er mich das letzte Mal auf diese Art getröstet hat, ist er um einen halben Kopf gewachsen. Ich verschwinde fast in seiner Umarmung. „Denk dir nichts wegen der kaputten Lampe“, sagt er. „Dieser Kohen hat dich aus dem Konzept gebracht. Der hatte die Finger noch viel zu nah an dir dran. Der ist an dem Schaden schuld, nicht du.“

      „Er hat es doch nur gut gemeint“, erwidere ich schniefend. „Der Versager bin ganz allein ich.“

      Den tiefen Stirnfalten nach ist Felix anderer Ansicht, doch er verfolgt das Thema nicht weiter. „Hauptsache, du lässt dich nicht runterziehen, Emo. Da kommen bestimmt auch noch Übungen für dich. Als Nächstes gibt es angeblich einen Reaktionstest. Bei dem kannst du es allen zeigen – ist schließlich keiner so auf Zack wie du.“

      Ich bin mir da nicht so sicher, lächle Felix aber dankbar an. Ohne seinen Optimismus würde ich hier gnadenlos untergehen.

      „Schnarchnasen können wir nicht gebrauchen“, beginnt Tarmo seine Einführungsrede zu dem nächsten Test. „Wir stellen jetzt die laute und hektische Arbeit im Kontrollraum eines Kraftwerks nach. Adopten müssen bei der Arbeit hellwach sein. Hinhören, hinschauen, schnell und korrekt reagieren. Ich zeige euch mal, wie man das macht.“

      Kohen steht reglos an einem Schaltfeld in der Ecke des Raums, den Blick in die Ferne gerichtet. Wahrscheinlich wünscht er sich ganz weit weg, an einen Kletterfelsen in den Bergen hinter Polaris, wo er sich ungestört von Griff zu Griff vorarbeiten kann und keine Meute nervöser Rauringsiedler am Hals hat.

      Auf Tarmos herrisches Zeichen hin drückt er einige Knöpfe an seinem Schaltfeld. Sofort taucht vor Tarmo ein großes Spinnennetz von eineinhalb Metern Durchmesser auf, in dem rote Holokugeln hängen. „Wenn ein Ball aufleuchtet, tippe ich ihn an.“ Lässig streckt Tarmo mal den einen, mal den anderen Zeigefinger nach den Kugeln aus, die in immer kürzerem Abstand aufblitzen. Immer schneller sticht er in die Luft, bis ich mit meinen Blicken kaum mehr nachkomme. Selbst von dem schrägen Piepen der Anlage lässt er sich nicht stören. Widerstrebend muss ich zugeben, dass mich das beeindruckt. Das hätte ich dem plumpen Muskelprotz nicht zugetraut. Die Anzeige stoppt bei hundert Treffern, ohne dass er nur einmal danebengegriffen hat.

      Olya applaudiert begeistert. Tarmo wirft ihr einen amüsierten Blick zu und winkt Taiga herbei, das spitznasige Mädchen mit der Bobfrisur aus meinem Schlafsaal, das Olya ständig wie ein Schatten begleitet. „Jetzt ihr. Jeder hat drei Versuche. Der beste zählt.“

      Taiga gibt sich einen Ruck und stellt sich vor das Spinnennetz. Anfangs erwischt sie die Leuchtkugeln noch ganz gut. Piepsen, blinken, piepsen, blinken. Gerade als Taiga glaubt, alles im Griff zu haben, wird der Rhythmus schneller. Ihre Bewegungen werden hektisch, sie erwischt die falsche Kugel. In dem Moment knistert eine elektrische Entladung. Ein Stromschlag trifft Taiga, und sie kreischt auf. Ihr Nomen registriert die Gefahr und projiziert eine gelbe Alarmleuchte in den Raum. Befriedigt schaut Tarmo in unsere fassungslosen Gesichter.

      Kohen beobachtet uns, wobei er die Arme vor der Brust verschränkt.

      „Keller!“ Tarmos Ton lässt mich zusammenzucken, als hätte er mir schon jetzt einen Stromschlag verpasst. Ich kriege den Beginn der Übung nur halb mit, lausche auf die Tonfolgen und muss tatenlos zuschauen, wie ein Holoball nach dem anderen wieder erlischt, bevor sich meine Finger zu einer Bewegung entschlossen haben.

      „Null Punkte. Absoluter Rekord. Der Nächste!“

      Mein Magen verkrampft sich. Wie durch einen Schleier schaue ich zu, wie sich die anderen durch den Test kämpfen und den Schmerz bei Fehlgriffen zähneknirschend ertragen, ohne aufzugeben. Keiner stellt sich so blöd an wie ich.

      Das kannst du auch, sage ich mir vor. Die Töne kommen immer zuerst, du musst nur hinhören. Ich hole tief Luft und warte auf

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