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DNA-Bots senden die notwendigen Wirkstoffe zielgerichtet an erkrankte Zellen, während gesunde unberührt bleiben“, spricht die Frau weiter.

      Die Miene von Felix hellt sich auf. „Eingebaute Soforthilfe? Gefällt mir.“

      Kohen stoppt die Vorführung mit einem knappen Wink. „Die Nomen-Gesundheitsüberwachung hat sich wirklich bewährt“, versichert er. „Fast jeder Mensch hat Entzündungen im Körper, ohne es zu wissen. Die meldet das Gerät und reguliert sie umgehend.“

      Neben mir bewegt sich etwas. Morry betastet den dicken Pickel an seinem Kinn. Alle drehen sich zu ihm um und starren auf die unappetitlichen roten Pusteln in seinem Gesicht.

      „Unreine Haut ist eine typische Folge winziger Entzündungsherde“, erläutert Kohen. „Die nächste Animation zeigt an genau diesem Beispiel, wie die Nomen-Technologie funktioniert.“

      Morry ist rot geworden wie eine reife Tomate. „Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig“, kommentiert Olya und erntet schallendes Gelächter. Morry krümmt sich förmlich vor Scham.

      „Ruhe, oder ich breche die Vorführung ab“, mahnt Kohen knurrend, wobei er unsere Runde mit einem zornigen Blick bedenkt.

      „Spaßbremse“, flüstert Olya, dann allerdings verfolgt auch sie mit großen Augen den Holofilm, worin blau glänzende Wirkstoffe in einen eitrigen Pickel eindringen und ihn rückstandsfrei auflösen. Verstohlen zupfe ich an meinen Ärmeln, unter denen sich entzündete Kratzstellen verbergen. Ein unverhofftes Mittel gegen meine Feuerkrankheit! Allerdings wird meine Vorfreude gleich wieder von meinem schlechten Gewissen verdrängt. Für normale Rauringbewohner ist eine so kostspielige medizinische Versorgung unerreichbarer Luxus.

      „In Notfällen bestellt das Nomen sofort ärztliche Hilfe an die Position seines Trägers“, fährt die Sprecherin fort. „Dieses fortschrittliche System, das WERT ständig weiterentwickelt, gewährleistet den Adopten optimale medizinische Betreuung, wo immer sie sich befinden.“

      Und die totale Überwachung. Mit dem Nomen-Implantat weiß WERT jederzeit, wo wir sind. Irgendwie geht mir das gegen den Strich.

      Während der Holofilm die Errungenschaften des innovativen DNA-Datenspeichers anpreist, betritt ein zweiter Arzt den Raum. Sein glattes Gesicht wirkt alterslos, doch die grauen Schläfen deuten auf einen Mittfünfziger hin. Mit dem kerzengeraden Rücken überragt er Kohen und strahlt einschüchternde Autorität aus. Seine altjapanischen Züge bewegen sich keinen Millimeter, bis der Film zu Ende ist. Danach gleitet sein abschätziger Blick über uns und bleibt eine lange Schrecksekunde an mir hängen.

      Er räuspert sich. „Ich bin der medizinische Leiter bei WERT und führe jetzt die Nomen-Implantationen durch.“ Ich wippe unruhig mit den Füßen auf und ab. Sich namentlich vorzustellen, hat der wohl nicht nötig.

      Mila runzelt die Stirn, bevor ihre Augen kugelrund werden. In ihrer Miene spiegeln sich Ehrfurcht und Sorge wider. Natürlich traut sie sich nichts zu sagen, aber kaum dass die beiden Weißkittel den Ruheraum in Richtung Operationssaal verlassen haben, bricht es aus ihr heraus: „Das ist Dr. Kaishen. Er hat das Nomen quasi erfunden, vor dreißig Jahren, und hat seitdem viele Durchbrüche zur Verbesserung der Technologie erzielt. In Medizinerkreisen ist er berühmt und gefürchtet. Zwei Patienten sollen bei seinen Versuchen schon gestorben sein.“

      Abrupt schaut Felix hoch.

      „Aber das ist nur ein Gerücht“, schiebt Mila schnell nach. Wie beruhigend.

      Nun beginnt das Warten. Nach fünf Minuten holt Kohen den ersten Kandidaten zur Operation ab, Linkskahl Ambos. Der kommt nicht zurück. Stattdessen ist nach weiteren zehn Minuten Rechtskahl dran.

      Nach einiger Zeit verstummen die Gespräche. Felix zerbeißt seine Unterlippe, während Mila die Arme so fest um sich schlingt, als würde sie frieren. Ich beobachte die Leuchtziffern der Uhr an der Wand des Wartezimmers, auf der die Minuten unfassbar langsam wechseln. Einmal glaube ich einen gedämpften Laut zu hören, erst kurz, dann langgezogen. Hat da jemand geschrien, drüben im Operationssaal? Das bilde ich mir bestimmt nur ein. Doch Anna hat es auch gehört. Erschrocken verzieht sie das Gesicht. Sie ist die Nächste. Statt des so unbekümmerten Mädchens von gestern schleicht jetzt ein zitterndes Nervenbündel hinter Kohen her.

      Mit stumpfem Blick starren wir auf die Muster in den Bodenfliesen, zählen die großen und kleinen Dreiecke zum hundertsten Mal. Als Ben drankommt, ist seine dunkle Gesichtsfarbe einem kränklichen Olivton gewichen. Die Nächste bin ich. Jetzt ticken die Minuten plötzlich schneller herunter. Ich bin noch nicht bereit! Aber schon öffnet sich die Tür. Kohen wirft mir einen ermutigenden Blick zu. Ich hole tief Luft und folge ihm in den Operationssaal.

      In dem weißen Raum riecht es antiseptisch. In der Mitte des Zimmers wartet eine weiß glänzende Liege auf mich, daneben ein Stativ mit Infusionsschläuchen, dahinter eine schmale Röhre. Über der Liege schwebt eine komplexe Apparatur aus Edelstahl, die mich zusammenzucken lässt. Nicht wegen der tausend Lämpchen, Schaltflächen und Displays an ihren Seiten, sondern wegen der zangenförmigen Greifarme. Das medizinische Monstrum hängt von der Decke wie eine gigantische Spinne.

      Hinter einem transparenten Holoschirm befindet sich Dr. Kaishen. Er hält meine Blutflasche in der Hand und starrt mich an.

      Kohen bleibt neben mir stehen. Er wartet auf Anweisungen, allerdings rührt sich der Doktor nicht. Meine Kratzwunden! fährt es mir durch den Kopf. Die erschrecken jetzt schon die Ärzte. Schnell ziehe ich meinen Hemdkragen noch höher und nestle an den Ärmeln herum, um die Wunden zu verstecken.

      „Das ist Emony Keller“, sagt Kohen, als die Stille schon peinlich wird.

      „Die Akte habe ich vor mir“, erwidert Kaishen scharf. „Ziehen Sie das Hemd aus“, befiehlt er in meine Richtung. Ich gehorche und nehme Platz auf der Liege. In dem verschlissenen, beige-braunen Unterhemd von zu Hause, das ich mir noch mal übergestreift habe, weil ich die kühle Luft nicht gewohnt bin, sitze ich da. Die Hitze steigt mir ins Gesicht, während der Doktor mit kalten Latexhandschuh-Fingern über meinen fleckigen Hals streicht. Seine Oberlippe kräuselt sich, bevor er die Diagnose diktiert. „Ignigitis. Akutes Kratzsyndrom im Schulterbereich, links stärker als rechts. Außerdem an den Armen.“

      Kohen nickt und tippt die Angaben in den schwebenden Holoschirm, sicher und konzentriert. Seine Hände sind leicht gebräunt – ganz anders als bei den Männern im Rauring, die unter ihren Schutzanzügen käsebleich bleiben. Mit seinen dunklen Augen wirkt er richtig sympathisch. Jetzt zeigt er auf das weiße Operationshemd, in das ich schlüpfen soll.

      Meine Stirn wird noch heißer. Muss ich mein Unterhemd wirklich ausziehen? Vor ihm? Damit er meine hässlichen Kratzwunden sieht? Doch Kohen scheint Gedanken lesen zu können. Sowie ich mein Unterhemd zögernd anhebe, schaut er rücksichtsvoll weg. Erst als meine Finger den Klettverschluss am Rückenschlitz nicht finden, dreht er sich wieder um. Aufmunternd lächelt er mich an. Sein Verständnis verunsichert mich seltsamerweise noch mehr.

      Dr. Kaishen öffnet eins der vielen Schubfächer an der Wand und holt eine rote Tube heraus. „Normalerweise heilt das Nomen Hautverletzungen automatisch, aber bei dieser hochgradig chronischen Ignigitis ist zusätzlich eine äußere Anwendung notwendig. Tragen Sie die Salbe zweimal täglich dünn auf, bis die Entzündungen abgeklungen sind.“ Er legt die Tube auf den Beistelltisch, tritt an die Röhre hinter der Liege und erweckt ihre Displays zum Leben. Dann kommt der Satz, vor dem ich mich fast noch mehr gefürchtet habe als vor der ganzen Operation. „Nehmen Sie die Kette ab“, sagt Kaishen, ohne mich anzuschauen. „Metallteile stören die Bildgebung im Venenscanner.“

      „Äh.“ Schützend greife ich nach dem Rauringsplitter an meinem Hals. „Das geht nicht. Sie hat keinen Verschluss. Ich kann sie nicht über den Kopf ziehen, sie wurde damals zusammengelötet!“

      Meinen panischen Blick nimmt der Doktor gar nicht zur Kenntnis. „Kohen, schneiden Sie die Kette durch“, sagt er, während er sich mit dem surrend anlaufenden Scanner beschäftigt.

      Ich umklammere den kantigen Ringsplitter. Furcht steigt in mir hoch. „Nein, bitte nicht! Die Kette ist sehr wichtig für mich!“ Meine Stimme

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