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die einzige greifbare Verbindung zu meinem Vater. Die kann ich unmöglich zerreißen.

      Während ich über all das nachgrüble, sind Mila und ich in dem fensterlosen, aber von kühlen Lichtfeldern taghell erleuchteten Untersuchungsraum angekommen. Schnaufend schließt auch Felix zu uns auf. Die Untersuchung soll mit einer Blutabnahme beginnen, erklärt uns eine Tonbandstimme. Zur individuellen Anpassung unseres Nomen-Implantats seien umfangreiche Labortests notwendig. Blutgruppen, Rhesusfaktoren, Rezeptorstrukturen, blabla, schwafel, schwafel. Jedes Implantat ein Unikat! Und ganz nebenbei werde uns die große Ehre zuteil, mit unserer Blutspende der weiteren Nomen-Forschung zu dienen.

      „Und wenn ich nix spenden will?“, sagt Felix grummelnd, wobei er unruhig auf den Zehenspitzen auf und ab wippt.

      „Gibt es denn hier keinen Arzt?“, fragt Olya und wickelt nervös eine blonde Locke um ihren Finger.

      Als Antwort surrt eine Milchglasscheibe zur Seite und gibt den Blick auf eine Reihe glänzender Stative frei. Darauf sind erschreckend große leere Flaschen montiert, von denen dicke Schläuche herunterhängen. Keller, Kern, Omen … Jede hat ein Namensschild. Sie sollen ganz offensichtlich mit Blut gefüllt werden. Felix schnappt hörbar nach Luft. Alle flüstern aufgeregt durcheinander.

      Mit einem Mal nähern sich polternde Schritte. Aufgeregt drehen wir uns um. Das wird doch nicht Tarmo sein? Er ist es. Schlagartig wird es mucksmäuschenstill.

      „Wir prüfen jetzt eure Belastbarkeit“, erklärt er mit scharfer, schneidender Stimme. „Schwächlinge haben hier im Trainingslager nichts zu suchen, also sortieren wir frühzeitig aus.“

      Nun bleibt selbst Felix die Spucke weg. Sein Mund steht halb offen. Alle Farbe ist ihm aus dem Gesicht gewichen, sogar seine Sommersprossen sind verblasst.

      Tarmo klopft auf eine der leeren Flaschen. Es klingt erschreckend hohl, doch der Glatzkopf grinst. „Jetzt stellt sich heraus, was in euch Dörrpflaumen steckt!“

      Beim Anblick der blitzenden Stative wird mir schummrig. Aus dem Augenwinkel bemerke ich eine Bewegung. Das Mädchen neben mir ächzt, und ihre Knie knicken ein.

      „Das ist die Erste“, verkündet Tarmo höhnisch. Er winkt zwei Helfer herbei, damit sie die Ohnmächtige hinaustragen.

      „Wer freiwillig gehen will, tut das am besten jetzt“, sagt er und schaut sich herausfordernd um.

      Weil sich keiner meldet, werden die ersten drei an die Blutabnahmeständer angeschlossen und kriegen einen Schaumstoffball in die Hand gedrückt. Den sollen sie rhythmisch quetschen, damit das Blut im Schlauch hochsteigt. Meine Knie fühlen sich wie Pudding an. Ich blicke mich nach einem Stuhl um, allerdings gibt es keinen.

      Als ich zusammen mit Mila und einem kräftigen Typen namens Ben aufgerufen werde, versichert mir mein Verstand, dass das machbar sein sollte. Aber mein Bauch ist da anderer Meinung. Mit einem flauen Gefühl im Magen beobachte ich, wie der Arzthelfer meine Unterarme nach einer passenden Vene absucht und die potenzielle Einstichstelle desinfiziert. Ein Zittern geht durch meinen Körper, kaum dass er die metallene, kalte Kanüle in meine Vene schiebt. Meine Finger fühlen sich matt und kraftlos an, doch ich schließe meine Hand um den Quetschball, der die Form einer halben WERT-Weltkugel hat, und drücke zu. Ich konzentriere mich auf das leise Zischen des Erdballs, dem bei jedem Quetschen die Luft entweicht. Im Unterarm spüre ich ein dumpfes Stechen. Ist das jetzt gut oder schlecht?

      Egal. Ich schaffe das.

      Der Junge neben mir drückt seinen Ball mit aller Kraft und lockt so dunkelrotes Blut aus seinen Venen. Langsam steigt es in dem durchsichtigen Schlauch hoch und kriecht durch die Windungen wie Sonora, die sich auf das Chamäleon zu schlängelt. Ich wende mich ab.

      „Nicht wegschauen“, befiehlt Tarmo. „Guck auf die Flasche! Da drin ist schließlich dein Innerstes.“

      Olya fragt, ob die Gefäße wirklich randvoll werden müssen. Grinsend bejaht Tarmo das. Ein kollektives Aufstöhnen erfüllt den Raum.

      Dann hören wir nur noch das Gurgeln in unseren Schläuchen. Nicht nur das eklige Geräusch lässt mich genauer hinblicken. Tarmos Antwort auf Olyas Frage hat auch meinen Ohrläppchenbrand ausgelöst. Und da sehe ich es: Die Flasche hat eine doppelte Wand, genau wie der Schlauch. Das Blut muss nur die äußere Gefäßhülle füllen.

      Um Felix und Mila meine Entdeckung mitzuteilen, schnalze ich leise mit der Zunge und zeige mit dem Kinn auf die Flasche. Mila schaut mich fragend an, schließlich lächelt sie. Felix dagegen starrt nur blicklos ins Leere. Als Kind ist er einmal gegen einen Generatorkasten geknallt und hat sich eine Platzwunde am Kopf geholt. Es war halb so schlimm, aber er ist umgekippt, weil er sein eigenes Blut nicht sehen konnte. Kein Wunder, dass er jetzt gefährlich schwankt.

      Vor lauter Sorge um Felix vergesse ich meine eigene Angst und schaue überrascht auf, als der Pfleger meine Nadel entfernt. Ich habe es geschafft. Wieder einen Schritt näher daran, eine Adoptin zu werden.

      6. Kapitel

      Im Ruheraum reicht mir ein dunkelhaariger Arzt einen großen Becher mit Trinkhalm. Den Typen kenne ich doch! Das ist das schweigsame Männermodel vom Trainertisch. Dann ist er also gar kein Ausbilder? Schade, in seine Gruppe wäre ich gern gekommen. Seine braunen Augen wirken so … vertrauenerweckend. Der Arztkittel steht ihm genauso wie die Sportjacke, die er gestern anhatte. Ich plumpse in den Sitz neben Mila, die mich schwach anlächelt. Das schaumige Getränk schmeckt intensiv und leicht salzig.

      Lange Zeit sind nur Sauggeräusche zu hören. Der Dunkelhaarige beobachtet uns. Ich schätze ihn auf knapp zwanzig. Auf seinem weißen Kittel prangt ein großes WERT-Emblem. Emony, du starrst schon wieder, würde meine Mutter mich jetzt ermahnen. Schnell senke ich den Blick und beschäftige mich mit meinem Trinkbecher.

      Wann kommt endlich Felix? Er ist doch fit. Er muss es einfach schaffen. Ohne ihn halte ich es hier nicht aus. Ich atme auf, da er nach einer gefühlten Ewigkeit durch die Tür wankt. Er greift sich einen Becher, als wäre es ein Rettungsseil, und lässt sich in den Sessel neben mir fallen. Seine Nase ist ganz weiß. Geräuschvoll schlürft er das Schaumgetränk bis auf den letzten Tropfen leer, ohne den Arzt zu bemerken, der um unsere Aufmerksamkeit bittet. Erst als ein Mädchen lacht, richtet sich Felix in seinem Sitz auf.

      Der Weißkittel sieht Felix stirnrunzelnd an, bevor er sich vorstellt. „Mein Name ist Kohen Sander, ich begleite euer dreimonatiges Trainings- und Auswahlprogramm. Euren Chefausbilder Tarmo habt ihr schon kennengelernt. Auch ich heiße euch herzlich willkommen im Adoptenzentrum von WERT.“

      Ich horche auf. Also ist er doch ein Trainer. Unser Trainer! Und er scheint kein besonders großer Fan von Tarmo zu sein. Das hat seine Stimme verraten. Sie war erst voll und warm, ist aber bei der Erwähnung des Chefs eine Oktave tiefer gerutscht. Noch ein Pluspunkt für den Lockenkopf.

      Allerdings hat Kohen sich sofort wieder im Griff. „Mit der Blutabnahme habt ihr bereits den ersten Test bestanden“, sagt er. „Sie bereitet gleichzeitig die Nomen-Implantation vor.“

      Aufgeregtes Getuschel geht durch unsere Gruppe, doch unter dem strengen Trainerblick legt es sich schnell.

      „Ihr seht jetzt einen kurzen Informationsfilm.“ Kohen greift sich an das linke Handgelenk, und in der Luft neben ihm erscheint ein gläserner menschlicher Oberkörper. Das überlebensgroße Hologramm wird durch eine Reihe von Lichtschlitzen aus der Wand in den Raum projiziert. Wir erkennen den menschlichen Blutkreislauf und sehen eine Animation, die Botenstoffe durch röhrenförmige Adern rasen lässt. Dazu erklärt eine körperlose Frauenstimme, dass die Blutabnahme zur Bestimmung unseres Gesundheitszustandes dient und die Form unserer chemischen Stressreaktion testet.

      Aha. Soso. Daher also der Schwindel mit den Doppelwand-Flaschen.

      Jetzt schwebt ein silbrig glänzendes Nomen-Modul in zehnfacher Vergrößerung im Projektionsraum. Es besteht aus einem dreieckigen Kernstück, das an die Halswirbelsäule andockt, und aus einem kleineren Bedienteil im linken Handgelenk.

      „Das Nomen schickt DNA-Sonden ins Blut seines Trägers, um dessen Gesundheitszustand laufend zu überwachen. Entdecken sie ein Gesundheitsrisiko, bildet das Implantat

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