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Volkspoesie begeisterte, für Homer, Ossian und Shakespeare.11

      Goethe, der jetzt volkstümliche Lieder12 zu dichten und echte Volkslieder zu sammeln begann, lernte in Sesenheim die Pfarrerstochter Friederike Brion kennen und verewigte die Geliebte in den Sesenheimer Liedern13 als natürliches, unbefangenes Kind des Volkes.

      Goethes neue Lyrik ist Erlebnisdichtung reinster Prägung. Das Gefühl wird hier nicht mehr spielerisch reflektiert und im Hinblick auf die Gesellschaft durch witzige oder ironische Pointen gebrochen und zurückgenommen, sondern das aus der Erschütterung des Herzens mächtig hervorbrechende jugendliche Gefühl teilt sich als unmittelbares, privates Bekenntnis mit,14 das bis ins letzte hinein wörtlich genommen werden will.

      »[…] Gefühl ist alles, / Name Schall und Rauch, / Umnebelnd Himmelsglut«, sagt Faust. In den großen Hymnen15 ist das geniehafte Ichbewusstsein zum »Götterselbstgefühl« (Prometheus) und zum »All-Gefühl« (Mahomet) gesteigert, das die Welt ergreift und dem berauschten Genie anverwandelt: »Ich! Der ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft jeder, der sich fühlt, und macht große Schritte durch dieses Leben.« (S. Anm. 11.)

      Für die genialische Gefühlsunmittelbarkeit war die dramatische Gebärde die angemessenste und darum bevorzugte Ausdrucksweise. Ein Dramentitel wurde folgerichtig zum Namen der literarischen Epoche. Allerdings ist das Drama Sturm und Drang (1776), das ursprünglich und besser Wirrwarr heißen sollte, weniger zeittypisch als etwa Die Zwillinge (1776) oder Das leidende Weib (1775) desselben Verfassers FRIEDRICH MAXIMILIAN KLINGER (1752–1831).

      Das Trauerspiel Die Zwillinge, mit dem Klinger einen Dramenwettbewerb gewann, behandelt das seinerzeit beliebte Motiv vom Bruderzwist: Der maßlose und genialisch unbeherrschte Guelfo erschlägt seinen ausgeglicheneren Bruder Ferdinando aus Eifersucht an dessen Hochzeitsmorgen und fällt unter dem rächenden Streich des Vaters. – Ähnlich geht es bei JOHANN ANTON LEISEWITZ (1752–1806) im Julius von Tarent (1776) zu. Schiller griff das Motiv von den verfeindeten Brüdern in den Räubern (1781) auf und später noch einmal in der Braut von Messina (1803).

      Klingers gesellschaftskritische Ehebruchtragödie Das leidende Weib entstand unter dem Einfluss von Lessings Emilia Galotti (vgl. ) und dem Hofmeister von JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ (1751–1792), dem man das Drama lange zuschrieb.

      Im Vergleich zu Klingers wirrer Phantasie zeigt Lenz einen fast naturalistischen Blick für die Wirklichkeit. Auf eigene Erfahrungen zurückgreifend, zielt Lenz mit seinen Dramen erklärtermaßen auf gesellschaftliche Veränderung.

      Lenz kam wie Herder als Hofmeister nach Straßburg. Er empfand die Abhängigkeit des in adligen Familien dienenden Hauslehrers als beschämend für alle Beteiligten und trat daher in seiner Tragikomödie Der Hofmeister (1774) für die klassenlose staatliche Erziehung ein:

      Die von ihrem Hofmeister Läuffer verführte Schülerin Gustchen bekommt ein Kind und geht darauf ins Wasser, wobei sie gerade noch von ihrem Vater gerettet werden kann. Der Hofmeister entmannt sich vor Reue und heiratet anschließend seine Schülerin Lise aus der Dorfschule. Die episodenreiche Nebenhandlung fängt das Hallenser Studentenleben ein.

      Der biographische Anlass zur Tragikomödie Die Soldaten (1776) war das trügerische Eheversprechen des kurländischen Offiziers Baron von Kleist, den Lenz als Hofmeister zur Straßburger Garnison begleitet hatte.

      Die schöne, ehrgeizige Marie sinkt durch die Großmannssucht ihrer bürgerlichen Eltern und die Intrigen eines hochmütigen, adligen Offizierskorps zur Dirne herab und wird von Stolzius, ihrem bürgerlichen Bräutigam, an dem Verführer Desportes gerächt. – »Das sind die Folgen des ehlosen Standes der Herren Soldaten«, heißt es am Schluss; und »damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben«, wird »eine Pflanzschule von Soldatenweibern« gefordert.

      Lenz, der eine Lösung des Problems innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung suchte, schrieb auch eine Abhandlung Über die Soldatenehen und wandte sich in dieser Sache später an Herzog Karl August von Weimar. Doch nicht die etwas merkwürdigen Reformvorstellungen, sondern die literarischen Vorzüge des Stückes wiesen in die Zukunft. Lenz baute Die Soldaten »shakespearisierend« aus einer atektonischen (vgl. Kap. 3, Anm. 23), offenen Reihe von 35 Splitterszenen, in deren kürzester nur sechs Worte gesprochen werden. Doch Wort und Gebärde sind überall so fein auf Charakter und Situation abgestimmt, dass Lenz als Begründer des sozialkritischen Milieudramas in die deutsche Literaturgeschichte einging. Büchner, der den von Lenz begonnenen Weg fortführen sollte, beschrieb in einem Novellenbruchstück das Entstehen der geistigen Umnachtung, die über Lenz, den begabten Jugendfreund und Rivalen Goethes, 1778 hereinbrach.

      Emilia Galotti, Das leidende Weib, Der Hofmeister,Die Soldaten – immer wieder wurden die Spannungen der Standesgesellschaft in Verführungsdramen behandelt. Aber erst die Zuspitzung zum Motiv der Kindesmörderin in den Balladen,16 in der Gretchentragödie des Urfaust und in dem Drama Die Kindermörderin (1776) von HEINRICH LEOPOLD WAGNER (1747–1779) veranschaulicht die ganze Gefährdung der Frau in dieser Zeit. Das sich selbst verwirklichende Genie, der Kraftmensch, war meistens ein Mann, war ein »Kerl« wie GOETHES Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (1773).

      Nachdem Goethe sein Studium in Straßburg als Lizentiat der Rechte beendet hatte, eröffnete er 1771 in Frankfurt eine Anwaltspraxis. Es dauerte aber nicht lange, bis sich Goethes Spaß an der Gerichtsrhetorik erschöpft hatte und das junge Genie die Arbeit kurzerhand fallenließ, um sich einer ihm ebenbürtigen Gestalt aus der vaterländischen Vergangenheit zuzuwenden. Das heißt, Goethe stilisierte den an sich wenig ehrbaren Raubritter Götz von Berlichingen zu einem wehr- und wahrhaftigen Ritter, zu einem Stürmer und Dränger im historischen Gewand. Im Text heißt es über den urwüchsigen Raufbold: »Er ist das Muster eines Ritters, tapfer und edel in seiner Freiheit, und gelassen und treu im Unglück.« Sein Gegenspieler ist der verweichlichte Höfling Weislingen, der sich durch den »Händedruck eines Fürsten, und das Lächeln einer schönen Frau« verführen lässt, seinem Freund Götz den Treueid zu brechen. Danach plagt den Wankelmütigen das Gewissen. Weislingen vergleicht sich mit Götz und klagt: »Ich mag mir vorlügen, ihn hassen, ihm widerstreben … O warum muß ich ihn kennen, oder warum kann ich nicht der zweite sein.« – »Sein Dasein ist ein Monument deiner Schwäche. Auf! Zerstörs, da noch Zeit ist«, hetzt die schöne Verführerin Adelheid, die Weislingens Hassliebe zu Götz für sich nutzen möchte. Doch als Weislingen zaudert, verwirft sie ihn verächtlich: »Du bist von jeher der Elenden einer gewesen, die weder zum Bösen noch zum Guten einige Kraft haben.« Adelheid lässt Weislingen vergiften.

      Auch Götz bricht einen Eid. Er hatte auf Weislingens Betreiben dem Kaiser Urfehde (Friedensversprechen mit Verzicht auf Rache) schwören müssen. Doch als die Bauern aufstehen, um gegen ihre Leibeigenschaft zu kämpfen, wird Götz, der anders als Weislingen nicht der Eitelkeit, sondern der Stimme seines redlichen Herzens gehorcht, Anführer der Bauern und übt noch einmal »in einer ehrlichen Fehd« das Faustrecht. Gefangen genommen, spricht er: »Stirb, Götz – Du hast dich selbst überlebt […]. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen.« Herders schwarzseherischer Geschichtsauffassung entsprechend wird Götz ein Opfer des Zeitgeistes. Die letzten Worte klagen und mahnen: »Edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß! […] Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt!«

      Obgleich das Stück mit 50 Einzelszenen einen epischen Zug hat und, wie Goethe gegen Eckermann bekannte, auf dem Theater nicht recht gehen wollte, erregte es doch durch seine historisierende und volkstümlich-kraftvolle Sprache sowie durch die offene dramatische Form großes Aufsehen. Die jungen Stürmer und Dränger sahen und priesen in Götz ihr Ebenbild.

      Hatte Goethe mit seinen frühen Dramen Götz von Berlichingen (1773), Clavigo (1774) und Stella (1776) das Theater des Sturm und Drang eröffnet, so hat es Schiller mit seinen Jugenddramen Die Räuber (1781), Fiesco (1783) und Kabale und Liebe (1784) vollendet.

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