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ins Gesicht, sodass dieser nach hinten fliegt und regungslos auf der Treppe liegen bleibt. Jetzt ist der Weg frei. Die Meute drängt an Felix und den anderen vorbei, laut schreiend und wutentbrannt die Treppe herauf, Paul entgegen. Paul springt die letzte Stufe nach oben, um einen besseren Stand gewinnen zu können. Immer wieder versucht er Ordnung in das entstehende Chaos zu bringen, das um ihn herum entbrannt ist. Durch das Fenster, das vom Aufenthaltsraum in den Flur führt, fliegt mit einem Klirren und Poltern die kleine Kapselmaschine, aus der Paul sich am Morgen seinen Kaffee gezogen hat, und bleibt nur wenige Zentimeter vor seinen Füßen liegen. Weiter hinten im Flur versuchen zwei Männer gerade den großen Kopierer aus dem Kopierraum heraus auf den Flur zu ziehen, dabei treten und schlagen sie auf das Gerät ein, als würden sie so Informationen aus ihm herausfoltern können. Hinter Paul beginnt es warm, ja sogar heiß, zu werden, im Umdrehen entdeckt er das Feuer, das auf einem der Stapel mit frischem Druckerpapier zu lodern begonnen hat. Er hätte wissen müssen, dass heute der Tag des Feuers sein würde, er hätte wissen müssen, dass heute der Tag ist, an dem er fliehen muss, und trotzdem, trotz all der Planung, überkommt ihn Panik. Zu viele Menschen halten sich noch in dem Gebäude auf. Mit schnellen Schritten eilt er auf den Stapel zu, versucht verzweifelt mit seinem Schuh, den er sich vom Fuß gezogen hat, das Feuer am Ausbrechen zu hindern. Sein Schuh, der dieser Aufgabe bei weitem nicht gewachsen ist, fängt dabei Feuer und entflammt einen weiteren Stapel, der sogleich lichterloh in Flammen aufgeht. Paul, der jetzt vor einem weitaus größeren Problem steht, spurtet, sich der Situation bewusst werdend, in Richtung der Treppe, die zur Werkshalle führt, um den hinter dem Werkstor stehenden Feuerlöscher zu holen.

      Das Werkstor ist ordnungsgemäß verschlossen und zu seinem Glück ist der Feuerlöscher noch an Ort und Stelle. Zum ersten Mal in seinem Leben dankt er insgeheim den ständigen Kontrollen von Sprinkleranlagen und Sicherheitsequipment – auch wenn die Sprinkleranlagen an diesem Tag nicht ausgelöst werden, sie würden ihren feuchten Segen nicht auf die Maschinen und Arbeiter ergießen, sie würden die Flammen nicht bremsen und das Unglück verhindern, das sich anbahnt. Sie haben es so geplant, das Feuer muss groß und gewaltig werden, so groß, dass es ihm Zeit verschaffen kann, Zeit alles hinter sich zu lassen und irgendwo anders neu anzufangen. Unsicher greift er nach dem roten Feuerlöscher und sprintet zurück zu dem Feuer, das er zuvor zurückgelassen hat. Am Papierstapel angekommen, trifft ihn die Erkenntnis jedoch schneller, als er den Feuerlöscher vor sich halten kann. Das zuvor noch kleine Feuer hat sich in rasend kurzer Zeit zu einem wahren Feuerinferno ausgebreitet und leckt immer schneller die Wände nach oben, um sich durch die Tapete zu den nächsten Papierstapeln zu fressen. Der Flur hat sich bereits mit dicken Rauchschwaden gefüllt, die jetzt auch die Treppen hinunter in die Werkshalle ziehen. Er hätte für all das bereit sein müssen, das Feuer, das sich immer mehr auftürmt, nutzen, um sich aus dem Staub zu machen, einen besseren Zeitpunkt würde er nicht mehr bekommen, aber niemand der Arbeiter verlässt das Gebäude, sie bleiben in der brennenden Werkshalle und denken gar nicht daran sich in Sicherheit zu bringen. Ihre Köpfe sind zu voll mit Hass und Wut. Immer noch unsicher, welche Entscheidung die richtige ist, versucht er das Feuer zu bändigen und so viele Menschen wie möglich aus dem Gebäude zu drängen. Seine über die Jahre rundlich gewordene Sekretärin rennt aufgeregt an ihm vorbei, bremst dann aber schwerfällig ab, als sie den riesigen Mann zwischen den Flammen stehen sieht. Hustend hält sie sich ihr T-Shirt über den Mund, um dem tödlichen Rauch den Einlass in ihre Lungen zu verwehren. „Paul? Was machst du noch hier? Du musst hier weg“, ruft sie ihm besorgt entgegen. „Sind hier noch mehr Menschen, Cara?“ Paul ignoriert die Sorge der Frau, die immer mehr anfängt zu husten. „Nein, ich glaube nicht, aber hundertprozentig sicher kann ich das nicht sagen.“ Die Frau wirkt nervös. „Okay, ich werde noch einmal nachsehen, aber mach, dass du hier wegkommst, und sage das bitte auch den anderen, die du auf dem Weg nach draußen triffst.“ Die Frau dreht sich schon zum Gehen, will vor dem lodernden Tod fliehen, der immer dichter an die beiden rückt, doch Paul hält einen Moment inne. Ein seltsamer Ausdruck legt sich auf sein Gesicht, den Cara noch nie an einem Menschen gesehen hat. Etwas weicht aus dem Mann heraus, verschwindet, wie ein Schatten in der Dunkelheit. Paul redet weiter, seine Stimme hat sich verändert, sie ist weniger hektisch und laut, mehr ruhig und farblos. Die Wichtigkeit, die er den Worten schenkt, lässt Cara trotz der Hitze kalt werden. „Ach, und Cara, tue mir bitte den Gefallen und sag Felix, dass er Okapi aufhalten muss, wenn mir etwas zustoßen sollte, und dass Oskar Bescheid weiß. Ich habe einen Fehler gemacht und für die falschen Leute gearbeitet. Ich werde durch diese Entscheidungen eines Tages einmal meine Kinder in Gefahr bringen, aber ich kann jetzt nicht gehen, ohne sicher zu sein, dass keiner bei dem Versuch mich zu retten stirbt. Sie werden es verstehen. Mein Leben ist das Leben vieler nicht wert.“ Die rundliche Frau nickt verängstigt und verwirrt. „Paul, ich verstehe nicht, was das bedeutet, und kann nicht zulassen, dass du dein Leben riskierst.“ Paul schüttelt den Kopf und schiebt seine Sekretärin von sich weg. „Du musst das nicht verstehen. Jeder muss einmal sterben. Jeder Zeiger läuft einmal seine letzte Runde, nur hoffentlich nicht heute, aber sollte es entgegen unserer Bemühungen doch passieren, musst du das für mich tun. Vergiss es bitte nicht.“ Cara legt besorgt ihren Kopf schief, dem Mann zu widersprechen scheint nicht zur Debatte zu stehen. „Pass auf dich auf Paul.“ Er nickt Cara noch einmal zu, dann drückt auch er sich seinen Pullover über den Mund und läuft in die Richtung, aus der vorher seine Sekretärin angerannt kam.

      Weit wird er allerdings nicht mehr kommen, denn noch bevor er die Treppe nehmen kann, die ihn in Richtung seines Büros führt, trifft ihn ein dumpfer Schlag am Hinterkopf. Der Boden rast auf ihn zu, es wird schwarz um ihn herum und er verliert sein Bewusstsein.

      6. Rügen, Deutschland

      Die Windböe, die sie trifft, ist gewaltig. Lila wird von dem feuchten, kalten Wind erneut nach hinten ins Gras gedrückt. Mit weit aufgerissenen Augen und leicht geöffnetem Mund starrt sie Evelin an, die ebenfalls neben ihr ins Gras gedrückt wurde. Der Windzug, der so plötzlich verschwunden ist, wie er gekommen war, hatte Lila eine Gänsehaut über den Rücken gejagt. „Was? War? Das?“ Evelin hatte mit der Überraschung ihrer Freundin gerechnet, muss aber so sehr über Lilas entsetzten Gesichtsausdruck lachen, dass sie keinen klaren Satz herausbringen kann. Erst als Lila sich wieder entspannt und ebenfalls zu lachen beginnt, bekommt Evelin etwas über die Lippen. „Das, was wir gerade spüren durften, war ein Windzug, der sehr lange gereist ist, um hier einzutreffen, viele Kilometer über den offenen Ozean, bis er genau hier wieder auf Land traf. Stell dir vor, dass er Tage lang da draußen war“, Evelin zeigt auf den offenen Ozean, „dass er tausende Brandungs- und Gischttropfen eingesammelt hat, nur um sie hier feucht und kühl gegen das Land zu werfen.“ Lilas Lachen verstummt und wandelt sich in Faszination. Erwartungsvoll sieht sie auf den Ozean, so, als könne sie den Wind sehen, der auf das Land zurast. „Passiert das überall an der Küste?“ Evelin schüttelt den Kopf. „Nein, soweit ich weiß nicht, ich kenne nur ein paar Stellen, an denen man diese Windböen spüren kann.“ Lilas Verblüffung ist fast greifbar. „Woher weißt du das alles?“ Evelin wendet ihren Kopf von Lila weg und richtet sich, auf ihre Hände gestützt, auf. Nachdenklich sieht sie auf den Horizont und fährt mit den Händen über das trockene Gras. „Ich weiß noch viel mehr als das. Ich weiß alles über das Meer und seine Bewohner, leider haben die Menschen in letzter Zeit nicht mehr sehr viel mit dem Meer zu tun und viele der Geschichten gehen verloren. Du wolltest wissen, woher ich das alles weiß?“ Sie steht auf, streicht mit der freien Hand ihre dicken braunen Locken aus dem Gesicht, die von einer erneuten Böe um ihre, mit Sommersprossen übersäte, Nase gewirbelt wurden, und dreht sich dann zu ihrer immer noch im Gras liegenden Freundin um. „Mein Vater hat es mir erzählt, bevor er Mr. Workaholic wurde und keine Zeit mehr für mich findet. Er erzählte mir viele Geschichten über das Meer. Zum Beispiel, dass diese Böen Erinnerungen sind, die jemand vergessen hat und über den Ozean getragen werden, damit sie jemand anderes vor dem Verschwinden bewahren kann.“ Mit diesen Worten streckt Evelin Lila die Hand entgegen und hilft ihr aus dem hohen Gras zu kommen, das sie verschluckt hat. Gemeinsam rennen sie über die Wiese zurück zur Straße und treten den Rest des langen Heimwegs an.

      Als sich nach einer weiteren Stunde endlich der Kirchturm vor ihnen aufreckt, der die Hauptstraße markiert, hat sich die Sonne so weit abgesenkt, dass sie wie eine Halbkugel auf dem rot und gelb glitzernden Horizont liegt und ein bisschen Abkühlung über das

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