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§4253. Nathalie D. Plume
Читать онлайн.Название §4253
Год выпуска 0
isbn 9783754188163
Автор произведения Nathalie D. Plume
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Aber auch in Amerika gab es nach einiger Zeit immer mehr Flüchtlinge, die zu jung waren, um sie zurückzuschicken, und auch Philippe hatte es geschafft eine der begehrten Staatsangehörigkeiten zu bekommen und kämpfte sich immer weiter in die amerikanischen Sitten und Bräuche hinein. Er schaffte es sogar eine Arbeit in einer nahegelegenen Schlachterei zu erhalten. Eines Nachmittags, am Ende eines langen Arbeitstages, ließ Philippe sich auf einen der großen weißen Eimer fallen, in den das Rinderblut aufgefangen wurde, und starrte auf die Weiten der vor ihm liegenden Weiden. Sein damaliger Chef setzte sich zu ihm und hielt eine Zigarette vor seine Nase. Philippe lehnte das teure Vergnügen dankend ab und beobachtete, wie die Rauchschwaden in die flimmernde Luft stiegen. „Weißt du was?“, hatte der Schlachtmeister das Wort erhoben und quatschte den zwanzigjährigen Franzosen in einem starken texanischen Akzent an. „Ich glaube, du bist kein Schlachter, mein Junge, ich glaube, du bist alles, nur das nicht, selbst Ballerina würde dir besser stehen, so wie du immer zuckst, wenn du den Bolzen in die Rinderköpfe schießt. Ich will nicht sagen, dass du kein Talent hast, ganz im Gegenteil, ich kannte noch nie jemanden, der so präzise tötet wie du, aber hast du mal daran gedacht, einen anderen Weg zu wählen, ich glaube dein Talent wäre beim Militär sehr willkommen.“ Philippe, der den häufig stark nuschelnden Mann nur schwer verstand, winkte ab. „Bei allem Respekt Sir, ich bin froh, dass ich eine Arbeit habe, aber ich töte eigentlich sehr ungerne. Ich glaube nicht, dass ich ein Soldat sein könnte, ich möchte niemanden töten, wenn ich jemanden beschützen kann.“ Das bellende Lachen schallte Philippe um die Ohren und unvermittelt zuckte er zusammen. „Aber, aber als Soldat bist du in diesem Land sehr geachtet.“ Ein schüchternes Kopfschütteln. „Nein, Sir, das kann ich wirklich nicht.“ Der dicke Mann stand auf, warf die Zigarette auf den staubigen Boden, zerdrückte sie zwischen Sohle und Sand und beugte sich zu Philippe hinunter. „Dann geh halt zur Bullerei, mein Junge.“ Mit völligem Unverständnis erwiderte Philippe seinen Blick. „Aber Sir, ich arbeite doch bereits in einer Bullerei.“ Ein gellendes Lachen, der dicke Mann brach unter einem Beben zusammen, wie ein Schwein kugelte er sich vor Lachen im Sand, danach erhob er sich, packte Philippe beim Ohr, zog ihn an seine Brust und sagte in gut gemeinter Ernsthaftigkeit. „Ernsthaft, pack deine Sachen und arbeite für die Polizei, ich will nicht mehr sehen, wie du dich hier von Tag zu Tag durch deine Arbeit quälst, du bekommst ein Ticket für den Bus und zwei Gehälter, morgen bringe ich dich zur Haltestelle. Du bleibst nicht hier, aus dir wird noch was, du wirst schon sehen.“
Aus Philippe wurde auch etwas. Am nächsten Morgen brachte ihn der dicke Mann tatsächlich zur Haltestelle, drückte ihm ein Bündel Geld in die Hand und einen dicken, feuchten, nach Nikotin und Rind stinkenden Kuss auf das Haar und winkte dem Bus hinterher, bis der schon nicht mehr zu sehen war. Der Bus fuhr ohne Halt immer weiter, durch einen Tag und eine Nacht und als die Sonne wieder zu sehen war und Philippe seine Augen öffnete, schlängelte sich der Bus bereits durch den High Yorker Verkehr. Die Stadt, die durch die Fortschrittlichkeit der Wälle und Kaimauern nun viele Meter über dem Wasserspiegel lag und deswegen seinen neuen Namen trug, war noch beeindruckender, als Philippe es sich zu erträumen gehofft hatte. Manhattan war gewaltig und High York zu seinem „American Dream“ geworden. Von dem Geld in seinem Rucksack kaufte er sich die größte Wohnung, die er finden konnte – dass es am Ende nur eine alte, ranzige und halb zerstörte Fabrikhalle wurde, spielte für den jungen Mann keine Rolle. Er genoss die hohen Wände und deckte die Löcher in den Fenstern mit Decken ab, die er einer alten Frau mit grauen Haaren und einem Einkaufswagen abkaufte. Er schrieb sich beim High Yorker Police Department ein und einige Monate später thronte er neben Dorian auf jenem unbequemen Klappstuhl.
„Glaubst du, dass die amerikanische Regierung wirklich als Einziger wusste, dass die Polkappen weiter schmelzen werden?“ Philippe sieht zu dem schmatzenden Dorian herüber, der gerade einen senfigen Kampf gegen eine Salatgurke verliert. „Was meinst du?“, schmatzt er Philippe entgegen. „Na ja, die Sache mit dem Klimawandel war doch allen bewusst, oder? Warum haben wohl nur die Amerikaner gehandelt.“ Die Salatgurke fällt mit einem Flatsch auf Dorians Hose, wild fluchend reibt er auf dem immer größer werdenden Fleck herum, schluckt den Bissen herunter und wendet sich dann wieder Philippe zu. „Also ich persönlich glaube, dass die Amerikaner sich da etwas beweisen mussten. Ich meine, durch die ziemlich bescheuerte Wahl unseres Präsidenten, ich meine, bevor das alles so richtig schlimm wurde, waren es wir, die den Klimawandel geleugnet haben. Mit dem Wechsel des Präsidenten änderten sich auch die Ansichten der Bevölkerung und der neue Präsident wollte wohl beweisen, dass die USA eben doch an den Klimawandel glauben. Dass das am Ende wirklich alles stimmte, war vermutlich mehr Zufall als Planung.“ Bevor Dorian wieder in das tropfende Sandwich beißt, stellt er Philippe noch die Frage, die ihn den ganzen Tag schon beschäftigt. „Du, Philippe? Du musst da natürlich nicht drauf antworten, aber was glaubst du ist in den Ordnern, die du vom Captain hast?“ Philippe schwingt seine Beine über die Kaimauer, steht auf und lehnt sich gedankenverloren gegen die Brüstung. „Ich glaube die Wahrheit.“ „Welche Wahrheit?“, nuschelt Dorian um das Stück Sandwich in seinem Mund herum. „Die Wahrheit, was uns die Zukunft bringen wird.“ Mit einem Würgen schluckt Dorian das letzte Stück Sandwich herunter und gesellt sich neben Philippe an die Brüstung. „Du meinst, da stehen die geplanten Absätze des § 4253 drin? Wäre es nicht furchtbar? Stell dir vor sie verbieten nicht nur den Autobau, sondern Autos komplett, das wäre katastrophal und ein ziemlich drastisches Eingreifen in unser Leben. Ich habe im Internet gelesen, dass sie sogar den Strom aus der Atomkraft abstellen wollen, ich denke aber, das ist Quatsch, so verrückt sind die nicht. Was sagst du dazu?“ Philippe starrt auf das schnell fließende Wasser des Flusses, auf die aufgebrachten Wellen und auf die laut vorbeidampfenden Touristenkreuzer. „Ehrlich gesagt Dorian, glaube ich, dass uns das ganz richtig geschieht. Wir Menschen sind viel zu respektlos mit unserer Heimat umgegangen, wir wollten immer weiter hinauf, immer schneller mehr Geld machen und jetzt haben es endlich mal ein paar Menschen in die Hand genommen etwas zu ändern, uns den Spiegel unter die geschlossenen Lider zu schieben und uns auf unsere eigene Wahrheit gestoßen.“ Dorian kneift perplex die Augen zusammen. „Ich glaube nicht, dass es solche Drastik dazu braucht, Philippe, wie willst du das auch beurteilen.“ Philippe lässt das Geländer los und presst Dorian die Faust gegen die Brust. „Ich glaube, ich kann das sehr gut beurteilen, ich habe durch