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      Eine ehemalige Bezirksrichterin verleugnete sich selbst am Telefon, verhaspelte sich aber dabei: „Ich bin nicht da, und die frühere Richterin ist meine Schwester.“ Und die sei auch nicht da.

      Alle Versuche, mich zu belügen, wurden von Personen unternommen, denen es darum ging, sich als Opfer herauszustellen, um an Immobilien heranzukommen, die ihnen zu DDR-Zeiten angeblich abgenommen oder nicht zugesprochen worden waren.

      So ging es einmal um einen dörflichen Wegerecht-Streit unter Nachbarn. Der Besitzer des großen Grundstücks, an das der Weg grenzt, behauptete mir gegenüber, seine Nachbarn hätten ihm mit Hilfe der Stasi zu DDR-Zeiten einen drei Meter breiten Streifen seines Landes abgenommen, um ein anderes Grundstück leichter erschließen zu können. Auf die Idee, diesen vermeintlichen Willkürakt als Skandal unter dem beliebten Stichwort „Alte Seilschaften“ der Zeitung anzutragen, kam der Mann erst, nachdem der Grundstücksstreifen von der Gemeinde 1994 als Weg befestigt und mit einem Namen versehen worden war und sich eine Klage vor Gericht dagegen als fruchtlos erwiesen hatte.

      In einem anderen Fall versuchte sich ein vor dem Mauerbau nach Westen geflohener früherer DDR-Bürger mir gegenüber als politischer Flüchtling zu profilieren. Dafür konnte er keinen Beleg erbringen, kein Aktenstück, nichts. Nur einen Brief des damals für ihn zuständigen Betriebs-Parteileiters, er möge sich dann und dann zu einem Gespräch einfinden. Vor dem Termin sei er geflohen, weil er gewarnt worden sei, behauptete der Mann. Er sagte, bevor ich nach Zeugen fragen konnte, gleich dazu, die Frau, die ihn gewarnt habe, wolle davon heute nichts mehr wissen.

      Dann rückte er heraus, worum es ihm wirklich ging: Seine Familie habe damals in einem Einfamilienhaus in einer Siedlung gewohnt, die in den 60er und 70er Jahren Haus für Haus zu lächerlich geringen Preisen an die Bewohner verkauft worden sei: „Hätte ich bleiben können, hätte ich alles darangesetzt, daß meine Mutter, die damalige Mieterin, das Haus gekauft hätte. So achtete niemand darauf, und der alten Frau war es selbst auch egal.“

      Der Mann fragte mich allen Ernstes, ob es für ein Stasi-Opfer nicht möglich sein müsse, den Kauf des Hauses einzuklagen. Ich sagte ihm, die Frage der potentiellen Wahrnahme einer potentiellen Kaufoption könne er meinetwegen einem Gericht antragen – aus journalistischer Sicht sei seine Geschichte ein Windei und geradezu eine Beleidigung für die vielen Menschen, die Jahre in DDR-Knästen verbracht oder jahrzehntelang unter Stasi-Beobachtung gestanden hätten.

      Vieles erinnert an die Zeit nach 1945. Kaum heilbare Traumata bei den Opfern, moralisches Trittbrettfahrertum, Desinteresse bei den meisten Unbeteiligten, keine Reue bei den Tätern, kaum Chancen auf eine Ahndung der Taten. Und wie damals geleugnet, verschleiert und relativiert wurde – schließlich hat Hitler die Autobahnen gebaut und den Bolschewismus bekämpft –, sind erneut Leugner und Relativierer aktiv: Schließlich war Hitler viel schlimmer, wurden Nazis nach dem Kriege kaum verfolgt, gibt es auch in der Bundesrepublik Justizskandale – und hatten nicht alle DDR-Bürger Arbeit, die Kinder einen Kindergartenplatz?

      Noch scheint die Zeit nicht reif, daß eine Generation wie die 68er im Osten aufsteht, um die Eltern und die Großeltern nach ihren Akten zu fragen: „Auf welcher Seite habt Ihr gestanden?“

      Eingedenk dessen denken viele Staatsanwälte schon seit einiger Zeit laut darüber nach, ob nicht ein gesellschaftliches Tribunal ohne nachgeordnete Exekutive als rein moralische Instanz die Aufräumarbeit da übernehmen sollte, wo die Justiz Unrechtsgefühle nicht beruhigen kann – schon um Rechtsfrieden wenigstens in solchen Fällen herzustellen, wo die Diskrepanz zwischen dem, was gerecht wäre und dem, was Recht ist, besonders groß ist.

      Sechs Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten scheint dieser Zug allerdings abgefahren.

       Berlin, im Februar 1997

      „Von der Sowjetunion lernen...“

       Die Ursprünge der Staatssicherheit ein Import

      Werner Schöne ist um Fassung bemüht. Sein Kinn zittert, seine Augen werden feucht. Er sagt: „Ich bin nicht rachsüchtig“.

      Doch einen gibt es, einen Offizier der Staatssicherheit, groß, schlank, offenbar nicht ohne zynischen Humor und Arroganz, bei dem weiß Schöne nicht, ob er sich beherrschen könnte, wenn er ihm begegnen würde. Der Mann nannte sich Günter K..

      Über vier Jahre lang war Schöne vom sowjetischen Geheimdienst gefangengehalten worden, dann über ein Jahr Zwangsarbeit im DDR-Knast. Jahre später noch einmal nahezu 16 Monate Haft. Dann erpreßte ihn Günter K. zur Mitarbeit bei dem verhaßten Geheimdienst. „Wenn ich den zwischen die Finger bekomme, bringe ich den um“, sagt Werner Schöne. Nein, er habe als Inoffizieller Mitarbeiter niemandem geschadet, behauptet er. Von 1963 bis zum Ende der DDR hätte er über die Stimmung bei der Reichsbahn berichtet, wo er arbeitete. Ohne Namen zu nennen.

      „Die haben mich mein ganzes Leben lang nicht in Ruhe gelassen.“ Er stützt eine Hand auf die verblichene Plastiktischdecke und dreht sich etwas steif um, blickt in seinen Schrebergarten in der Nähe des Bahnhofs von Frankfurt (Oder), als ob im Schatten zwischen den Obstbäumen und Stauden plötzlich etwas sehr Interessantes zu sehen wäre.

      Dann fängt er sich und beginnt seinen Bericht.

      Als er 1950 aus sowjetischer Internierung nach Hause zurückkam, wog er nicht einmal 45 Kilo. „Ich habe mich praktisch ein Jahr lang erstmal durchgefressen.“ Dann ging er wieder zur Bahn, wo fünf Jahre zuvor seine Lehre begonnen und nie abgeschlossen hatte. Nach Frankfurt (Oder), erst in eine Gleisbau-Rotte, dann wurde er Rangierer auf dem Personenbahnhof.

      Er bezog ein möbliertes Zimmer in der Innenstadt.

      Wie viele junge Leute fuhr er gern nach West-Berlin. Er kaufte sich eine „Texasjacke“ aus Leder und Boogie-Schuhe.

      Eines Tages standen Stasileute vor der Tür. Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit. Die Schließer trugen noch die Uniform der Kasernierten Volkspolizei; die Vernehmungsoffiziere waren wie Offiziere der Russischen Armee gekleidet. Die Stasi war noch jung.

      Schöne wurde niemals nachts verhört, im Gegensatz zu vielen seiner Leidensgenossen. Der Fall war ohnehin klar. „Ich habe nichts abgestritten“, erzählt Schöne.

      Einer Schuld im Sinne der Anklage war sich der 26jährige nicht bewußt: Die Klage, die er kurz vor dem Prozeß erstmals für eine halbe Stunde lesen durfte und dann wieder abgeben mußte, lautete auf Militärspionage gemäß Kontrollratsdirektive 38 und Artikel 6 der DDR-Verfassung. Beweis: Er war nach West-Berlin gefahren. Sein Pflichtverteidiger riet ihm dringend, sich nicht zu verteidigen. Der Anwalt unternahm derlei selbst auch nicht für seinen Mandanten.

      Urteil: Zwei Jahre.

      Schöne verbüßte die Strafe in Zwickau beim Bergbau.

      Nach 15 Monaten Schwerstarbeit kehrte Schöne 1953 an seinen Arbeitsplatz auf dem Frankfurter Bahnhof zurück – zum Schweigen nicht verpflichtet, aber schweigend, als wäre nichts gewesen, wie auch die Kollegen keine Fragen hatten.

      Er machte Karriere, wurde Rangierleiter, gründete eine Familie.

      Kurz vor dem Mauerbau wies Schöne das Ansinnen des Stasimanns Günter K., er möge als Inoffizieller Mitarbeiter den Zuträger für den Geheimdienst spielen, mit den Worten ab: „Ich bin Eisenbahner, kein Spitzel.“

      K. daraufhin: „Gut. Wir sehen uns wieder.“

      Ende August 1961 rief man Schöne ins Büro des Bahnhofvorstehers. Drei Mann in Zivil erwarteten ihn. Stasi.

      Festnahme, Untersuchungshaft: „Fortgesetzte staatsgefährdende Hetze“ und „Morddrohung“ hielt ihm die Klageschrift vor, die er nach drei Monaten Untersuchungshaft für eine halbe Stunde vor dem Prozeß zu sehen bekam.

      Denunzianten hatten „dumme Sprüche“ Werner Schönes, die als Witz gemeint

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