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Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann
Читать онлайн.Название Dich kriegen wir weich
Год выпуска 0
isbn 9783738043860
Автор произведения Joachim Widmann
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Das Urteil: Zwei Jahre.
Schöne wurde nach Sachsen zum Zuchthaus Waldheim gebracht, wo er im Versand des gefängniseigenen Spinnereimaschinenbaus arbeitete. Nach der Internierung und der Bergbau-Arbeit empfand er die Haft diesmal als nicht zu hart. Weihnachten 1962 – Schöne erinnert sich unter Tränen – wurde er „ohne Ankündigung“ auf Bewährung entlassen. „Ich dachte noch, ich werd’ verscheißert. Das war da eine übliche Schikane, einem zu sagen: Du kommst raus, und dann ist nischt. Aber da war ein Wachtmeister, der sagte: Ich verscheißere keinen, Du kommst raus.“
Ende Januar 1963, nur vier Wochen nach seiner Entlassung, wurde Werner Schöne erneut in die Chefetage des Frankfurter Bahnhofs zitiert. In die Kaderabteilung.
„Jeder wußte, das ist Stasi.“
Sein alter Bekannter Günter K. drohte: „Du wirst Inoffizieller Mitarbeiter oder gehst wieder in den Knast. Mindestens für zehn Jahre.“
Schöne: „Da habe ich zugesagt.“
Rund 180 000 Meter Akten lagern in den Archiven des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Millionen Seiten Geschichte und Politik der DDR, Schicksale von DDR-Bürgern. Tätern und Opfern.
Trotz der schieren Größe des Unternehmens war die Staatssicherheit nicht, wie oft leichthin behauptet, ein „Staat im Staate“. Die Stasi verwaltete keine eigenen Machtansprüche. Sie war „Schild und Schwert“ der Staatspartei SED, und damit das Rückgrat der Parteimacht, die gegen ihre „Feinde“ zu verteidigen war.
In dem Verdacht, ein „Feind“ zu sein, stand theoretisch jeder, der sich nicht in der SED engagierte und nicht unablässig seine Zustimmung zu den Zielen der Partei äußerte. Was die Ziele der Partei sind, bestimmte deren höchstes Gremium, das Zentralkomitee, dessen Exekutivorgan, das Politbüro, praktisch allmächtig war.
Die Stasi war das Scharnier zwischen Partei und Staat: Sie besorgte und überwachte die Gleichschaltung aller Lebensbereiche, indem sie Einfluß auf die anderen Parteien, Massenorganisationen, Behörden, Betriebe oder Personen ausübte und Parteien, Organisationen, Behörden, Betriebe und Personen überwachte. Dem diktatorischen Feindbild – „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ – entsprach ihre Arbeitsweise – sie war an nichts als den Willen der Parteiführung gebunden, verstieß gegen geltendes Recht, ohne selbst eine Strafverfolgung fürchten zu müssen.
Bei oberflächlicher Betrachtung des vorhandenen Materials ist via Vermittlung durch die Medien vielfach der falsche Eindruck entstanden, jeder DDR-Bürger sei entweder Mitarbeiter der Stasi gewesen oder auf Schritt und Tritt verfolgt worden, und daß es nur eines unbedachten Wortes bedurft habe, um in Schwierigkeiten zu geraten.
Die Stasi hatte Zeit ihrer Existenz an dieser Legende von Allmacht und Allwissenheit selbst gearbeitet.
Und sie war wirklich fast überall vertreten. Wo sie nicht vertreten war, verlangte sie Herausgabe von Informationen oder warb nach Möglichkeit Inoffizielle Mitarbeiter an.
Doch ergab die Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, daß durchschnittlich nicht mehr als zwei Prozent der DDR-Bürger haupt- oder nebenamtlich Stasi-Mitarbeiter waren. Von den übrigen ist etwa jeder Dritte in einer Akte erfaßt worden. Die meisten dieser Akten sind kein Beleg für Spitzeleien oder Stasi-Ermittlungsverfahren, sondern schlicht Sammlungen personenbezogener Daten, wie sie in den Zentralen Material-Ablagen jeder Stasi-Bezirksverwaltung gesammelt wurden: Name, Alter, Adresse, Arbeitsstelle...
Die Legende von der Allmacht der Stasi war eines der wesentlichen Machtinstrumente der DDR-Führung. Willkür und Unberechenbarkeit der Ordnungsbehörden sorgten für Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. Wie ausgeprägt dies Gefühl gewesen sein muß, zeigt sich bis heute, wenn Betroffenen Akteneinsicht gewährt wird: „Viele sind überrascht, ja manchmal enttäuscht darüber, wie wenig die Stasi gewußt hat“, erzählt die Historikerin Dr. Andrea Herz, die beim Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Thüringen arbeitet.
Als 1989 Angst und Unsicherheit bei DDR-Bürgern – zunächst nur bei einer politisch aktiven Minderheit von ein paar Tausend Menschen – schwanden, löste sich die Macht der SED in nichts auf.
Immerhin hatten sie und der darauf gründende Staat 40 Jahre lang gehalten. Die DDR gehörte damit zu den beständigeren Staaten der neueren Geschichte auf deutschem Boden.
Alles SEDistische folgte einem sowjetischem Vorbild. So auch die Staatssicherheit, die sich bis zuletzt auf die „Ideale“ der TschK (eingedeutscht: Tscheka) berief. TschK war die Abkürzung für den ersten sowjetischen Geheimdienst, der 1917 von den Bolschewiki gegründet worden war, Tschrezvytschajnaja Kommissija. Das Idol der „Tschekisten“, Tscheka-Gründer Feliks Dzierzynski (1877-1926), formulierte den Leitsatz, den die Mitarbeiter der Staatssicherheit sich Für ihre Charakterbildung zu Herzen nehmen sollten: „Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen.“viii
Im „Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit“ der Staatssicherheit, das von 1970 an in mehreren aktualisierten Fassungen herausgebracht wurde, heißt es unter dem Sichwort „Persönlichkeit, tschekistische“: „eine sozialistische Persönlichkeit, die als Angehörige(r) eines sozialistischen Sicherheitsorgans im Auftrage und unter Führung der Partei der Arbeiterklasse unmittelbar und direkt für den Schutz des Sozialismus, für die allseitige und zuverlässige Sicherung der Macht der Arbeiterklasse vor allen subversiven Angriffen des Klassenfeindes kämpft. Sie wird geprägt und entwickelt sich durch die aktive Tätigkeit für den Aufbau und den Schutz der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft, insbesondere im Prozeß der konspirativen tschekistischen Arbeit, im kompromißlosen Kampf gegen den Feind und durch die dazu notwendige tschekistische Erziehung und Befähigung.
Eine tschekistische P. wird vor allem durch solche für die tschekistische Arbeit notwendigen Persönlichkeitseigenschaften charakterisiert wie:
– unbedingte Treue und tiefe Verbundenheit zur Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei,
– unerschütterliche Freundschaft zur Sowjetunion und zu den anderen sozialistischen Bruderländern, Einstellungen und Haltungen, die vom sozialistischen Patriotismus und Internationalismus bestimmt sind,
– Bereitschaft zum ständigen Lernen, insbesondere bei der Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und der Vertiefung des Verständnisses der Politik der Partei der Arbeiterklasse,
– Entschlossenheit, Mut, politisch kluges tschekistisches Handeln, Opferbereitschaft und Haß im Kampf gegen den Feind auf der Grundlage eines klaren Feindbildes,
– Bereitschaft und Fähigkeit zur Wahrung von Konspiration und Geheimhaltung sowie zur Gewährleistung der inneren Sicherheit der Organe für Staatssicherheit,
– schöpferische Initiative, hohe militärische Disziplin, offenes und ehrliches Auftreten, Bescheidenheit, kritisches und selbstkritrisches Verhalten in und außerhalb der tschekistischen Tätigkeit,
– Willensstärke und Konsequenz bei der Erhaltung und Förderung des physischen und psychischen Leistungsvermögens, sinnvolle Gestaltung der Freizeit.
Diese und ähnliche Persönlichkeitseigenschaften müssen im tschekistischen Arbeitsprozeß, im Prozeß der Erziehung herausgebildet und stärker gefestigt werden.“ ix
Was es mit diesem Ideal auf sich hatte, hatten sowjetische Geheimdienstler gleich nach Kriegsende demonstriert.
Werner Schönes Leidensweg hatte 1945 begonnen.
„So ein verpfuschtes Leben“, meint er und braucht wieder eine Pause, bevor er weiterreden kann. Er zündet sich eine Zigarette an. Wischt sich mit dem Daumen die Augen. Sagt, er habe zunächst Glück im Unglück gehabt.
Mit 16 war der Reichsbahnlehrling aus Hathenow im Oderbruch noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs einberufen worden. Hitlers Militärstrategen hatten die irre Hoffnung propagiert, mit dem „Volkssturm“, einem letzten Aufgebot aus Kindern