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waren, Jochen Stern, berichtet von Schlägen mit Holzknüppeln oder auch „mit der flachen Hand ins Gesicht“, begleitet von Vorwürfen: „Widerstand gegen Besatzungsmacht ... Verleumdung ... Ehre der Sowjetoffiziere besudeln ... Diesmal trugen sie mich in die Zelle.“

      Ein weiteres Druckmittel war der Karzer: Mit nacktem Oberkörper in einer eisigen Zelle, nur jeden dritten Tag eine volle Ration, sonst nur wäßriger Kaffee. „Die Arme dicht am Körper angewinkelt, hockte ich auf dem zementierten Fußboden. In einer Doppelzelle, durch Gitterstäbe geteilt. Gleich einem Käfig.“ Am Tag nach seiner Befreiung aus dem Karzer unterschrieb Stern sein Geständnis: „Lauter Schauergeschichten.“xvii

      ***

      Stets mißtrauisch gegen den Dolmetscher – „Alles war auf Russisch. Ich war mir nie sicher, ob richtig übersetzt wurde. Ich wußte auch nicht, was ich unterschrieb“ –, legte Anneliese Fricke im Verhör die Dinge dar, wie sie gewesen waren. Ihr Name war mit denen der anderen Verhafteten in einem Notizbuch von Claus N. gefunden worden. Aber sie hatte ja die Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt.

      Eines Nachts, beim Verhör, stand N. plötzlich in der Tür. „Ein Bild des Grauens, genau wie die KZ-Gestalten in der Nazizeit.“

      Der Vernehmer fragte: „Fricke, Anneliese, waren Sie Mitglied der Spionageorganisation von N., Claus?“

      „Nein.“

      „N., Claus, war Fricke, Anneliese Mitglied Ihrer Spionageorganisation?“

      „Ja.“

      Da faßte sich die Gefangene ein Herz: „Claus, hatte ich nicht wegen meiner Eltern gebeten, aus dem Spiel zu bleiben?“

      Der Mann, abgemagert und offenbar ebenfalls endlosen, qualvollen Verhören ausgesetzt, nickte mühsam. Doch das spielte keine Rolle. Ein Geständnis wurde aufgesetzt, auf Russisch. „Erst wollte ich nicht unterschreiben.“

      Man sagte drohend: „Sie wollen doch Ihre Eltern und ihre Geschwister wiedersehen...?“

      Sie unterschrieb.

      Im Frühjahr 1948 stand Anneliese Fricke im Vorderhaus des „Lindenhotels“ mit 27 anderen, darunter sieben Frauen, vor einem sowjetischen Militärtribunal, umringt von bewaffneten Posten mit Hunden. Viele der Mitangeklagten waren Bekannte: „Unvorstellbar, wie sich Menschen in einem halben oder Dreiviertel Jahr verändern können. Die Männer waren kahlgeschoren, alle sahen verhungert aus. Während der Untersuchungshaft waren schon einige gestorben aus unserem Fall.“

      Die Anklagen wurden verlesen. „Ich habe die Klageschrift da zum ersten Mal auf Deutsch gehört.“

      Der Prozeß, „eine reine Theaterveranstaltung“, dauerte mehrere Tage lang. Die Anklage konstruierte die Legende einer ungeheuren Spionagekonspiration in Frankfurt (Oder). Basis des Verfahrens war die Aussage, die Claus N. unter der Folter gemacht hatte, außerdem konnte das NKWD aus seinen Aufzeichnungen schöpfen. Denen zufolge hatte Anneliese Fricke einer Gruppierung mit dem Namen „Liberale Organisation“, die N. im Auftrag der Amerikaner angeblich leitete, über das Geschäft ihrer Familie Filme besorgt und selbst auch für N. fotografiert. Für jeden der anderen Angeklagten fanden sich ähnliche Verwicklungen in das angebliche Komplott gegen die sowjetischen Besatzer Ostdeutschlands.

      Erhard Hemmerling (Jahrgang 1923) weiß bis heute nicht, was genau ihn in die Mühle der Geheimdienste geraten ließ. Er weiß, daß er kein Spion war. Doch das hatte in seiner Klageschrift gestanden. Genauer: Spionageverdacht. Nach Sowjetrecht war schon der strafbar – auf Basis der Kontrollratsdirektive 38.

      Sicher: Er hatte den antistalinistischen Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in West-Berlin um eine Rechtsauskunft ersucht. Sicher, er war nicht in die SED eingetreten, sondern, nach einigem Drängen von Vertretern der Staatspartei bei der Reichsbahn, in die Blockpartei NDPD, „um meine Ruhe zu haben“, wie er sagt.

      Die NDPD war 1948 auf Betreiben von SMAD und SED gegründet worden, um unter eigener Regie ehemalige Soldaten und frühere kleine Nazis zu sammeln. Außerdem sollten kleine Unternehmer und Handwerker eine politische Heimat erhalten. An der Spitze wurden linientreue Kommunisten eingesetzt. Dennoch gehörte die NDPD schon wegen des parteiintern starken Gewichts von dem Kommunismus eher abgeneigten Mitgliedern Anfang der 50er Jahre zu den „sozialdemokratischen“ Kritikern der Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED.xviii

      Alles das spielte offenbar eine Rolle, als Hemmerling verfolgt und verurteilt wurde. Doch ist es bis heute ein Rätsel geblieben, warum er von der Stasi an den sowjetischen Militärgeheimdienst ausgeliefert wurde.

      Über die ohne Urteil Internierten hinaus wurden zwischen 30 000 und 50 000 Menschen von 1945 bis 1955 durch sowjetische Militärtribunale zu Haft oder Zwangsarbeit verurteiltxix.

      Das DDR-Ministerium für Staatssicherheit war 1951 zu einem großen Teil noch Hilfsorgan der sowjetischen Dienste und Tribunale. Schon seit 1945 war das NKDW bei seiner Arbeit von Ämtern für Information unterstützt worden, die in den Landes- und Provinzialverwaltungen gebildet worden waren. Von August 1947 an nahmen die 5. Kommissariate der Deutschen Volkspolizei (K 5) die Aufgabe der politischen Geheimpolizei wahr. Deren Gründung ging zurück auf einen Befehl der SMAD.

      Anfang Mai 1948 wurde der Ausschuß zum Schutz des Volkseigentums gegründet. Dessen Vorsitzender, der spätere Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, war damals zugleich Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern und so auch zuständig für die Anleitung der K 5. In der Hauptverwaltung und den Landesverwaltungen zum Schutz der Volkswirtschaft wurden kurz vor Gründung der DDR die Mitarbeiter der K 5 mit anderen zuverlässigen, im weiteren Sinne geheimpolizeilichen Verwaltungsmitarbeitern zusammengebracht. Am 7. Oktober 1949 wurde mit der DDR auch das Ministerium des Innern gegründet, unter dessen Dach die Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft bis zur Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit am 8. Februar 1950 vorübergehend unterkam. Der erste Minister für Staatssicherheit war Politbüro-Mitglied Wilhelm Zaisser.

      Wie Wilhelm Zaisser und sein Nachfolger Ernst Wollweber hatten viele der hochrangigen Stasi-Mitarbeiter der ersten Generation schon für das NKWD gearbeitet, waren also erfahrene Tschekisten. Ehemalige des illegalen Militärapparats der KPD, Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs oder kommunistischer Widerstandsgruppen gegen die Nazis oder Kommunisten, die im sowjetischen Exil ihre Linientreue bewiesen hatten, fanden sich ebenfalls unter den leitenden Kadern des jungen Geheimdienstes.

      Die zweite große Gruppe bestand aus „umerzogenen“ früheren Wehrmachtsangehörigen, die als Kriegsgefangene in der Sowjetunion die Antifa-Schulen absolviert oder sich im Nationalkomitee Freies Deutschland engagiert hatten.

      Gewissermaßen das Fußvolk des Geheimdienstes bildeten junge Leute, die außer einer Mitgliedschaft in einer nationalsozialistischen Jugendorganisation keine NS-Belastung hatten, Mitglieder der Freien Deutschen Jugend oder der SED waren und vielfach bereits in den „bewaffneten Organen“ arbeiteten.xx

      1955 wurde die Verurteilung Deutscher durch sowjetische Militärtribunale eingestellt. Seit 1950 hatte die Staatssicherheit den Sowjets immer weniger Deutsche übergeben.

      1951 gerieten eigentlich nur noch solche „Politische“ vor ein sowjetisches Tribunal, die mit ihren Taten oder Unterlassungen direkt Interessen der Sowjetunion berührt hatten.

      Hemmerling ist sich keiner solchen Tat bewußt.

      Der Familienvater war 1951 Bahnhofsvorsteher in Rehfelde in Ostbrandenburg. Man muß ihn schon länger beobachtet haben vor der Verhaftung, denn der Zugriff erfolgte im Zug, auf einer Dienstfahrt nach Frankfurt (Oder). Hemmerling wurde vom Bahnhof gleich zur Stasi gebracht, die damals in einem Gebäude in der Halben Stadt, einem Villenviertel am Rande der Innenstadt, residierte. „Ich bin fast den ganzen Oktober da festgehalten worden, war im Keller unten eingeschlossen.“

      Vernehmer fragten nach der Rechtsauskunft, die er in West-Berlin eingeholt hatte, nach Verbindungen, die er habe, nach den Lebensumständen. Hemmerling war sich keiner Schuld bewußt, beantwortete alles nach bestem Wissen.

      Ende

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