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Malleus Proletarum - Der Proletenhammer. Marcello Dallapiccola
Читать онлайн.Название Malleus Proletarum - Der Proletenhammer
Год выпуска 0
isbn 9783844250473
Автор произведения Marcello Dallapiccola
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Bertl, der eben noch mit immer größer werdenden Augen Frasthers Erläuterungen gelauscht hatte, sah überrascht zur Seite, als auf einmal Charleys Körper aus seiner Ohnmachts-Starre erwachte, über den Tresen zu Boden rutschte und klirrend und scheppernd ein paar Gläser und etwas Geschirr mit sich riss. Dann sah er wortlos zu Frasther, der das Schauspiel ebenfalls fasziniert verfolgt hatte.
„Sieht so aus, als ob wir uns langsam trollen sollten – der Charley wird nicht gut drauf sein, wenn er erstmal mitkriegt, was hier so vor sich gegangen ist…“
„'schätze, du hast Recht. Nimmst du mich mit?“ Bertl zog seine Geldbörse und ließ ein paar Kröten auf den Tresen klimpern – für die Bier, die Frasther und er gerade getrunken hatten. Dann wandte er sich dem Ausgang zu.
„Wie bist du denn hierhergekommen?“, fragte Frasther mit Blick auf Bertls eingegipste Haxe.
„Na, mit dem Auto, wie sonst? Ich kann schon fahren, aber ehrlich gesagt, wär's einfacher wenn du fährst…“
Bertls Karre war ein uralter japanischer Sechszylinder und innen drin genauso vergammelt wie außen herum. Während Bertl umständlich auf dem Beifahrersitz Platz nahm, versuchte Frasther die Zusammensetzung des Gestanks, der in der Karre herrschte, zu analysieren: Benzin, Motoröl, verschüttetes Bier, Tschick-Qualm. Und er hätte viel darauf gewettet, dass irgendwo unter einem Sitz ein Döner oder etwas ähnliches stumm vor sich hin gammelte.
Nach kurzer Beratschlagung entschied man sich, noch auf ein Trankerl zur Chefin zu fahren; Frasther wollte den Bertl in seinem aufgewühlten Zustand nicht sich selbst überlassen und er selber konnte auch noch ein Bierchen vertragen.
Die Beiz war ein winziges, aber sehr gemütliches Stehcafé genau in der Mitte zwischen Stadtkern und 'Charley’s Kneipe'. Eigentlich hieß das Ding 'Chicago Café', wie die schon längst erloschene und ausgebleichte Neonschrift über dem Eingang verkündete, doch man sagte allgemein nur, dass man „zur Chefin“ ging.
Die Chefin hieß Grimmgrid und war eine matronenhafte Erscheinung unbestimmten Alters, aber sicherlich dem Hunderter schon weit näher als die meisten Menschen, die Frasther kannte. Sie hatte ihre von grauen Strähnen durchzogenen Haare zu einem Dutt zusammengebunden; ihre Füße steckten in Gesundheitslatschen, sie trug ihrem Alter angemessene, schlichte aber elegante Kleidung und darüber eine riesige, graue Barschürze. Frasther konnte sich nicht erinnern, sie jemals ohne diese Schürze gesehen zu haben. Dadurch, dass sie so groß und breitschultrig war, wirkte sie irgendwie wie eine weibliche Version von Göring.
Grimmgrid war eine Institution in der Stadt, sie hatte den Status der absoluten Obermutti in der Szene und war damit sakrosankt. Um sie rankten sich wilde Gerüchte aus längst vergangenen Tagen, so hatte sie zum Beispiel einmal zwei frisch aus den Knast Entlassene, die sich nicht zu benehmen wussten, höchstpersönlich mit einem Stück Leitungsrohr krankenhausreif gedroschen. Ein anderes Gerücht besagte, dass ein Spirituosenlieferant, der die Grimmgrid um einen schönen Batzen Kohle beschissen hatte, wenig später mit aufgeschlitzter Gurgel auf der städtischen Mülldeponie gefunden worden war; wieder ein anderes Gerücht erzählte vom Besitzer des Hauses, in dem sich das 'Chicago Café' befand. Der hatte sie zwingen wollen, das Café an ihn zu verkaufen, jedoch wenige Tage, nachdem er ihr mit Kündigung und Rausschmiss gedroht hatte, wenn sie nicht an ihn verkaufen würde, war er schwerstverletzt auf der Intensivstation gelandet. Seither ging er auf Krücken und war immer ausnehmend freundlich und wohlwollend, nicht nur der Chefin, sondern auch all ihren Gästen gegenüber. So war Grimmgrid auch so ziemlich die Einzige in der ganzen Stadt, die kein Schutzgeld zahlte, weder an Bertls Konsortium noch an irgendeine andere Organisation – einfach aus dem Grund, weil sich kein Schwanz weit und breit traute, ihr mit sowas gegenüberzutreten. Trotz ihres Alters schmiss sie den Laden immer noch alleine und sie achtete streng drauf, dass es keine allzu vergammelten Bsuff in ihre gute Stube verschlug. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Leuten wie Bertl, Taugenichtse, die sich irgendwie über die Runden brachten und jeweils die Ringpausen zwischen den einzelnen Runden des Lebens nutzten, um in solchen Beisln abzuhängen und sich wieder zu neuen Kräften zu saufen.
Frasther und Bertl grüßten flüchtig die Anwesenden – meist bekannte Gesichter – und flegelten sich auf einen Barhocker, wobei sich Bertl mit seinem Gipsbein etwas schwer tat. Grimmgrid, die die beiden neuen Gäste vermutlich aus dem Augenwinkel heraus bemerkt hatte, kam bereits mit je einem Bier in der Hand herangeschlurft.
„Sieh an, wer da hereinschneit: Der Bsuffowetsch Bertl und der Hauinger Frasther. Was hast denn du mit deinem Haxen angestellt, Bertlchen? Und du, Frasther, musst Babysitten weil der Arme nicht selber zum Saufen fahren kann?“, begrüßte sie die beiden und stellte ihnen ihre Biere hin.
„War ‘n Unfall, Chefin, nix weiter. Hast' uns gleich noch zwei Klare dazu? – Damit auch was weitergeht, weißt eh“, übernahm Bertl das Antworten und grinste die Alte an wie ein Honigkuchenpferd. Frasther zündete sich einen Tschick an und schwieg.
„Ich möcht' ja nicht wissen, was da wieder im Busch ist, wenn zwei Typen wie ihr die Nasen zusammensteckt“, bohrte die Chefin weiter, während sie ihnen ihre Schnäpse einschenkte.
„Wir war’n grad beim Charley; der ist ausgeraubt worden, stell dir vor! Beziehungsweise sie ham’ versucht, ihn auszurauben und drum sind wir jetzt hierher gefahren. Wir wollten gleich schauen, ob bei dir noch alles in Ordnung ist, man weiß ja nie…“, warf Frasther ihr einen Brocken hin.
Grimmgrid stutzte: „Was, der Charley ist überfallen worden? Um Herrgotts Willen – was ist passiert?“
Bertl übernahm es, die Geschichte zu erzählen: „Na, ich sitz' da und trink mein Bier, außer dem Charley und mir nur noch der Rüscherl-Wolfi da, total im Delirium wie immer. Ich geh' schiffen und hör' auf einmal draußen einen Wirbel. Also schiff' ich schnell fertig, marschier' raus – und seh' den Wolfi und den Charley zusammengeschlagen herumliegen. Den Forchinger-Bua ham' sie grad durch die Mangel gedreht, als ich dazu kam. Naja, das kann ich mir als Stammgast natürlich nicht bieten lassen, dass mein Wirt vor meiner Nase zusammengeschlagen wird. Da hab' ich dann meine Krücke geschnappt und mich zur Wehr gesetzt – Weicheier, die Typen! Wenn ich diesen verdammten Gipsfuß nicht hätte“, er klopfte auf seinen eingegipsten Oberschenkel, „dann wär’ ich’s den beiden schon geworden*…“
„Also bist du's ihnen nicht geworden?“, hakte die Chefin nach.
„Frasther ist überraschend dazugekommen…“, erklärte Bertl; Frasther nickte grinsend.
„Aha, ab da war’s dann nicht mehr so lustig für die Räuber, vermute ich“, ergänzte Grimmgrid weise. „Und wie geht’s dem Charley jetzt? Habt ihr die Rettung gerufen oder sowas?“
„Der Charley braucht die Rettung weniger als diese beiden Kasperln, das geb' ich dir schriftlich“, schmunzelte Frasther.
Dann krallte er sich sein Stamperl und prostete dem Bertl zu. Die Chefin spendierte den beiden Helden des Tages noch eine Runde Klare und so waren sie recht schnell damit beschäftigt, sich höher zu besaufen. Ein Bier folgte dem anderen, unterbrochen nur von einigen Schnäpsen und einer Pinkelpause alle Stunde mal. Die auf einmal fast fröhlich wirkende Grimmgrid karrte den Nachschub an Getränken immer rechtzeitig heran – die vielen Jahre im Service hatten in ihr einen untrüglichen Instinkt für das Trinktempo ihrer Gäste heranreifen lassen, deshalb stand stets ein neues Trankerl bereit, wenn das alte leer zu werden drohte.
Irgendwann sehr viel später – draußen begann es bereits, dem Morgen zu grauen – als Frasther und Bertl bereits laut lallend und sich gegenseitig auf die Schultern klopfend nur noch Blödsinn von sich gaben, begann auf einmal das Handy zu schrillen.
Es dauerte ein wenig, bis Frasther das Ding aus der Jacke herausgenestelt hatte und es dauerte noch ein wenig länger, bis er es schaffte, den Anruf auch anzunehmen. Natürlich war der Prag-Luis dran. „Frasther, verdammt,