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Viertel der Afroamerikaner einen Gospel-Gottesdienst zu besuchen. Erst hatte ich Probleme, die Adresse überhaupt zu finden, denn er fand in einem nach außen hin ziemlich profan wirkenden Gebäude statt. Die vielen Obdachlosen, die dort auf eine warme Mahlzeit nach dem Ende des Gottesdienstes warteten, lotsten mich in den richtigen Eingang, und ich konnte an der enormen Lautstärke vernehmen, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Ein Gospel-Chor von vielleicht 40 Männern, Frauen, Afroamerikanern, Asiaten, Weißen und indigenen Amerikanern sang aus vollem Herzen, dass die Wände des Gebäude wackelten. Die Gemeinde sang ebenfalls mit, konnte sie doch den sich an der Wand bewegenden Text wie beim Karaoke ablesen. Dabei wurde geklatscht und sich rhythmisch bewegt, sodass nach dem Anfangslied bereits die ersten Taschentücher und Fächer vom Kirchenpersonal gereicht wurden, um sich abzutupfen und Luft zu bekommen. Der Gottesdienst bestand fast ausschließlich aus Singen, sich Umarmen und Zwiegesprächen zwischen Reverend und Gemeindemitgliedern. Am Ende wurde eine Predigt gehalten, die auf die aktuellen Themen, die San Francisco betreffen, einging. Thema Nummer eins war natürlich der Erfolg der Giants im Baseball. Thema Nummer zwei war die Kriegsgefahr im Irak. Zum Abschluss durfte nochmals lauthals gesungen, heftig getanzt und rhythmisch geklatscht werden, ehe es zum Kaffee trinken und zum Promoten der Artikel kam, die man in der Gemeinde zu einem guten Zweck kaufen kann.

      Amerika im Allgemeinen und San Francisco im Speziellen ist wahrlich ein Vielvölkerstaat. Dies kann ich an den verschiedenen Stadtvierteln am besten erkennen. In North Point ist jeder Laternenmast mit der italienischen Fahne versehen, und die Columbus Avenue heißt natürlich »Corso Christophero Colombo«. In Chinatown kann ich ein Fahnentrio der besonderen Art bestaunen. Neben dem Sternenbanner hingen die Fahne der Volksrepublik China und die Fahne von Taiwan friedlich nebeneinander. In der Heimat dürfte das Hissen der jeweiligen Fahne des »anderen« Chinas sicherlich unmöglich sein. Die vielen Asiaten, die heute in der Stadt leben, wurden als Arbeitskräfte für den Eisenbahnbau benötigt. Neben Chinesen waren auch viele Japaner nach San Francisco gezogen. Während des 2. Weltkrieges aber wurden diese in Internierungslager gesteckt, da man Angst hatte, sie würden mit der faschistischen Heimat zusammenarbeiten. Die nun fehlenden Arbeitskräfte wurden aus Mexiko geholt. Mittlerweile sind nur noch rund die Hälfte der Kalifornier europäischen, ein Drittel bereits lateinamerikanischen Ursprungs und etwa elf Prozent Asiaten. Afroamerikaner und indigene Amerikaner bilden den Rest des Völker-Mischmaschs. Während sich die ärmeren Bevölkerungsschichten im Bereich der Bucht von San Francisco niederließen, war es für die reiche Schicht um 1870 zeitgemäß, auf die Hügel oberhalb der Bucht zu ziehen. Da die Pferdefuhrwerke auf den steilen Wegen verunglückten, wurde das so genannte »Cable Car« erfunden, das sicherlich neben der Golden-Gate-Bridge das Wahrzeichen der Stadt ist. Wahrscheinlich ist das Cable Car, das weltweit einzige Transportmittel, wo das Surfen außerhalb des Wagens erlaubt beziehungsweise toleriert wird. Überhaupt leben hier ziemlich heftig abfahrende Gestalten. Während ich mit dem Mountainbike eine Passstraße mit vielleicht 50 km/h hinunterfuhr, wurde ich von einem Skateboarder mit Motorradhelm überholt. Der Skateboarder donnerte den lieben langen Tag die Serpentinenstrasse hinunter und trampte anschließend wieder hinauf.

      Von San Francisco zog es mich wieder hinaus in die Natur, genauer gesagt in den Yosemite National Park. Um die sagenhafte Strecke von 379 Kilometern mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin zurückzulegen, musste ich leider einen vollen Tag einkalkulieren. Der Greyhound brauchte alleine für die 250 Kilometer nach Merced bereits vier Stunden. Da in den USA das Wort »Abstimmung« nur für Wahlen, nicht aber für Fahrpläne zutraf, durfte ich danach fast vier Stunden lang Downtown Merced kennen lernen. Alleine schon an der Namengebung für die Straßen erkannte ich, dass die Kreativität vor Merced stoppte und in der kalifornischen Wüste vergraben wurde. Straßen in Ost-West-Richtung hießen alphabetisch geordnet A Street, B Street etc. – Straßen in Nord-Süd-Richtung heißen 1st Ave., 2nd Ave. usw. Somit konnte ich mich in aller Ruhe meinem Leben auf der Straße widmen. Rasieren auf der Toilette der Greyhound-Busstation, Wäsche waschen im Waschsalon nebenan und Mittagessen im Wendy’s um die Ecke. Man kritisiert die Fastfood-Ketten im Allgemeinen gerne, doch für mich waren Burger King, Wendy’s und Taco Bell Garanten dafür, dass ich mein Budget nicht zu sehr überziehen musste. Für 99 Cent gab es beispielsweise eine gekochte Riesenkartoffel mit Sauercreme, einen großen Cesar Salad oder eine Portion Chili Con Carne. So konnte ich das ansonsten obligatorische »Burger & Fries« Menü erfolgreich von meinem Magen fernhalten.

      Die Wanderung im Yosemite National Park gehörte sicherlich zu den Highlights dieser Reise. Auf einem Wanderweg mit Panoramablick an einer Felskante entlang, konnte ich die einzigartige Bergkulisse in der Herbstsonne genießen. Die Laubbäume waren mittlerweile kahl und glänzten im Sonnenlicht stark silberfarben. Das knochige Geäst erinnerte mich an Bilder von Salvador Dalí. Leider wurde der Nationalpark in den letzten Jahren von Waldbränden heimgesucht, sodass einige Teile endzeitlich aussahen. Trotzdem genoss ich den Aufenthalt in der Natur, die Ruhe und konnte wieder einmal Abstand nehmen von der Hektik der amerikanischen Großstädte. Lediglich vor Riesenzapfen, die eine Länge von bis zu 30 Zentimeter hatten, musste ich mich in Acht nehmen. Doch Alex’ OU-Kappe, die ich seither als Andenken an das Football-Spiel in Texas trage, beschützte mich vor der Gefahr von oben. Schließlich begab ich mich auf die letzte Fahrt mit dem »Dog«. Der Beginn verlief dieses Mal vollkommen anders, da ich eine Schlange mit mir selber bilden konnte, war ich doch der einzige Fahrgast, der in Merced an der geschlossenen Greyhound-Station auf den Bus wartete. Mit leichter Verspätung kam der »Dog« und auf ging es in Richtung San Diego.

      ¡Hola! – Ankunft in Lateinamerika

      Etappe: Von San Diego CA, USA 33° Nord 117° West (GMT-8) nach Los Mochis, México 26° Nord 109° West (GMT-7): 2.015 km – Total 27.236 km

      Los Mochis, 7. November 2002

      Nachdem ich in der Unibibliothek von San Diego die letzten Zeilen des vorangegangen Kapitels verfasst hatte, begab ich mich auf die Suche nach der Hauptpost von San Diego, um dort meine hoffentlich postlagernden Sendungen abzuholen. Dass die Hauptpost unmittelbar am internationalen Flughafen liegt, war einmal mehr typisch für Amerika. Ohne Auto war ich wirklich aufgeschmissen. Glücklicherweise gab es noch Fahrräder. Aber die Frage »Where is your car?«, die ich in St. John’s, Neufundland erstmals hörte, wurde mir an diesem Tag sicherlich für die nächste Zeit zum letzten Mal gestellt. So durfte ich auf dem 8-spurigen Pazifikhighway mit dem Mountainbike meinen in der Hauptpost wartenden Diafilmen und einigen netten Briefen und Karten aus der Heimat entgegenfahren. Nach dem Lesen der Post fuhr ich zum Pazifik, um am Strand entlang zu radeln und den angeblich »coolsten« Menschen der Welt beim Surfen zuzuschauen. Die Badenixen von »Baywatch« waren entweder streiken oder wagten leider aufgrund des kühlen aber sonnigen Herbstwetters den Sprung ins kalte Nass nicht mehr. So gab es nur die Surfer zu beglotzen, was alles andere als spannend war, lagen diese doch die meiste Zeit wie ein Stück Treibholz im Wasser herum. Zurück in der Stadt hielt in San Diego tatsächlich ein bisschen das Chaos Einzug. Schließlich war Halloween. Die Kids, meist als Kürbis kostümiert, stürmten alle Geschäfte, um Süßigkeiten zu ergattern. Bedient wurde ich schon morgens auf der Hauptpost von »Frankenstein«, der direkt neben einer »Mona Lisa« im Bilderrahmen arbeitete. Mein Hostel organisierte irgendwoher Fassbier und zusammen mit Leuten aus Irland, England, Kanada, den USA, Australien, Brasilien, Belgien und der Elfenbeinküste zelebrierten wir unsere eigene Halloween-Party. Denn auf der Straße war das Trinken von Alkohol strikt untersagt, was wir Backpacker im Laufe des Abends schlicht ignorierten, ohne im Knast zu landen. Halloween ist für die Leute eine Art Fastnacht, die in geregelten Bahnen abläuft, und als Resümee des Ganzen muss ich sagen, dass dies schlicht und einfach nichts für einen Meenzer Bub{66} war.

      Am nächsten Morgen rollte ich mit der Straßenbahn zum geschäftigsten Grenzübergang der Welt: San Diego, USA – Tijuana, Mexiko. Damit war meine Reise durch das »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« beendet. Abschließend würde ich die USA eher als »Land der totalen Gegensätze« charakterisieren. Nirgends in der Welt traf ich innerhalb weniger Meter auf Superreiche und völlig arme Menschen, auf superfreundliche und F-Ausdrücke-am-Stück-benutzende Zeitgenossen, auf eklig fettes und fettfreies Futter, auf wunderschöne und potthässliche Umgebungen, auf Bush-Befürworter und Bush-Gegner, sicherheitsfanatische und Sicherheit vernachlässigende Wesen. Ob die USA, wie ihr Präsident meint, »das beste Land der Welt« sind, sei dahingestellt, aber

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