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ging es nun wieder mit dem »Dog«,{47} wie die Amerikaner sagen, auf Achse. Vor mir lag eine 25-Stunden-Fahrt durch vier Bundesstaaten nach Chicago, Illinois.

      Der »Milk Run«{48} führte zunächst durch zahlreiche Dörfer aus Vermont hinaus in die Hauptstadt des Bundesstaates New York nach Albany. Dass sich in Amerika die Hauptstädte der Staaten meist in gottverlassenen Dörfern befinden, werde ich wahrscheinlich nie verstehen.{49} New York bezeichnet sich dazu noch als »Empire State«. Wie müsste sich dann Rheinland-Pfalz mit seiner Landeshauptstadt Mainz und seinen 185.000 Einwohnern nennen? Für die 200 Kilometer brauchte der Bus glatte fünf Stunden. Für den nächsten Bus stellte ich mich rechtzeitig an, und dieses Mal waren zwei andere Personen die Dummen, die nun auf den zehn Minuten später sicherlich nicht abfahrenden Bus warten durften. Von Albany fuhr ich durch »Klein Holland« an Dörfern wie Amsterdam oder Rotterdam Junction und an gelbrot gefärbten Wäldern vorbei, dem Sonnenuntergang entgegen. Irgendwann machten wir endlich einen Stopp in Rochester, New York, um etwas zu essen zu bekommen. Beim einzigen so genannten »Restaurant« handelte es sich um eine Subway Filiale, die normalerweise Sandwiches herstellt. Leider war aber gerade das Brot ausgegangen. Prima, wie sollte ich nun einen Sandwich ohne Brot essen? Da half nur noch die »wunderbare« Automatenkost, die aus Cola und Nacho-Chips bestand.

      Nachts erreichten wir Buffalo, New York. In mir keimte wieder Hoffnung auf, etwas zu essen zu bekommen. Doch natürlich waren alle Restaurants um diese Zeit geschlossen. Aus einem Loch in der Wand verkaufte jemand noch Cheeseburger à la Mikrowelle. Damit wenigstens etwas zu schmecken war, wurde der Plastik-Burger dermaßen mit Ketchup und Senf vollgeladen, dass meine Hose auch noch reichlich mitessen durfte. Jetzt war ich am erwarteten kulinarischen Supergau angelangt. Erst um drei Uhr morgens, bei der Ankunft in Cleveland, Ohio, bekam ich schließlich einen Kaffee, der allerdings auch sehr künstlich schmeckte, dem Süßstoff und dem Milchpulver sei Dank. Ohio bezeichnet sich selbst als »Buckeye State«.{50} Im Morgengrauen erreichten wir den nächsten Staat, Indiana und endlich ein Wendy’s, in dem es halbwegs essbares Futter gab. Indiana hat zwei Spitznamen. Der eine lautet »Crossroads of America«, was natürlich stimmt. Schließlich kommt man auf dem Weg von Nord nach Süd, oder von Ost nach West fast unweigerlich durch diesen zentral gelegenen Bundesstaat. Der andere Spitzname lautet »Hoosier State« und stammt aus der Zeit der ersten Siedler im 19. Jh. Immer wenn es an der Tür klopfte, wurde von innen gefragt: »Who is here?«, so entstand schließlich das Wort »Hoosier«.

      Nach 25 Stunden Fahrt und 1.600 strapaziösen Kilometern erreichte ich den Zielstaat Illinois mit seiner Metropole Chicago. Illinois Spitzname ist banal und lautet »Land of Lincoln«. Da ich von der Busfahrt ziemlich kaputt war, lief ich in Chicago, um mich wieder einmal richtig locker zu machen, ein bisschen ziellos durch die Kulisse der Wolkenkratzer und Parks direkt am Lake Michigan.

      Beim Flanieren durch Chicagos Straßen stand ich plötzlich vor dem Hancook-Hochhaus, mit seinen 95 Stockwerken nicht ganz so hoch wie der berühmte Sears Tower, der höher als das frühere World Trade Center ist. Eigentlich kostete es sieben US-Dollar, um mit dem Aufzug nach oben zu gelangen. Doch irgendwie landete ich in einer Gruppe von elegant gekleideten Herrschaften und plötzlich befand ich mich im Aufzug nach oben. Dort landeten wir in einem Nobelrestaurant, und ich rechnete jeden Augenblick damit, sofort wieder hinausgeworfen zu werden. Stattdessen wurde mir ein Platz am Fenster mit Aussicht auf die imposante Skyline der Stadt angeboten, auf die ich beim Sonnenuntergang mit einem Guiness vom Fass anstoßen konnte. Am nächsten Tag bekam ich von einem Chicagoer einen Tipp, einmal in die »German Neighbourhood« zu fahren, um ein bisschen »deutsche Luft« zu schnappen. Mit dem »El«, einer Bahn, die auf Stelzen überirdisch verläuft, fuhr ich hinaus aus der Innenstadt. Weit außerhalb von Downtown lag »Little Germany«, das durch und durch mit Kneipen bestückt war, die »Carolas Hansa Clipper« oder »Brauhaus« hießen. Bei »Meyers Delikatessen« gab es nicht nur Wurst und Brot, sondern auch die »Eintracht«, eine Zeitung in Deutsch von Deutschamerikanern für Deutschamerikaner. Es war interessant, sich mit amerikanischen Staatsbürgern auf Deutsch bei einem Weizen vom Fass zu unterhalten.

      Fans und Football

      Etappe: Von St. Louis MO, USA 39° Nord 90° West (GMT -5) nach Vancouver BC, Canada 49° Nord 123° West (GMT -7): 5.519 km – Total 22.362 km

      Vancouver, 17. Oktober 2002

      Nach einer Nachtfahrt mit dem Greyhound, die relativ angenehm verlief, da der Bus halbleer war, war ich von Chicago kommend in St. Louis, Missouri, eingetroffen. Der Spitzname Missouris, »Show me state«, kann freilich zu Irritationen führen, die keiner näheren Erklärung bedürfen. Angeblich ist der Name auf die skeptischen Menschen zurückzuführen, die dort im 19. Jh. siedelten. St. Louis wurde 1764 von französischen Pelzhändlern an der strategisch wichtigen Stelle des Zusammenflusses von Missouri und Mississippi gegründet. Der Name geht auf Louis XIV., König von Frankreich, zurück. Die Stadt wird als »Gateway to the West« bezeichnet, war sie doch lange Zeit der letzte Posten der Zivilisation, bevor es in den so genannten »Wilden Westen« ging. Die US-Bundesstaaten zwischen Appalachen und Mississippi waren bei der Staatsgründung 1776 lediglich Territorien. Statt die damals bereits existierenden Staaten expandieren zu lassen, wurden die Territorien von der Zentralregierung in Washington zu Bundesstaaten erklärt, sobald mehr als 60.000 Menschen darin lebten. Ohio wurde 1803, Indiana 1816 und Illinois 1818 zu neuen US-Bundesstaaten erklärt. Missouri wurde als so genannter »Sklavenstaat« 1821 zu einem Bundesstaat, im Austausch mit Maine, das als so genannter »Freier Staat« aufgenommen wurde. In den Staaten nördlich von Missouri wurde die Sklaverei verboten, in den Südstaaten hingegen für legal erklärt. Dieser Status änderte sich bis zum amerikanischen Bürgerkrieg um 1860 nicht.

      St. Louis machte auf mich einen verschlafenen Eindruck. Die Stadt ist ein bisschen in der Bedeutungslosigkeit versunken, denn die Metropolen der USA liegen heute eher an den beiden Küsten. Für die Stadt ist dies sicher hart, wenn man bedenkt, dass 1904 dort die Weltausstellung und die Olympischen Spiele stattfanden. Die Welt wurde damals mit Hot Dogs, Eistüten und Eistee erstmals beglückt. Noch viel früher hatte in St. Louis im Jahr 1817 die Dampfschifffahrt hinunter bis nach New Orleans begonnen. Der bekannteste Kapitän dürfte Mark Twain gewesen sein, der später Schriftsteller wurde. 1927 taufte Charles Lindbergh sein Flugzeug, mit dem er als erster den Atlantik überquerte, auf den Namen »Spirit of St. Louis«, da dort die wichtigsten Sponsoren lebten, die dieses Unternehmen förderten. Heute ist St. Louis der Sitz der größten Brauerei der Welt. Gegründet wurde die Anheuser Busch Brewery von den deutschen Immigranten Adolphus Busch und Eberhardt Anheuser. Warum die beiden auf die Idee kamen Reis in ihr Bier zu kippen kann ich mir nicht erklären. Aber ich befand mich mittlerweile einige Wochen in Nordamerika und hatte mich langsam an dieses Zeug, das hier »Bier« genannt wird, gewöhnt. Es half auch nicht in der Verzweiflung, auf so genanntes »Importbier« zurückzugreifen, da ein Bundesgesetz Gerstensaft mit einem höheren Alkoholgehalt als etwa vier Prozent verbietet. Importbier wird daher im Ausland extra nach US-Vorschriften für den US-Markt gebraut und abgefüllt.

      Auf dem Weg zur Brauerei kam ich durch ein Viertel mit fast ausschließlich afroamerikanischer Bevölkerung. Da ich mir seit mehr als zwei Monaten nicht mehr die Haare schneiden ließ und in den amerikanischen Großstädten nur an Designercoiffeuren vorbeilief, kam mir der kleine Friseursalon an der Ecke wie gerufen. Von draußen hörte ich schon laute Rap-Musik. Drinnen dachte ich dann, ich wäre in einem Wil-Smith-Video gelandet. Ich sah lauter gestylte Afroamerikaner, die sich rhythmisch zur Musik aus dem Fernseher bewegten. Die Haarschnitte, die mein Maestro im Programm hatte, waren auf einem Bild an der Wand abgebildet. Sie unterschieden sich nur geringfügig in der Kürze der Frisur. Mein Maestro hatte auch keine Schere parat, dafür aber mindestens drei Rasierer. So ließ ich mir einen Afrolook rasieren, schließlich hatte ich keine andere Wahl. Ruck, zuck! Und runter war die Wolle. Schließlich kam ich mir wie ein Auto vor, das samstags nachmittags in Deutschland von Vierrad-Liebhabern gepflegt wird. Mein fast glattrasierter Kopf wurde gewienert, geschrubbt und mit dem Tuch poliert, sodass er richtig glänzte. Während der ganzen Prozedur rappte mein Maestro zur Musik aus dem Fernseher.

      Nicht nur an das amerikanische Bier konnte ich mich gewöhnen, sondern auch an das Übernachten in Greyhound-Bussen. Von St. Louis reiste ich dieses Mal in zwölf Stunden weiter nach Westen, nach Oklahoma City, Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates.

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