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auf sich einreden hörte, spürte er, wie seine Augenlieder schwerer wurden. Nach wenigen Augenblicken war er eingeschlafen.

      Timmrin erwachte erst Stunden später vom Geräusch knarrender Türen und vernahm laute Männerstimmen. Das erste, was er sah, als er die Augen öffnete, war Lurz, der schweigend wippend auf einem Stuhl dicht neben ihm saß und auf den Boden starrte. Dann erblickte er zwei der Fischer. Wieder hatte der Alte eine qualmende Pfeife im Mund, deren Geruch so furchtbar war, dass Timmrin beinahe erbrach.

      Er hustete vom Rauch und setzte sich aufrecht hin. „Wie…wie spät ist´s?“.

      „Weit nach Mittag!“, du musst ja ziemlich erschöpft gewesen sein, was?“, der alte Fischer trat an ihn heran. „Hehe, die Pfeife scheint dir nicht zu taugen, was? Ist Klee drin und Sumpfdisteln. Solltest das Zeug erst riechen, wenn ich Dämmerpilze dazu mische.“

      „Ich…danke Euch, ich danke Euch sehr!“, rang Timmrin verlegen nach Worten.

      „Von deinem Dank kann ich mir nichts kaufen“, gab der Alte in hartem Tonfall von sich. „Haben heute schon wieder dürftigen Fang gemacht! Außerdem danke lieber meiner Frau hier. Ich hoffe deine Kleidung ist halbwegs trocken geworden, denn ich muss dich jetzt fort jagen. Meine Familie und ich sind hungrig und wir haben genug Mäuler zu stopfen!“

      „Nun lass ihn doch wenigstens eine Schale Suppe mitessen“, hörte Timmrin die Alte klagen.

      „Er ist ja völlig ohne Kraft. So kannst du ihn doch nicht wegschicken!“

      „Hab schon Schlimmeres getan“, gab der Fischer schroff zur Antwort. „Aber wenn du drauf bestehst…“

      „Ja, ich bestehe darauf!“

      „Dann habe ich sowieso keine Wahl“, entgegnete der Alte. „Würde mir die heiße Suppe lieber in die Ohren gießen, als deine Launen zu ertragen, wenn´s nicht nach deinem Willen geht.“

      Dann wandte er sich wieder Timmrin zu: „Du kannst bleiben und ein paar Löffel Suppe bekommen. Aber dann siehst du zu, dass du Land gewinnst!“

      „Ich danke dir“, entgegnete Timmrin leise.

      Die Frau legte seine Anziehsachen auf den Tisch.

      „Sie sind nicht trocken, aber auch nicht mehr ganz so nass“, auffällig drehte sie sich weg.

      Timmrin, dessen Unterleib noch zugedeckt war, decke sich zögerlich ab und griff nach seinen Klamotten, um seine Scham zu bedecken. Hastig zog er seine Hose an, dann das Hemd. Die Kleidung war feucht, seine Wolljacke noch triefend nass. Den Schaal hatte er im Fluss verloren. Hastig knöpfte er die Tasche der Jacke auf und ja: Seine zwei Thamen waren immer noch darin. Das war alles Geld, das er bei sich hatte.

      Die Dame des Hauses stellte einen heiß dampfenden Topf mit Fischsuppe auf den Tisch und verteilte kleine Holzschälchen. Behutsam begann sie mit der Kelle die Suppe zu schöpfen: Zwei halbvolle Kellen für jede Schüssel, danach war kaum noch Suppe im Topf. Timmrin bekam einen hölzernen Löffel und begann langsam zu essen. Die Suppe war brühend heiß, aber das machte ihm nichts aus.

      „Wer heiß trinken kann, kann auch schweigen, sagt man“, der alte Fischer blickte Timmrin ernst ins Gesicht.

      „Schweigen?“, fragte Timmrin.

      „Nehmen wir an, du wurdest nicht in den Ghor gerempelt. Vielleicht hast du ja was ausgefressen… Wir haben heute erfahren, dass es einen Überfall auf die Kaserne gab.“ Timmrin erschrak innerlich. Die alte Frau blickte ihn verstört an. „Sei es drum“, fuhr der Fischer fort. „Wir sind dir jedenfalls nie begegnet, weder ich, noch meine Söhne, noch meine Frau. Hast du das begriffen?“ „Ja.“ „Gut. Dann lass uns essen.“ Als sie gegessen hatten, stand Timmrin auf, zog einen Thamen heraus und legte sich die nasse Jacke über die Schulter. Er wendete ihn einmal, legte ihn dann auf den Tisch und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich wollt, es wäre mehr. Ich danke euch.“ Der Fischer sah ihn anerkennungsvoll an, griff langsam nach dem Geldstück und schabte es vom Tisch. Timmrin wandte sich um und ging hinaus. Er fand sich wieder in der Kälte eines frühen Spätherbstabends. Bald würde es dämmern und zu allem Überfluss fiel leichter Graupel. Timmrin entschied sich, dass Händlerviertel zu verlassen und trottete davon in Richtung Arbeiterviertel.

      -3-

      Timmrin starrte in seinen Krug und atmete die heißen Dämpfe ein, die daraus aufstiegen. Er hatte seinen letzten Thamen hergegeben für einen Krug heißes Wasser mit Brandwein. Die Mischung war stark. Er wollte trinken, hustete aber vorher vom heißen Alkoholdunst und setzte den Krug wieder ab. Es war warm in der Taverne zu „Aller Herren“. Bei dem Wort Herren schien es sich wohl um einen schlechten Witz zu handeln, oder um eine sarkastische Aufwertung. Die Gäste hier sahen schäbiger aus und die Einrichtung war noch heruntergekommener als in den wenigen Gasthäusern im Arbeiterviertel, in denen Timmrin schon gewesen war. Er wollte schneller trinken, damit der Inhalt des Kruges nicht kalt würde, hielt aber nach einem kräftigen Schluck wieder inne. Wenn er nicht trank, würde man ihn früher oder später hinauswerfen und Geld hatte er keines mehr. Anschreiben ließen die Wirte hier nicht, schon gar nicht von Leuten wie ihm. Dieses Getränk musste also noch eine Weile vorreichen, denn jede Minute im Warmen, in der Timmrins Kleider weiter trocknen konnten, war für ihn von unbezahlbarem Wert. Er wärmte seine Hände am Tonkrug und blickte in den Raum. Die Pinte war gefüllt. All die armen Teufel aus den Fabriken, zu denen er eigentlich auch gehörte, vertranken ihre Tageslöhne. Unter ihnen waren auch Frauen. Die Arbeit der einfachen Fabrikarbeiter begann um 6 Uhr morgens und endete um 7 Uhr abends, wenn es keine Sonderschichten gab. Es war Samstag, der Tag, an dem viele ihren halben Wochenlohn in einem der schäbigen Trinkhäuser der Stadt verprassten. Timmrin hatte seine Anstellung vor zwei Wochen verloren. Er war dazwischen gegangen, als einer der Schichtführer einen Arbeiter mit einer lehren Schnapsflasche niedergeschlagen und dessen Gesicht in die Glasscherben am Boden gepresst hatte. Man hatte von dem jungen Mann abgelassen, der eigentlich ein Knabe von etwa vierzehn Jahren war. Timmrin aber hatte eine Tracht Prügel erhalten, die er heute, zwei Wochen später, noch deutlich in den Knochen spürte. Er selbst war schon 23 und eigentlich hatte er Glück, in der Fabrik eine „kriegserforderliche Arbeit“ zu verrichten. Die meisten jungen Männer in seinem Alter mussten an die Front und nur die wenigsten waren inzwischen noch naiv genug, diesen Dienst als eine Ehre zu betrachten. Jetzt, wo er seine Arbeit verloren hatte, würde es ihn auch bald treffen. Vielleicht würde er aber auch zeitnah an einem Galgen enden. Er wusste nicht, für welche Möglichkeit er sich entscheiden würde, hätte er die Wahl. Es war nicht unüblich, dass die Arbeiter in den Fabriken beschimpft, oft auch geschlagen wurden. Aber in letzter Zeit waren die Willkür und die Strafmaßnahmen brutaler geworden. Den Leuten ihrerseits blieb keine andere Wahl: entweder die Front, der Hunger, der Bergbau oder die Fabrik. Die letzten beiden Optionen blieben sich gleich. Am besten unter den einfachen Leuten ging es in diesen Tagen jenen, die einen ertragreichen Hof hatten, als Knechte und Erntehelfer dort arbeiteten oder das Fischereirecht besaßen. Freilich konfiszierte der Staat große Mengen der Ernte. Doch Nahrung wurde gebraucht, im Land, wie auch an der Front. Die Alten, die Kranken, die Krüppel, die Geistesschwachen, sie alle hatten in den Städten das gleiche Los zu tragen. Sie mussten in den Fabriken schuften. Und diejenigen, denen die Werke gehörten? Man hörte oder sah kaum etwas von ihnen. Hier in Ersthafen lebten sie im ersten Bezirk auf der anderen Seite des Ghor. Der Zutritt war nur Soldaten und „Ehrenbürgern“ der Stadt gewährt – Ehrenbürgern, die das Leben von gut dreiviertel der Stadtbevölkerung zu einer Tortur machten, die manche das Leben kostete. Die Arbeitsunfälle hatten sich gehäuft, die Löhne waren erneut gesunken, die Arbeitsbedingungen noch unerträglicher geworden. Aber warum? Timmrin und viele andere kannten die Antwort: Es war der Krieg, ein Krieg, der schon seit mehr als zwölf Jahren den Kontinent in Atem hielt. Waffen wurden gebraucht, Munition, Kleidung und Stiefel für die Soldaten. Doch obgleich er die Geißel vieler war, schien niemand wirklich etwas zu unternehmen, diesen Krieg zu beenden - im Gegenteil. Einige gingen freiwillig an die Front, weil es für sie attraktiver schien als die Arbeit in den Fabriken. Andere wussten, dass sie, wenn sie lebend zurückkehrten, wenngleich als Krüppel, wenigstens geringe Abfindungen erhalten würden. Freilich reichten diese nicht zum Leben,

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