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Mein Vorschlag wäre, dass Huber in der Redaktion von Scharzhofer wechselt und dort für Recherchearbeiten zuständig ist. Die Redakteurin, die diesen Bereich momentan innehat, geht Ende September in Mutterschutz.“

      Kurt war sich bewusst, dass er seinen eigenen Kopf nur dadurch retten konnte, wenn er Huber den Vorstandslöwen zum Fraß vorwarf. Sollten diese den Happen seitlich liegen lassen, würden sich ihre Zähne ihm widmen mit der unangenehmen Konsequenz, dass dieses für einen 54-jährigen ausgelutschten Medienmann den unbezahlten vorgezogenen Vorruhestand zur Folge hat.

      „Herr Assens, ich werde über Ihr Konzept nachdenken. Nach gründlicher Überlegung werde ich der Geschäftsführung meine Vorstellungen präsentieren. Bis morgen wird eine Entscheidung fallen.“

      Dr. Gründgens erhob sich und begleitete Kurt zur Tür. Geistesabwesend stand Kurt vorm Fahrstuhl. Kognitiv wusste er, dass sein Auftritt überzeugend war. Doch Situationen, in denen ein Kopf rollen soll, drängen die Logik in den Hintergrund und die Limbischen Systeme übernehmen die Hauptrollen. Wie im Circus maximus galt es nun auf Caesars Daumen zu warten. Ave, Imperator, morituri te salutant! Wahrlich fühlte Kurt sich wie ein neo-germanischer Gladiator, der im norddeutschen Sender-Kolosseum seinen Vorgesetzten ein letztes „Moin, Cäsar! Die Todgeweihten grüßen dich!“ entgegenhauchte.

      Zurück in seinem Büro starrte Kurt konzentriert aus dem Fenster. Sollte sein Kopf im Laufe dieser Woche nicht abgeschlagen werden, galt es, die nächste Hürde zu nehmen, um dem Henker zu entfliehen: Ende September muss die Sendung ´face and blog` ausgestrahlt werden. Während er auf seinem macbook den Projektplan aufrief, teilte ihm Henning per SMS mit, dass Ina und er ins Freibad gehen wollten und abends sich mit seinem Freund Lothar treffen wollen. Daher habe er abends keine Zeit und schlug stattdessen vor sich zum Mittagessen zu treffen. Er bot an, dass er in Kurts Büro komme und sie in der Kantine essen könnten. Angesichts der anstehenden Aufgaben passte dieser Vorschlag Kurt nicht. Als er versuchte, Henning auf dem Mobiltelefon zu erreichen, erklang die Stimme seines Sohnes lediglich auf der Mailbox. Von Technomusik untermalt wurde der Anrufer aufgefordert, eine Nachricht nach dem Signalton zu hinterlassen. Kurt stornierte das vorgeschlagene Mittagessen in der Kantine und forderte Henning auf, dass dieser nach seinem Besuch bei Henning bis 22.00 Uhr zuhause erscheine.

      Der Projektplan für ´face and blog` sah ursprünglich vor, dass die Sendung Anfang Oktober startet. Nun den Sendestart vier Wochen bei nicht einmal mehr eineinhalb verbleibenden Monaten vorzuziehen, entsprach einer Herkulesaufgabe. Kurt ging in sein Vorzimmer und forderte Frau Leitmaier auf, dafür zu sorgen, dass Hendrik Andresen, der Chefredakteur, mit dem er zusammen die Sendeidee ´face and blog` entworfen hatte, sofort in seinem Büro erscheine. Irritiert weitete sie die Augen und hob dann das Telefon. Die Schärfe in Kurts Blick signalisiert ihr eindeutig, dass Widerworte zwecklos seien.

      Vier Minuten später tauchte die spitzbärtige Silhouette von Hendrik Andresen im Türrahmen auf. Zu seinem schwarzen Anzug trug er ein knallrotes Hemd und als Krönung entsprechend gefärbte Schuhe. Das schwarze Haar leicht mit Gel nach hinten gekämmt, erinnerte er an einen Mafioso. Ihn qualifizierte, dass er über journalistische Erfahrungen im Bereich Neue Medien verfügte. Nach der Begrüßung fragte er vorsichtig nach dem Grund des Gesprächs.

      „Herr Andresen, Veränderung gehören zu unserem Business. Aus aktuellem Anlass hat sich der Programmdirektor entschieden, ein paar Veränderungen im Profil vorzunehmen. Ich habe Ihnen eine gute Nachricht mitgebracht. Unsere Sendezeit wird wahrscheinlich um eine dreiviertel Stunde vorgeschoben.“

      Erstaunen und Freude strahlten aus Andresens Augen. Doch dann runzelte er die Stirn. „Woher kommt diese Änderung?“

      „Auf den Sendeplatz von BASTA!!! kommt nun ´Ellwanger talkt`. Im Anschluss dürfen Sie dann um 22.30 loslegen. Wie gefällt Ihnen die Idee?“

      „Das dürfte uns wohl erhöhte Einschaltquoten sichern. Auf welchen Sendeplatz rückt dann ´BASTA!!!`? hakte Andresen nach.

      Ertappt schaute Kurt auf und nach einem Zögern, das einen Augenblick zu lang sich hinzog, erwiderte er: „An diesem Punkt werden noch verschiedene Optionen geprüft.“ Um nicht die Gerüchteküche im Sender anzuheißen, schob Kurt nach: „Herr Andresen, Sie sind der erste, der von dieser Planung erfährt. Andere Redaktionen sind noch nicht eingeweiht. Von daher erwarte ich von Ihnen höchste Vertraulichkeit. Können Sie mir diese zusagen?“

      Wie ein Schüler, der vom Rektor beim Lügen erwischt wurde, liefen Andresens Ohren rot an. „Selbstverständlich.“

      „Herr Andresen, ich meine dieses sehr ernst. Wir bewegen uns auf dünnem Eis. Ich muss mich auf Ihre Diskretion hundert Prozent verlassen können!“

      Mit einem erneuten ´Selbstverständlich` ergab sich Andresen.

      „Dann haben wir diesen Punkt geklärt“, äußerte Kurt, bevor er eine Gesprächspause einschob, die Andresen weiter verunsicherte. Unruhig, aber dennoch nur in Zeitlupentempo wanderte dessen Blick zwischen Kurt, dem Schreibtisch und dem Fenster hin und her.

      Nun galt es den Sack zuzumachen: „Allerdings hat alles seinen Preis.“

      Ruckartig richtet Andresen seinen erblassten Blick auf Kurt. „Ihre erste Sendung wird nicht Anfang Oktober starten, sondern vier Wochen vorher!“

      Nun entschwand auch die letzte Farbe aus Andresen Gesicht. Entrüstet entfuhr ihm: „Das geht nicht! Der Zeitplan ist bereits jetzt schon schwer einzuhalten. Wir haben feste Termine mit den Prominenten der ersten drei Sendungen vereinbart.“

      Kurt spürte wie eine ohnmächtige Wut in ihm anschwoll und mit scharfen Ton wies er sein Gegenüber zurecht: „Das will ich nicht hören, Herr Andresen. Für mich gibt es keine Probleme, sondern nur Lösungen. Sie erhalten eine lukrative Sendezeit und folglich liegt es an Ihnen, ob Ihre Sendung pünktlich an den Start geht. Überreden Sie die Promis, dass sie schon vier Wochen früher an den Start müssen.“

      „Die haben feste Verträge. Es war schon ein Gewaltakt, diese für den Oktober zu gewinnen. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist dieses nicht.“

      Der Widerstand von Andresen überraschte Kurt. Bisher war Andresen, konstruktiv und loyal. Zum ersten Mal sah Kurt dessen Zähne, was ihn in anderen Situationen beeindruckt hätte. Da aber sein eigener Kopf in der Schlinge hing, störten ihn die Widerworte. Um sich nicht festzubeißen, wechselte Kurt die Taktik: „Herr Andresen. Ich schätze ihre Arbeit und traue Ihnen zu, dass sie dieses Problem lösen. Nutzen Sie die Chance, dass Sie eine frühere Sendezeit erhalten. Mir ist klar, dass Sie diese Modifikationen unseres Programmdirektors genauso überraschen wie mich. Angesichts dessen, dass das Sendungskonzept fertig sei und die ersten drei Sendungen inhaltlich vorstrukturiert seien, müsste doch der Plan zu realisieren sein. Unsere einzige Chance ist, dass ´face and blog` Anfang September bereits an den Start geht. Folgenden Vorschlag kann ich Ihnen machen: Sie überlegen sich, was Sie an zusätzlichen Ressourcen benötigen, um den Sendestart vier Wochen vorzuziehen und teilen mir das bis morgen Mittag mit.“ Mit diesen Worten erhob sich Kurt, reichte Andresen die Hand und blickte ihm mit strengem Blick ins Gesicht. Ergeben und dezent nickend nahm Andresen die Hand, bevor er mit leicht hängendem Kopf das Büro verließ.

      Kapitel 8

      27. Juli 2011

      Auf der Fahrt zum Cafe ließ Kurt Erinnerungen an die Zeit mit Susanne vorbeiziehen. Sie hatten sich während morgendlicher U-Bahnfahrten kennengelernt. Auch die Wurzeln seiner Medienkarriere lagen in der U-Bahn.

      Kurt überlegte, an welcher Stelle sich der Wandel in seinem Leben vollzogen hatte. Als Antwort fand er den Jahreswechsel 1985 /1986.

      In der damaligen Zeit hatte Kurt die Angewohnheit, seine Mitmenschen genauer zu beobachten, sei´s im Cafe oder in der U-Bahn. Wie lebt dieser Mensch, was wird er heute machen, was beschäftigt ihn und was ist das Wichtigste für ihn in seinem Leben?

      Derartige Gedanken schossen ihm täglich durch den Kopf. Seine Phantasien zu diesen Menschen hielt er in einem kleinen Notizbuch fest. Gedankenketten, die ihm nachgingen, schrieb er auf Karteikarten und heftete diese an verschiedene Stellen

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