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Das Magazin war sehr progressiv und stellte neben Politikern häufig auch Bürger bloß. Dessen Chefredakteur Thomas Huber spitzte Themen zu, was Kurt generell befürwortete. Bereits zwei Mal hatte es inhaltliche Kritik vom Programmdirektor Dr. Gründgens gehagelt. Einmal ist kein Mal, so lautete die inoffizielle Regel in den Redaktionen. Als der Programmdirektor vor der Sommerpause erneut den moralischen Zeigefinger gehoben hatte, führte Kurt ein Vier-Augen-Gespräch mit Thomas Huber und verdeutlichte ihm, dass er einen Gang zurückschalten möge. Unglücklicherweise war Huber in der vorgestrigen Sendung vom Brems- auf das Gaspedal gerutscht, indem er auf schlüpfrige Art einen Ministerpräsidenten vorgeführt hatte. Nicht nur die Zahl der Protest-Emails in der Redaktion schwoll an. Den diplomatischen Umschreibungen des Geschäftsführers entnahm Kurt, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende, der das gleiche Parteibuch wie der durch den Kakao gezogene Ministerpräsident besaß, zu Wort gemeldet habe. Deutliche, sichtbare Konsequenzen wurden gefordert. Instinktiv spielte Kurt die vier Varianten durch: Absetzung der Sendung, Rausschmiss des Chefredakteurs, Entbindung des Bereichsleiters oder des Programmdirektors von ihren Aufgaben. Die Teilnehmer bei diesem russischen Roulette waren gesetzt: Huber, Gründgens oder mich – einen wird es treffen, schoss es durch Kurts Kopf. Er warf einen versteckten Blick zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Dr. Gründgens wirkte gefasst. Gleichzeitig spürte er wie die anderen Bereichsleiter abwechselnd ihn und den Programmdirektor anstarrten. Kurts Gehirn rotierte wie die Trommel in einem Revolver beim russischen Roulette. Mund aufmachen oder Schweigen; beides konnte jetzt fatale Auswirkungen haben. Noch eher er die Rotation seiner Gedanken stoppen konnte, sagte Dr. Gründgens mit ruhiger Stimme, dass Programmdirektion und Geschäftsführung vereinbart hätten, dass bis um 12.00 Uhr am Folgetag eine Lösung gefunden sein werde. High noon – Kurt fühlte sich wie in einem schlechten Western. Der Schuss von Gary Cooper alias Dr. Gründgens hatte getroffen und Kurt spürte wie ihm die Knie weich wurden und das Blut zu Kopf stieg.

      Als einer der letzten verließ Kurt den Sitzungssaal. Hermann Möller und Ahmed Yavuz, die für die Ressorts Sport bzw. Kultur zuständig waren, klopften ihm aufmunternd auf die Schulter und gingen mit ihm zum Essen in die Kantine. Trotz ihrer Mut machenden Worte fühlte sich Kurt wie ein angeschlagener Boxer, der nur noch wenige Runde durch den Ring taumeln wird, eher er durch technisches K.O. zu Boden geht.

      Als er in sein Büro kam, teilte ihm seine Büroleiterin Frau Leitmaier mit, dass Dr. Gründgens Kurt um 14.00 Uhr sprechen will. Kurt blieb noch eine knappe halbe Stunde Zeit, sich eine Strategie zu überlegen. Wütend schlug er mit der Hand gegen die Wand in seinem Büro. Warum hatte Huber seine zweite Mahnung ignoriert? Ist der so begriffsstutzig oder will er nicht lernen? Verdammt, ich hätte ihn als Chefredakteur absetzen müssen, als der Programmdirektor zum zweiten Mal Kritik an „BASTA!!!“ übte, dachte Kurt. Er gestand sich sofort ein, dass das eine Nummer zu hart gewesen wäre. Die Klärung der Schuldfrage würde ihm nun auch nicht helfen. Mit diesem Gedanken ging Kurt zum Fahrstuhl, fuhr zwei Stockwerke höher und fragte sich insgeheim, ob er nach dem Gespräch mit Dr. Gründgens wieder in die 6. Etage oder direkt ins Erdgeschoss fahren dürfe.

      In dem Moment als Kurt in das Büro des Programmdirektors trat, verschwand die Sonne hinter einer Wolke. Das Arbeitszimmer war Kurt von den monatlichen Jour-Fixe-Gesprächen vertraut.

      Dr. Gründgens saß hinter seinem Schreibtisch und machte keine Anstalten aufzustehen, stattdessen wies er auf einen der beiden Besucherstühle vor seinem Schreibtisch.

      Das letzte Mal brütete Kurt vor acht Jahren in diesem Stuhl. Damals wurde er in diesem Stuhl zum Bereichsleiter befördert. Scheinbar mutierte der Stuhl in der Zwischenzeit zum Schleudersitz, im besten Fall zur Büßerbank.

      Nach einleitenden Worten verschaffte Dr. Gründgens seiner Verärgerung Raum. „Vor den Sommerferien habe ich Ihnen deutlich gesagt, dass ich keine derartigen Verfehlungen in der Sendung „BASTA!!!“ mehr dulde. Einmal ist keinmal lautet doch das heimliche Credo in den Redaktionen. Ich begreife nicht, wie nach meinem zweiten Schuss vor Ihren Bug eine weitere und darüber hinaus noch weitaus peinlichere Verfehlung durch Ihre Redaktion produziert wurde. Hatte ich mich Ihnen gegenüber zu undeutlich ausgedrückt?“ Dr. Gründgens schaute Kurt herausfordernd an.

      „Nein, nein, Ihre Worte waren eindeutig! Ich hatte danach ein Vier-Augen-Gespräch mit unserem Chefredakteur Huber geführt und ihn deutlich in seine Schranken verwiesen.“

      „Nachhaltige Wirkung schien dieses Gespräch ja nicht gehabt zu haben. Wie sicher sind Sie, dass Sie Ihre eigene Abteilung im Griff haben?“

      Kurt spürte wie das Eis unter ihm abnehmend dünner wurde und entschied sich für einen diplomatischen Spagat zwischen den auseinander driftenden Eisschollen: „In den letzten acht Jahren wurde das Ressort „Talkshow und politische Magazine“ unter meiner Ägide erfolgreich ausgebaut. Die Zuschauerquoten sind seit dem kontinuierlich gestiegen. Im Bereich der Privatsender bescheinigen uns die führenden Meinungsforschungsinstitute, dass wir über die beiden besten Talkshows verfügen. Nichtsdestotrotz dürfen wir uns auf unseren Lorbeeren nicht ausruhen. Gleichzeitig bin ich genauso wie Sie über die Entwicklung in der Redaktion „BASTA!!!“ schockiert und verärgert, dass die mahnenden Worte trotz aller Deutlichkeit nicht gehört wurden.“

      Ein Fisch reagiert selten auf eine hektisch geführte Rute. Daher verhielt sich Kurt nun still wie ein Angler, um zu schauen, ob sein ausgeworfener Köder geschluckt wurde. Bedauerlicherweise schwamm Dr. Gründgens am Angelhaken vorbei.

      „Herr Assens. Mich hat die Geschäftsführung eine Stunde vor unserer Bereichsleitersitzung über die politischen Reaktionen auf die BASTA!!!-Sendung informiert. Von daher blieb mir kaum Zeit verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, um eine Lösung für das Problem in Ihrem Ressort zu finden. Bis morgen um 12.00 Uhr bleibt mir Zeit der Geschäftsführung eine Offerte vorzulegen, die auch die externen Kräfte zufrieden stellt. Sie können sicher sein, dass ich alles unternehmen werde, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Gleichwohl sehe ich Ihre bisherigen Verdienste. Ungern möchte ich einen Nachfolger für Sie suchen und mühsam einarbeiten. Ergo: Wir beide treffen uns morgen um 9.30 Uhr in meinem Büro und Sie legen mir dann eine überzeugende Strategie vor. Sollte diese mich nicht überzeugen, haben Sie sicher eine Ahnung wer das Bauernopfer in meinen Schlachtplan sein wird.“ Mit diesen Worten stand Dr. Gründgens auf und verabschiedete Kurt ohne Handschlag. Das Bild des Anglers erschien erneut vor Kurts Gesicht. Nicht der Programmdirektor sondern er selber war der Fisch, der bereits an der Angel zappelte und heftig versuchte sich loszureißen, um nicht in den tödlichen Kescher gezogen zu werden.

      Zwei Etagen tiefer schaute Frau Leitmaier Kurt gespannt an. „Der Kopf ist ja noch dran.“, versuchte sie ihn aufzuheitern.

      „Die Schlinge aber nah“, erwiderte Kurt und ging in sein Büro. Obwohl er verschiedene Strategien durchspielte, war er nach einer Stunde noch keinen Schritt weiter.

      Ausgerechnet seit gestern war sein Stellvertreter Martin Zenker für sechs Wochen in Urlaub. Er war sein engster Vertraute im Sender. Kurt schätzte dessen Loyalität, seine Fachkenntnisse und vor allem konnte er mit ihm sehr gut Strategien entwickeln. Genau das würde er gern mit ihm unternehmen. Unglücklicherweise saß dieser gerade auf einer Harley Davidson und fuhr die Route 66 von der Ost- zur Westküste der USA. Ein Jugendtraum, den er sich mit 45 Jahren nun erfüllt hatte. Eine andere Vertrauensperson, die ihm nun helfen könnte, hatte er nicht in der Firma. Daher rief er seinen Freund Achim Schellmeyer an, um sich mit ihm zu treffen. Dieser sagte, dass er am Abend mit seiner Frau eine Tanztheateraufführung anschauen werde. Noch nie hatte Kurt Achim um einen großen Gefallen gebeten. Doch dieses Mal flehte er ihn um seinen freundschaftlichen Beistand an. Achim spürte, dass die Not seines Freundes bedeutend größer war als die zu erwartende Enttäuschung seiner Frau, wenn sie alleine das Tanztheater besuchen müsste. Sie verabredeten sich in einem portugiesischen Restaurant am Hafen.

      Nun musste Kurt allerdings widerwillig die Verabredung mit Henning stornieren. Dummerweise erreichte er ihn nicht. Verdammt, warum hat der Junge auch immer dann, wenn man ihn braucht sein Handy ausgeschaltet. Obwohl ihm SMS verhasst waren, verfasste er eine Kurznachricht an seinen Sohn, in der er mitteilte, dass er aus höchst wichtigen dienstlichen Gründen einen Termin habe und schlug vor, dass sie sich am nächsten Tag um 8.00 Uhr zum Frühstück sehen.

      Zuhause

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