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Die Übersetzungen von Ernst Weiß. Manfred Müller
Читать онлайн.Название Die Übersetzungen von Ernst Weiß
Год выпуска 0
isbn 9783742705754
Автор произведения Manfred Müller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie kritisierten nun höchst geistvoll seine Kunst in Form einer Parodie, indem sie seinen Dialog in einer Konjugation abwandelten: »Ich habe gesagt, die Frau ist eingetreten.« »Du hast gesagt, dass die Frau eingetreten ist.« »Ihr habt gesagt, dass die Frau eingetreten ist.« »Weshalb hat man gesagt, dass die Frau eingetreten ist?«
Pécuchet wollte dieses kleine Stück der »Revue des deux mondes« einsenden, aber es war nach Bouvard klüger, es aufzuheben und in einem Salon à la mode zu verzapfen. Dann würden sie dort mit dem ersten Anhieb entsprechend ihrem Rang gewürdigt. Es einer Zeitschrift zu überlassen, dazu sei später immer noch Zeit. Und die ersten Zeugen dieser Geistestat würden es gedruckt wiedererkennen und sich geschmeichelt fühlen, dass sie es zuerst hatten genießen dürfen.
Trotz seines Geistes schien ihnen Lemaître inkonsequent, respektlos, einerseits gar zu pedantisch, andererseits zu bürgerlich, er wandte zu oft die Palinodie an. Vor allem war sein Stil zu schlaff, als Entschuldigung kam in Betracht, dass es schwer war, zu festgesetzter Frist und so schnell nacheinander zu improvisieren. Was France betrifft, so schreibt er gut, denkt aber schlecht. Im Gegensatz zu ihm steht Bourget, der wohl Tiefe hat, aber das Geheimnis der Form nicht besitzt. Dass kein vollendetes, allseitiges Talent zu finden war, brachte sie zur Verzweiflung.
»Und doch kann es nicht besonders schwer sein, seine Gedanken klar auszudrücken. Aber die Klarheit genügt nicht, man bedarf der Anmut (mit Kraft gepaart), der Lebhaftigkeit, des Aufschwungs, der Logik.« Bouvard fügte noch die Ironie hinzu. Nach Pécuchet war sie nicht unentbehrlich, sie ermüde oft und lenke den Leser zu seinem Nachteil ab. Kurzum, alle Welt schreibt schlecht. Verantwortlich dafür war, nach Bouvard, das übertriebene Haschen nach Originalität, nach Pécuchet der Verfall der Sitten.
»Wir müssen den Mut haben, unsere Schlüsse der Welt zu verheimlichen«, sagte Bouvard, »wir würden als Lästermäuler gelten, würden jedermann erschrecken, niemandem gefallen. Wir wollen doch statt Unruhe lieber Trost bringen. Unsere Originalität wird uns ohnehin genug schaden. Also heißt es, sie verbergen. Man kann über andere Dinge reden als über Literatur.«
Infolgedessen sind wichtige Dinge an der Tagesordnung.
»Wie soll man grüßen? Mit dem ganzen Körper oder bloß mit dem Kopf? Schnell oder langsam – so wie man dasteht oder indem man die Hacken zusammenschlägt – indem man sich nähert oder indem man am Platze bleibt – indem man den unteren Teil des Rückens zurückzieht oder indem man ihn zum Angelpunkt macht?? Sollen die Hände am Körper herabfallen, sollen sie den Hut halten, sollen sie Handschuhe tragen? Soll das Gesicht ernst bleiben oder lächeln während des Grußes? Aber wie nach dem beendeten Gruße seinen Ernst, seine Würde sofort wiedergewinnen?
Auch das Vorstellen ist eine Kunst.
Bei welchem Namen soll man beginnen? Soll man mit der Hand auf die vorzustellende Person hinweisen oder sich ruhig verhalten mit gleichgültiger Miene? Soll man auf dieselbe Art einen jungen Menschen und einen alten grüßen, einen Schlosser und einen Prinzen, einen Schauspieler und einen Akademiker? Das »Ja« tat den Gleichheitsgedanken Pécuchets wohl, beleidigte aber den gesunden Menschenverstand Bouvards.
Wie jedem seinen Titel und Rang geben?
Man sagt einem Baron: »Mein Herr«, ebenso einem Freiherrn, einem Grafen. Aber »Guten Tag, mein Herr Marquis« schien ihnen banal, »Guten Tag, Marquis« aber zu frei, in Anbetracht ihres Alters. Sie beschlossen schließlich zu sagen: »Fürst« und »Euer Durchlaucht«, obgleich der letztere Sprachgebrauch ihnen aufreizend erschien. Als sie an die Hoheiten kamen, gerieten sie in Verwirrung. Bouvard, geschmeichelt von seinen künftigen Beziehungen, erfand tausend Redensarten, in denen diese Anrede unter allen Formen wiederkam, er begleitete sie mit einem zarten lächelnden Erröten, beugte ein wenig sein Haupt und wiegte sich in den Hüften. Aber Pécuchet erklärte, er würde sich hier immer verlieren, würde sich verwickeln oder dem Fürsten ins Gesicht lachen und herausplatzen. Kurz, aus Scheu vor solchen Zwischenfällen verzichteten sie auf den Besuch in den Häusern des Faubourg Saint-Germain. Aber dieser kommt überall hin, nur von außen scheint er eine feste, abgeschlossene Burg ... Übrigens streut man den Titeln in der Hochfinanz noch mehr Weihrauch, und was die Adelsprädikate der Hochstapler betrifft, sind sie nicht zu zählen. Indessen hat man sich nach Pécuchet streng gegen die schwindelhaften Adelsnamen zu betragen und muss Gewicht darauflegen, ihnen das von auch nicht auf den Adressen der Briefe zu geben oder dann, wenn man mit ihren Dienstboten spricht. Bouvard aber war noch skeptischer, er sah darin nicht mehr als nur eine neue Manie, die genauso achtenswert war wie die der alten Geschlechter. Übrigens existierte nach ihrer Ansicht der Adel nicht mehr, seit er seine Privilegien verloren hatte. Der Adel ist klerikal, reaktionär, liest kein Buch, amüsiert sich genau wie die Bourgeoisie. Sie fanden es absurd, dergleichen hoch zu achten. Man konnte mit dem Adel verkehren, da der Verkehr nicht die Verachtung ausschloss. Bouvard erklärte: Wenn sie wissen wollten, welche Gesellschaften man besuchen, in welche Vorstadt man einmal im Jahre schlendern wolle, wie sich ihre Gewohnheiten, ihre Laster gestalten würden, dann müsse man vorerst einen genauen Plan der Pariser Gesellschaft entwerfen. Diese begriff in sich nach seiner Ansicht den Faubourg Saint-Germain, die Finanz, die Hochstapler, die protestantische Gesellschaft, die Theater- und Künstlerkreise und die offizielle und wissenschaftliche Welt. Nach den Begriffen von Pécuchet verbarg der Faubourg hinter einer strengen Außenseite noch das lockere Leben des ancien régime. Jeder Adelige hat zahlreiche Geliebten, ferner eine Ordensschwester, die mit dem Klerus konspiriert. Die Aristokraten sind tapfer, haben Schulden, ruinieren und prügeln die Wucherer, sind unweigerlich Helden auf dem Gebiete der Ehre, sie herrschen durch ihre Eleganz, erfinden die neuen Moden, sind ausgezeichnete Söhne, herablassend zum Volk, hart gegen die Bankiers. Immer den Degen in der Hand, eine Frau hinter sich im Sattel, so träumen sie von der Wiederkehr der Monarchie, sind furchtbar faul, aber nie arrogant gegen anständige Menschen, sie treiben die Verräter in die Flucht, beleidigen die Feiglinge und Schwadroneure und verdienen sich durch eine gewisse ritterliche Art unsere nimmer zu erschütternde Sympathie.
Im Gegensatz hierzu erweckt die ansehnliche, zugeknöpfte Finanzwelt wohl unsere Achtung, aber auch unsere Abneigung. Selbst im tollsten Treiben eines Balles behält der Finanzmann seinen klaren Kopf. Einer seiner zahllosen Kommis erscheint stets, um ihm die letzten Kurse zu bringen, selbst um vier Uhr morgens. Seiner Frau verheimlicht er seine glücklichsten Spekulationen, seine schwersten Verluste. Man weiß nie, ist er ein Potentat oder ein Gauner. Er ist bald das eine, bald das andere, sagt aber nie voraus, was. Trotz seines riesigen Besitzes delogiert er ohne Gnade und Barmherzigkeit den kleinen Mieter, ohne ihm nur ein Quartal zu stunden, es sei denn, dass er ihn zum Spion verwenden oder mit seiner Tochter ein Verhältnis beginnen will. Übrigens fährt er allezeit im Wagen, kleidet sich ohne Geschmack, trägt immer ein Augenglas.
Für die protestantische Gesellschaft empfanden sie nun keine besondere Hinneigung. Sie ist kalt, geziert, gibt nur ihren Armen, besteht ausschließlich aus Pastoren. Das Gotteshaus ähnelt zu sehr dem Wohnhaus, und das Wohnhaus ist trist wie das Gotteshaus. Hier ist immer ein Pastor zu Mittag eingeladen. Die Diener ermahnen ihre Herrschaften, zitieren Bibelverse. Die Protestanten scheuen die Fröhlichkeit, weil sie nichts verheimlichen wollen, und wenn sie mit Katholiken sprechen, lassen sie ihren ewigen Groll durchschimmern über die Zurücknahme des Ediktes von Nantes und über die Bartholomäusnacht.
Die Welt der Künstler ist auch aus einem Guss, aber ganz verschieden von der andern. Jeder Künstler ist ein Spaßvogel, übers Kreuz mit seiner Familie, trägt nie Zylinderhut, spricht sein eigenes Kauderwelsch. Sein Leben besteht darin, den Polizisten Streiche zu spielen, wenn sie ihn holen kommen, oder groteske Verkleidungen für den Maskenball ausfindig zu machen. Nichtsdestoweniger bringen sie oft Meisterwerke hervor, bei den meisten ist sogar der Missbrauch von Weib und Wein die Ursache ihrer Inspiration, wenn nicht die Ursache ihres Genies. Sie schlafen am Tage, nachts gehen sie spazieren, arbeiten, niemand weiß wann, den Kopf haben sie stolz zurückgebogen,