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Fehler geöffnet, und zu seinem Vorteil genießt er jetzt eine Art Straffreiheit. So steht der Charakter Castruccios als »treuer Freund« unerschütterlich fest, dies erlaubt ihm, jeden seiner Freunde einzeln zu belügen und zu betrügen. Wer darunter doppelt leiden muss, ist aber der andere: »Was für ein Schuft muss dieser sein, wenn auch Castruccio, der Treueste der Treuen, ihn verlässt!« Fortunata darf in langen Strömen böse Nachrede verbreiten. Wer sollte verrückt genug sein, die Quelle unter dem Busenhalter ihrer Brust zu suchen, deren weite Fülle schützend alles verbirgt? Girolamo darf ohne Furcht eine Schmeichelei wagen, welcher seine sonst geübte Freimütigkeit den Zauber des Unvorhergesehenen verleiht. Er darf einem Freunde gegenüber seine Rauheit bis zur Brutalität treiben, denn man ist sich darin einig, dass es nur im Interesse des Freundes liegt, dass dieser vergewaltigt werde. Cesare erkundigt sich nach meiner Gesundheit, es geschieht, weil er's dem Dogen rapportieren will. Er hat mich gar nicht darum gebeten. Wie fein versteht er sein Spiel zu verbergen! Guido nähert sich mir, er macht mir Komplimente über mein gutes Aussehen. »Niemand hat so viel Geist wie er«, schreien sie alle im Chor, »aber er ist ein richtiger Teufel!« Zwischen den wahren Charakteren dieser Castruccio, Guido, Cardenio, Ercole, Pippo, Cesare und Fortunata und dem Typus, den sie unwiderruflich in den Augen der scharfsichtigen Gesellschaft verkörpern, ist eine tiefe Kluft, aber diese Kluft ist für Träger dieser Masken gefahrlos, denn die Gesellschaft will sie nicht sehen. Aber wie streng ist sie in ihrer Abgrenzung! Girolamo mag tun, was er will, er ist ein böswilliger Grobian. Fortunata mag sagen, was sie will, sie ist eine gute Seele. Die Widerstandsfähigkeit des Typus ist absurd, niederschmetternd, unangreifbar; und doch kann sich unaufhörlich jeder persönlich von ihm entfernen, ohne dessen heitere Festigkeit im geringsten zu stören, dafür aber zwingt dieser Typus mit einer immer wachsenden Anziehungskraft alle Personen ohne Persönlichkeit zu sich heran, alle, deren Haltung zu wenig inneren Zusammenhang besitzt: Schließlich unterliegt der einzelne der Faszination dieses Brennpunkts, der sich mitten im Wandel der Dinge gleichbleibt. Wenn Girolamo einem Freunde »Wahrheiten« sagt, so ist er jenem dankbar dafür, dass er ihm das Stichwort gegeben hat und ihm das Spiel ermöglicht, er »züchtigt ihn, weil er ihn liebt«, und spielt dabei eine ehrenhafte, fast kann man sagen, prachtvolle Rolle, und er ist sogar nicht mehr weit davon entfernt, echt zu sein. Zu der Grausamkeit seiner Sprüche fügt er einen Tropfen duldsamen Mitgefühls, der sehr natürlich ist gegenüber einem Tieferstehenden, der die Folie für seinen Ruhm bildet. Da darf jener ihm aufrichtig dankbar sein, und schließlich hat er die Herzensgüte, die ihm die Gesellschaft bisher bloß angedichtet hatte, wirklich erworben. Bei Fortunata hat ihre wachsende Beleibtheit, ohne ihren Geist zu mindern und ohne ihre Schönheit zu zerstören, ein wenig das Interesse an den andern verringert, und zwar in dem Maße, als die Sphäre ihrer eigenen Persönlichkeit zugenommen hat, und jetzt fühlt sie eine Milderung ihrer Bitterkeit, und damit fällt das einzige Hindernis für sie, würdig die verehrungswürdigen, bezaubernden Pflichten zu erfüllen, welche die Gesellschaft ihr übertragen hat. Der Geist der Worte »Wohlwollen«, »Güte«, »Rundung«, die man unaufhörlich vor ihr und hinter ihr ausgesprochen hat, mussten allmählich ihre Sprache durchtränken, die nun von Lobesworten überquillt und der auch der weite Leibesumfang eine besondere Autorität gewährleistet, die doppelt schmeichelhaft ist. Sie hat das unbewusste, aber starke Gefühl, als übe sie eine wichtige, friedliche Beamtentätigkeit. Manchmal scheint sie über die Grenzen ihrer Persönlichkeit zu treten, sie kommt daher wie eine ganze Ratsversammlung, mit hochgehenden Wogen, aber weichherzig, da gibt es wohlwollende Richter, deren Vorsitz sie führt, die allgemeine Zustimmung berührt sie tief ... Es kommt vor, dass man in Abendgesellschaften plaudert, keiner stößt sich an den Widersprüchen im Benehmen der Masken, noch auch bemerkt jemand ihre langsame Assimilation an den vorgeschriebenen Charakter; jedermann ordnet ihre Handlungen in das Fach im Schreibtische, in die genaue Definition des idealen Charakterbildes; jeder stellt mit Ergriffenheit und Genugtuung fest, dass sich das Niveau der Unterhaltung unzweifelhaft hebt. Allerdings unterbricht man diese Arbeit bald, um nicht den hierzu nicht genügend geschulten Köpfen zu viel ermüdende Arbeit zuzumuten (denn man ist Mensch der Gesellschaft). Man hat den Snobismus des einen getadelt, die Böswilligkeit der andern, die lockere Lebensführung, die Härte eines dritten, nun trennt man sich, jeder hat reichlich seinen Tribut an das Wohlwollen, die Nächstenliebe, das Schamgefühl entrichtet, nun kann sich jedermann ohne Gewissensbisse in der Ruhe seines Herzens, das sich eben herrlich bewährt hat, den eleganten Lastern hingeben, die dessen Krone bilden.

      Diese Reflexionen wurden angeregt durch die Gesellschaft von Bergamo; auf eine andere Gesellschaft angewendet, verlieren sie einen Teil ihrer Wahrheit. Als Arlekin die Bergamesker Szene verließ, um die französische zu betreten, wurde aus dem Tölpel ein feiner Kopf. So erklärt es sich, dass Liduvina in gewissen Gesellschaften als Frau von Bedeutung gilt und Girolamo als bedeutende Intelligenz. Man muss hinzufügen, dass sich manchmal ein Mensch zeigt, für den die Gesellschaft entweder überhaupt keinen ›Charakter‹ findet oder doch keinen disponiblen, da den seinen ein anderer innehat. Sie verleiht ihm dann einen, der ihm durchaus nicht zu Gesicht steht. Ist er nun wirklich ein origineller Mensch und passt kein fertig gekaufter Charakter auf seine Schultern und kann man ihn auf keine Weise verstehen und gibt es keinen nach Maß gearbeiteten ›Charakter‹ für ihn, schließt man ihn eben aus – oder lässt ihn den jugendlichen Liebhaber spielen, denn an denen herrscht stets Mangel.

      Von Bouvard und Pécuchet

      Natürlich sind die Ansichten, die der Autor hier den berühmten Figuren Flauberts in den Mund legt, nicht seine eigenen.

      Weltlichkeit

      »Warum sollen wir, da wir uns nun doch eine Stellung geschaffen haben, nicht ein Leben in der großen Welt führen?«

      Das eben war die Ansicht von Pécuchet, aber man wollte dort glänzen und musste deshalb den Gegenstand studieren.

      Die zeitgenössische Literatur ist von höchster Bedeutung.

      Sie abonnierten einige Zeitschriften, die sich die Verbreitung der Literatur zur Aufgabe machen, und lasen sie laut vor, bemühten sich, Kritiken zu schreiben, suchten vor allem Ebenmaß und Leichtigkeit des Stils zu erreichen, in Anbetracht des gesetzten Ziels.

      Bouvard erinnerte daran, dass der Stil einer Kritik, wäre sie auch im Plaudertone geschrieben, doch nicht der richtige sei für die große Welt, und sie führten Konversationsstunden ein über ihre Lektüre, gehalten in der Art der Leute der großen Gesellschaft.

      Bouvard lehnte sich an den Kamin, bastelte mit Vorsicht an den hellen Handschuhen herum, die er eigens zu dem Zwecke angeschafft hatte, und nannte Herrn Pécuchet Madame oder General, um die Illusion zu vollenden.

      Oft blieben sie dabei; einer von ihnen hatte sich in einen Autor hineingeschwatzt, vergebens versuchte der andere ihn zu halten. Übrigens machten sie alles herunter. Leconte de Lisle war gar zu starr, Verlaine zu zart besaitet. Sie träumten von einem juste-milieu, ohne es zu entdecken.

      »Weshalb hat Pierre Loti immer nur den einen Ton?«

      »Alle seine Romane sind auf die gleiche Note gestimmt.«

      »Nur eine Saite auf der Leier«, schloss Bouvard.

      »Aber André Laurie gibt auch nicht das Rechte, jedes Jahr schleppt er uns anderswohin, und er verwechselt Literatur mit Geographie. Was taugt, ist einzig sein Stil. Was aber Henri de Régnier anlangt, so ist er ein Schwindler, oder er gehört ins Narrenhaus, keine andere Wahl.«

      »Kommst du mal da heraus, mein Alter«, sagte Bouvard, »dann ist es dir gelungen, die moderne Literatur aus einer verfluchten Sackgasse herauszuziehen.«

      »Nur keine Gewalt«, sagte Pécuchet, als milder Herrscher, »sie haben es vielleicht in sich, diese jungen Pferde! Werfen wir ihnen die Zügel über den Nacken! Zu fürchten wäre nur, dass sie, derart angeschmiert, über das Ziel hinausschießen, aber auch Extravaganz ist ein Beweis für eine reiche Natur.«

      »Unterdessen sind aber die Grenzpfähle kaputt«, schrie Pécuchet, und während er mit seinem ewigen Nein das leere Zimmer füllte, wurde er warm: »Und im Übrigen können Sie wiederholen, so oft Sie wollen, dass diese ungleich langen

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