Скачать книгу

Stapel hinlegte. Er sah sich in der Pflicht, eine Erklärung hinterherzuschicken, bevor er aus dem Zimmer stürmte. „Ich, ich muss aufs Klo!“

      Die Erklärung war dämlich, aber gerade knapp genug, um zu entdecken, wie die unbekannte Dunkelhaarige in eine Tür einbog. Schlagartig wurde ihm klar, was sie in der vierten Etage zu suchen hatte. Sie trug eine blaurote Kittelschürze und schob einen Putzwagen. Neben der Materialkammer im vierten Stock befand sich auch die Putzkammer, in der die Ausstattung für das Reinigungspersonal aufbewahrt wurde. Als Tim die Tür erreicht hatte, hinter welcher die Dame verschwunden war, blieb er unschlüssig davor stehen. Er las die Beschriftung „Damen-WC“. Sollte er ihr folgen? Das machte sich wahrscheinlich nicht gut. Gerade für einen Praktikanten, der ohnehin schon unangenehm aufgefallen war. Aber er konnte hier auch nicht stehen bleiben, bis sie wieder heraus kam. Das wäre noch auffälliger und auffällig werden, war das Letzte, was er wollte. Tim wandte sich um und drückte die Klinke der Herrentoilette nebenan herunter. Die Toiletten des Büros waren funktional und für eine Werbeagentur einfallslos. Die weißen Kacheln hätten auch in jedem anderen Verwaltungsgebäude angebracht sein können. Irgendwie hatte Tim sich es für eine so riesige Agentur wie Bayerisch Media exklusiver, schicker oder irgendwie kreativer vorgestellt. Er ging in eine Kabine und stellte sich nicht ans Pissoir. Na, wenigstens war das Toilettenpapier blümchenverziert. Tim verrichtete sein Geschäft und ließ sich viel Zeit dabei. Währenddessen lauschte er, ob sich im Nebenraum etwas tat. Abwechselnd wurden die Spülungen gezogen, worauf Tim schloss, dass die Putzfrau die einzelnen Toiletten reinigte und dann spülte. Er blickte auf die Uhr und seufzte. Er konnte nicht länger warten. Wie hätte er Frau Bayerl seine Abwesenheit erklären können? Er drückte die Spültaste und begab sich zu den Handwaschbecken. Dort bediente er sich mit reichlich Seife aus dem Spender, bis seine Hände durch rosaweißen Schaum kaum mehr zu sehen waren. Sein Blick fiel auf die Tür, an der ein weißer Zettel pappte. Mit zusammengekniffenen Augen begann er, die Schrift zu entziffern. Hierauf waren die Uhrzeiten der zuletzt durchgeführten Reinigungsarbeiten mit den jeweiligen Unterschriften der Putzkraft zu lesen. Die Toilette war am Vormittag um 10:00 Uhr von Frau Tanja Speicher geputzt worden. Ob das die Unbekannte mit dem Pferdeschwanz war? Obwohl er sich beim Händewaschen furchtbar viel Zeit ließ, verließ die Dame die Toiletten nebenan noch nicht. Resigniert stapfte Tim wieder zurück in das Büro zu Frau Bayerl. Kaum hatte er jedoch die Tür zu ihrem Büro geöffnet, sah er, wie sie ihren Putzwagen aus der Damentoilette schob.

      Frau Bayerl blickte ihn prüfend an und Tim beschloss zugunsten seiner Tarnung das Zimmer nicht gleich wieder zu verlassen. „Wieder da“, kündigte er an und bemühte sich, Frau Bayerl nicht direkt anzusehen.

      „Alles in Ordnung?“ fragte sie und Tim war sich nicht sicher, ob der Tonfall besorgt oder misstrauisch klang.

      Er widmete sich sofort seinen Kopien und sortierte die Kopien vor sie hin, ohne auf die Frage einzugehen.

      „Die Hausmitteilungen können gleich aufgehängt werden“, bestimmte Frau Bayerl und legte den kleinen Stapel wieder zurück. „Sind es denn genug?“

      „Natürlich. Drei für jede Etage und eines für das Schwarze Brett an der Kantine.“

      „Gut, dann können Sie sich gleich an die Arbeit machen!“ und damit schickte sie Tim wieder heraus. Froh, sich keine Ausrede überlegen zu müssen, nahm er die Blätter und ging. In Rekordzeit wetzte er durch die Abteilungen und hängte die Mitteilungen auf - und stellte am letzten Mitteilungsbrett im dritten Stock fest, dass ihm keine Exemplare für den vierten Stock mehr blieben. Mist. Wie konnte das passieren? Er kratzte sich nachdenklich am Kopf. Bei vier Etagen zu je drei Schwarzen Brettern mussten es doch zwölf Exemplare sein? Natürlich! Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Es waren fünf Etagen. Er hatte vergessen, dass das Erdgeschoss nicht mit nummeriert war. Tim löste das letzte Blatt vom schwarzen Brett und wollte sich damit auf dem Weg zum Kopierer machen, als ihm einfiel, dass das bunte Papier bei Frau Bayerl im Büro lag. Tim pinnte das Schreiben wieder an. Es gab wohl keinen Weg drum herum, er musste zurück und ihr gestehen, dass er drei Seiten zu wenig kopiert hatte. Aber vorher musste er herausfinden, wer die Putzfrau war. Rasch begab Tim sich wieder in den ersten Stock und öffnete die Tür der Herrentoilette. Die Pferdeschwanzdame putzte gerade die Waschbecken. Tim warf einen Blick zur Tür. Es gab noch keinen neuen Eintrag auf dem Kontroll-Zettel. Er konnte nicht einfach untätig im Raum stehen bleiben und auf sie warten. Kurzerhand schloss Tim sich in der ersten Kabine ein. Die Putzfrau gehörte offensichtlich zu den gründlichen. Es dauerte und dauerte. Irgendwann war der Zeitpunkt überschritten, an dem ein normaler Mensch während der Arbeitszeit aufs Klo gehen würde. Tim spülte, verließ die Kabine und begab sich zu den Waschbecken. Wieder einmal drückte er reichlich Seife aus dem Spender und wusch die Hände mit medizinischer Gründlichkeit. Doch die Putzfrau reinigte die einzelnen Kabinen, ohne dass Tim sie zu Gesicht bekam. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Toilette zu verlassen und die Putzfrau in Ruhe putzen zu lassen. Ihren Namen hatte sie an der Tür noch immer nicht abgezeichnet. Grußlos verließ Tim den Raum. Im Gang war niemand zu sehen. Kurzentschlossen riss Tim die Tür zu den Damentoiletten auf.

      An der Innenseite der Tür hing der Kontrollzettel. 13:00 Uhr, ein Kreuzchen bei Toiletten, eines bei Waschbecken, kein Kreuzchen bei Fußboden, Spiegel, Fenster und Türklinken und eine krakelige Unterschrift „Milka Krasnick“. Tim holte sein Telefon hervor und fotografierte den Zettel ab. „M. kommt!“ hieß es einmal in der Woche. „M.“ stand für Milka. Milka, die Putzfrau. Nicht „Alpia“, wie Frau Wagner dachte, aber Schokoladenname stimmte. Tim tippte die Nummer des Büros in sein Telefon ein.

      „Detektei Keller, mein Name ist Lausitz, was kann ich für Sie tun?“ meldete sich eine charmante helle Mädchenstimme am anderen Ende der Leitung.

      „Hier ist Tim. Tim Fuchs!“

      „Dacht ich es mir schon. So viele Tims rufen hier nicht an.“ Der Charme in der Stimme verwandelte sich in Geringschätzung.

      „Ich muss mit Keller sprechen.“

      „Herr Keller kann gerade nicht.“

      „Ich muss aber mit ihm sprechen. Es geht um die Putzfrau von Frau Deubacher.“

      „Haben Sie Watte in den Ohren? Herr Keller kann jetzt nicht. Wie Sie wissen sollten, haben wir einen neuen Auftrag mit Observierungsverpflichtung. Herr Keller muss zu seinem Termin.“

      „Das heißt er ist noch im Haus? Geben Sie ihn mir, schnell!“

      „Das heißt, er ist so gut wie weg! Sie können es sicher auch mir ausrichten!“

      „Ich will Herrn Keller sprechen, ich denke, es ist wichtig.“

      „Was Sie denken, interessiert mich überhaupt nicht“ antwortete Franziska kühl. „Ich habe die Anweisung, keine Gespräche mehr durchzustellen. Und wenn Herr Keller zu mir sagt, ‚keine‘, dann stelle ich auch keine durch.“

      „Himmel!“ fluchte Tim, der befürchtete, dass jeden Moment die Tür aufging und er erklären musste, weshalb er in der Damentoilette telefonierte. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb. Jedenfalls nicht genug, um mit Franziska Lausitz zu streiten.

      „Ich hab die Putzfrau von Christine Deubacher gefunden. Ich weiß, wer es ist und wie sie heißt!“

      Nach einem kurzen Klicken hörte Tim die schwungvolle Wartemelodie der Detektei. Endlich, dachte er. Nach wenigen Sekunden, in denen er dauernd befürchtete, auf dem Damenklo überrascht zu werden, klickte es erneut.

      „Herr Keller will, dass Sie herausfinden, was mit M. ist.“

      Tim war völlig perplex. Er wollte mit Keller selbst sprechen und nicht irgendwelches wirres Zeug von einer übereifrigen Assistentin ausgerichtet bekommen.

      „Bitte?“

      „Herr Keller will, dass Sie herausfinden, was mit M. ist.“

      „Ähm, ich weiß nicht, was Sie meinen.“

      „Ergründen, forschen, aufklären, entdecken. Sie können in Teeblättern oder im Kaffeesatz lesen, sie observieren oder ihr Umfeld befragen – es ist mir gleich. Herr

Скачать книгу