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rechnete mit einem Wutausbruch. Aber ihre Stimme wurde überraschend weich.

      „Er war nicht immer so. Und uns verbindet so viel. Wir haben Jolina!“

      „Und wie viele Kinder brauchen Sie noch, um festzustellen, dass er nicht der Richtige ist?“

      „Hören Sie auf! Ich will mich nicht für meine Liebe rechtfertigen müssen.“

      „Nicht für Ihre Liebe. Aber für die Verletzungen! Was ist heute mit Ihrem Auge? Und überhaupt? Die merkwürdigen Telefongespräche? Das ganze Makeup in letzter Zeit? Das soll die Wunden doch kaschieren! Was der Kerl macht heißt Körperverletzung und ist eine Straftat! Und dafür gibt es keine Rechtfertigungen, Kind hin oder her! Kapieren Sie das doch endlich!“

      Seine Worte hatten nicht die erwartete, die erhoffte Wirkung. Später musste sich Tim eingestehen, dass er mit dieser direkten Art und Weise und seiner unverhohlenen Aggression in der Stimme die sture Franziska in eine Einbahnstraße schickte. Von der Weichheit in ihrer Stimme war nichts mehr übrig. Sie klang nur noch gehässig. Gehässig und verletzend.

      „Und Sie glauben, das beurteilen zu können? Ein dicklicher Praktikant, der durch die Polizeiaufnahmeprüfung rasselte und dessen einzige Qualität ist, für nahezu jedes Fahrzeug einen Führerschein zu haben? Was macht Sie zum Beziehungsexperten? Dass Sie eine reiche Schweizerin anhimmeln?“

      Feuer flammte in jeder Hautzelle seines Gesichtes auf. Der Puls wummerte gegen sämtliche Aderwände. Er konnte Franziska nicht mehr in die Augen sehen und wandte sich ab.

      „Fahren Sie doch zur Hölle“, zischte er.

      Donnerstag, 03. Mai 2012

      Der zweite Tag in der Bayerisch Media begann vielversprechend. Am Vormittag hatte Tim Gelegenheit, sich die kompletten privaten Daten von Dr. Heldmanns Festplatte und seinen elektronischen Kalender zu kopieren ohne aufzufallen. Nun trug er den Stick mit den Daten in seiner Hosentasche und musste sich das Grinsen verkneifen. Und noch etwas anderes hatte seine Stimmung sehr erhellt. Die Sensation war ihm in aller Heimlichkeit gelungen. Er fand das IPhone von Christine Deubacher. Es lag in der unverschlossenen Schublade des Schreibtisches in Dr. Heldmanns Büro. Zuerst war er sich nicht sicher. Es war ein weißes IPhone, schlicht, ohne Hülle. Tim probierte, es einzuschalten. Natürlich war der Akku leer. Tim steckte es in seine Tasche und fragte Frau Bayerl unschuldig nach einem Ladegerät. Sie zog ein IPhone-Ladekabel hervor.

      „Für Frau Deubacher hab ich das Kabel oft gebraucht. Sie und ich hatten hier in der Firma als einzige ein IPhone. Die anderen Mitarbeiter haben Sony Ericson und Samsung. Dr. Heldmann hat ein Blackberry. Daher hab ich sicherheitshalber auch hiervon das Ladekabel in der Schublade!“

      Sie wies auf ein anderes, schwarzes Kabel hin. Tim nahm das weiße IPhone-Kabel und bedankte sich. Entspannt und beschwingt ging Tim in die Mittagspause.

      Am Ende der Mittagspause wollte Tim gemütlich an seinen Arbeitsplatz zurückkehren, als sie ihm begegnete. Während er den schweren Griff der Kantinentür herunterdrückte, drängelte sich eine dunkelhaarige Frau mit beigem Pullover und Pferdeschwanz an ihm vorbei. Sie wandte sich ihm kurz zu und bedankte sich mit einem Lächeln. In Tims Gehirn blitzte es auf und sein Gedächtnis meldete Alarm. Sie hatte unfassbar weite Zahnlücken. Irgendwo hatte er sie schon einmal gesehen, irgendwo außerhalb der Agentur. Obwohl die Dame sich sehr beeilte, verlor er sie nicht aus den Augen. Sie wartete bei den Aufzügen und als sich die Aufzugtüre öffnete, drückte sie einen Knopf. Aufgrund der Höhe des Knopfes schloss Tim, dass sie in die 4. Etage wollte und er nahm die Treppe. Vierte Etage, überlegte er. Was um Himmels Willen wollte sie dort? Dort war nichts, außer einem großen Foyer, dem großen Konferenzsaal, die Materialkammer und die Putzkammer. Oben angelangt, sah er sich verunsichert um. Hatte er sich doch im Stockwerk geirrt? Kein Mensch war zu sehen. Heute fand keine Konferenz oder Präsentation statt. Er holte tief Luft und trat vor die Aufzugstür.

      „Bing, vierter Stock!“ klang es aus dem blechernen Aufzugslautsprecher und Tim sprang zur Seite. Er versteckte sich hinter einem Wandvorsprung und sah, wie die Dunkelhaarige mit wippendem Pferdeschwanz aus der Aufzugskabine trat. Tim wartete einen Augenblick, beugte sich vor, aber sie war schon verschwunden. Mist, dachte er. Wenn hier wenigstens andere Leute gewesen wären! Dann hätte er sich viel unauffälliger bewegen können. Was aber sollte er antworten, falls sie ihn fragte, was er hier oben zu suchen hatte? Vielleicht irrte er sich und sie war gar nicht wichtig. Doch irgendetwas in ihm schrillte Alarm. Er musste herausfinden, wer sie war. Wenn er sich doch bloß erinnerte! Die große runde Uhr im Gang zeigte ihm, dass die Pause jetzt vorüber war. Er durfte seine Tarnung wegen der unbekannten Dunkelhaarigen nicht auffliegen lassen. Mit schnellen Schritten nahm er die Treppe nach unten.

      „Na, so außer Atem?“ fragte Frau Bayerl freundlich und ihre Apfelbäckchen hoben sich.

      „Ich wollte nicht zu spät kommen!“ stammelte Tim mit schuldbewusstem Blick.

      „Sind Sie auch nicht. Sehr vorbildlich! Zu spät kommen, das sehen wir nicht so gerne. Genauso wie Toilettengänge während der Dienstzeit. Wir haben hier drei Pausen am Tag, jedenfalls in unserer Abteilung. Die Kreativen selbst, die halten sich ja nie an Uhrzeiten. Aber wir hier in der Verwaltung, wir brauchen das, schließlich halten wir mit unserer Arbeit den Betrieb zusammen. Ich hab schon Praktikanten gesehen, die alle Nase lang aufs Klo rannten. Das macht sich nicht wirklich gut.“

      Tim nickte brav und nahm den Stapel der zu kopierenden Exemplare an sich.

      „Die oberen müssen auf rotem Papier kopiert werden, das sind die Hausmitteilungen für die Schwarzen Bretter. Wir haben davon drei auf jeder Etage und noch eines vor der Kantine, für diejenigen, die ihre E-Mails nicht regelmäßig prüfen!“ Mit einem lustigen Zwinkern reichte Frau Bayerl ihm einen Schwung rotes Kopierpapier. Tim legte es unter die Kopiermappe und machte sich ans Werk.

      Das Zimmer von Ed Poulsen war nach wie vor noch nebenan und Tim spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er an der geöffneten Tür dieses Mitarbeiters vorbei ging. Ed Poulsen telefonierte lautstark in einer Sprache, die Tim nicht erkannte. Na, dann war er wenigstens beschäftigt und störte sich nicht daran, wenn Tim wieder kopierte. Die Hausmitteilungen auf rotes Kopierpapier zu kopieren, war noch einfach, denn er konnte die Din A 4 großen Blätter in den Einzug legen und das weiße Papier im Schacht 1 gegen das rote tauschen. Drei auf jeder Etage machte bei vier Etagen zwölf plus eines für die Kantine. Während das Papier in der Maschine ratterte und Blatt für Blatt ausgeworfen wurde, überlegte Tim, woher er die Pferdeschwanzdame kannte. Im Geiste ging er die Orte und Personen durch, mit denen er die letzten Tage zu tun gehabt hatte. Nach Durchlauf des dreizehnten Exemplars der Hausmitteilung wechselte Tim erneut von rotes auf weißes Papier. Glücklicherweise telefonierte Ed Poulsen noch und konnte ihn nicht mit irgendwelchen Dingen traktieren. Sorgfältig legte Tim sich die Vorlagen aus der Kopiermappe zurecht. Frau Bayerl hatte mit gelben Post-it-Klebezetteln notiert, wie viele Kopien benötigt wurden. Es war mühselig, die Vorlagen zu kopieren. Sie hatten Vorder- und Rückseite und nur die Bilder durften farbig kopiert werden. Tim musste herum probieren, damit die Vorderseite auch die gleiche Richtung wie die Rückseite aufwies. Dabei musste er immer an die Dunkelhaarige mit dem Pferdeschwanz in der vierten Etage denken. Wo hatte er sie nur schon einmal gesehen?

      Plötzlich fiel es ihm ein. Natürlich! Sie war ihm kurz begegnet, ganz kurz, als er Frau Wagner in der Moltkestraße besuchte. Die Aufregung pochte in seinen Schläfen. Er nahm die endlich gelungene Kopie aus dem Auswurfschacht und hatte dabei schon wieder vergessen, wie herum das Papier einzulegen war. Kaum zog er erneut den Vorlagenschacht auf, polterte es aus Ed Poulsens Büro: „Ja, sind denn die Praktikanten heutzutage selbst zum Kopieren zu blöd?“

      Tim beeilte sich stumm. Die Pferdeschwanzdame arbeitete hier! Hier in der Bayerisch Media, der Firma des inhaftierten Tatverdächtigen eines Mordes. Konnte das ein Zufall sein? Wenn er nur herauskriegen könnte, wer sie war und was sie hier tat!

      „Endlich!“ tönte es aus Ed Poulsens Büro, während Tim sich trollte. Als er die Tür zu Frau Bayerls Arbeitsplatz öffnete, weiteten sich seine Augen: Er erblickte den wippenden Pferdeschwanz am Ende des Ganges.

      „Fein,

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