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Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945. Winfried Wolf
Читать онлайн.Название Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945
Год выпуска 0
isbn 9783737556309
Автор произведения Winfried Wolf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Einen vergleichsweise hohen Anteil mit steigender Tendenz verzeichnet die Kategorie „Lernen, Schule, Beruf“. Lernschwierigkeiten und Hausaufgaben sind in diesem Bereich die Standardthemen. Berufsbilder speziell für Frauen und Mädchen stellen einen weiteren bedeutenden Bestandteil dieser Inhaltskategorie dar.
Diskussion der Inhaltsstruktur des Themenbereichs „Kind und Erziehung“
Die Sparte „Kind und Familie“39 ist nicht nur in sich sehr heterogen – wir haben zwischen 12 Inhaltskategorien unterschieden – sie ist es auch formal. Es lassen sich folgende Rubriken, in denen Erziehungsprobleme bzw. Standards der Erziehung angesprochen werden, unterschieden:
Die ‚Briefkästen’, in denen Leserbriefe beantwortet werden.
Serien, die ein spezielles Thema über mehrere Hefte hin verfolgen (z.B. „Eltern und Jugendschutz“, ab 4/68/436).
Einzelbeiträge im belehrenden Stil (z.B. „Ist Mutter wirklich altmodisch?“, 1/54/2).
Beiträge im unterhaltenden Stil (z.B. „Eva und der Gartenstuhl“, 6/55/348).
Berichte und Reportagen mit Kommentierung (z.B. „Räuber in kurzen Hosen – Die Straftaten von Kindern steigen an“, 11/65/1182).
Belehrende und moralische Beiträge in Briefform (z.B. „Ein bunter Schmetterling, den man Flirt nennt“, 7/68/796).
Informative Beiträge (z.B. „Wichtige Hinweise zur Säuglingspflege“, 9/55/592).
Zu 1.: Der Beratungsdienst der Zeitschrift im Stil ‚Der Leser fragt – Frau Elisabeth antwortet’ wird seit Mitte der 60er Jahre regelmäßig angeboten und endet mit Heft 12 des Jahrgangs 1983. Mit der Form „Leser fragen – Berater antworten“ wurde dem Leserinteresse wohl am unmittelbarsten entsprochen. Interessant, dass man sich in den 80er Jahren aus der direkten Beratung zurückzieht und stattdessen Themen in Form von Leserbriefen zur Diskussion stellt. Der Berater stellt lediglich strukturierende Fragen, hält sich aber selbst mit Ratschlägen weitgehend zurück (vgl. Dr. Ell stellt zur Diskussion).
Gelegentlich werden Fragen zur Erziehung aber auch in der Rubrik „Leserbriefe“, die seit Erscheinen der Zeitschrift existiert, beantwortet. Hauptsächlich geht es hier jedoch um eine Beratung in „guter Haushaltsführung“. Seit 1969 bietet die Zeitschrift zusätzlich einen „Kummerkasten für junge Leute“ an. In ihm wird jeden Monat der Brief „eines jungen Menschen“ veröffentlicht. Die Leser sind dann aufgefordert selbst die Antwort zu geben (vgl. 1/69/15). Die Meinung des Psychologen schließt sich diesen Antworten an. Mit diesem Beitrag soll offensichtlich der Kontakt zwischen Leser und Zeitschrift noch enger gestaltet werden, vor allem ist man auch daran interessiert junge Leser für die Zeitschrift zu gewinnen.
Zu 2.: Serienbeiträge finden sich zu irgendeinem Thema fast in jedem Heft des „Ratgebers“; das mag mit dem Charakter der Zeitschrift als ausgesprochener Lesezeitschrift zusammenhängen. Im Erziehungsteil sind es oft Beiträge zur Säuglingspflege, die sich von Heft zu Heft fortsetzen und bestimmte Entwicklungsphasen des Kindes abhandeln. Daneben wird das Thema Erziehung aber auch verschiedentlich in Serien angesprochen, die nicht zum redaktionellen Teil „Kind und Familie“ gehören. Eine Beitragsreihe, die dem weiblichen Standpunkt eine männliche Betrachtungseise gegenüberstellt, nennt sich „Wie er es sieht“ (ab Jg. 60). In ihr und im sog. „Männereck“ wird dann gelegentlich aus spezifisch männlicher Sicht das Verhältnis des Mannes zu Frau und Kindern – meist in amüsant-humorvoller Weise – beleuchtet40. Zu den langlebigsten Serien gehören in den 50er und 60er Jahren die Beiträge zu Umgangsformen und Manieren.
Zu 3.: Zahlreich vertreten sind im „Ratgeber“ Artikel mit moralisch-belehrendem Anspruch. Sie finden sich meist am Heftanfang und beschäftigen sich in der Regel mit der Rolle der Frau in der Familie, der geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau, der Belastung der Frau durch Haushalt, Kindererziehung oder Beruf und mit Spannungen zu anderen Familienmitgliedern, die aus dieser Mehrfachbelastung entstehen können. Vielfach handelt es sich hier um Beiträge, die zu einer Harmonisierung des Familienlebens beitragen wollen oder die Frau in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter bestärken und rechtfertigen. Häufig wird auch auf die Mädchenerziehung und das besondere Verhältnis von Mutter und Tochter eingegangen.
Zu 4.: Auch im Unterhaltungsteil der Zeitschrift finden sich Beiträge, die implizit oder explizit Standards der Erziehung thematisieren. Hierzu zählen Kurzgeschichten und vor allem Beiträge, die aus der Abgrenzung der Geschlechtsrollen „Kapital’ ziehen41 oder etwa auch „drollige“ Kinderbilder, Witzzeichnungen und Comics für Kinder, in denen richtiges und falsches Verhalten illustriert und gegenübergestellt werden42.
Zu 5.: Berichte und Reportagen, die zur Inhaltskategorie „Kind und Familie“ gezählt werden können, nehmen meist Bezug auf bedenkliche Zeiterscheinungen wie Verwahrlosung, Teenagermode, gesundheitliche Gefährdungen oder etwa auch der Einstellung der Eltern zur Sexualaufklärung der Kinder43.
Zu 6.: Eine besondere Form der pädagogischen Beeinflussung durch den „Ratgeber“ stellen Beiträge in Briefform dar44. In persönlich gehaltenen Briefen an Ehefrau, Tochter oder Sohn werden bestimmte, meist störende Verhaltensweisen und Einstellungen des fiktiven Empfängers beschrieben, korrigiert und bewertet45.
Zu 7.: Beiträge informativen Charakters beziehen sich zum Großteil auf Themen aus den Bereichen Säuglingspflege und Gesundheit. Die Standardfragen sind hier: Wann sollte ein Kind wie und mit welchen Mitteln was bekommen? Oder Worauf ist beim Sonnenbaden, bei Verstopfung, unruhigem Schlaf, Ernährung etc. zu achten und welche Maßnahmen sind gegebenenfalls zu ergreifen, um das Kind vor Schaden zu bewahren?
Beratung in und durch Zeitschriften
Skizzierung der Beratungssituation
Jede Beratungssituation, die institutionelle, die alltägliche und auch diejenige, welche wir in den Ratgeber-Rubriken der Illustrierten und Frauenzeitschriften antreffen, strukturiert sich durch das Dreiecksverhältnis von Ratsucher, Problem und Ratgeber. Der Ratsuchende der Zeitschriftenberatung wendet sich aus freien Stücken, wenn auch nicht immer ohne inneren Zwang, an einen Ratgeber in der Hoffnung, von diesem Rat und Hilfe für ein ihn belastendes Problem zu finden. Er geht damit auf ein Angebot ein, das ihm vom „Ratgeberonkel“ einer Zeitschrift signalisiert bzw. offeriert wird46: „haben auch Sie Erziehungssorgen? Dann schreiben Sie an den ‚Ratgeber für Haus und Familie’, Kennwort ‚Erziehung’... Unser Mitarbeiter... wird Sie beraten... Wir leiten Ihr Schreiben diskret an unseren Mitarbeiter weiter, der Ihnen durch Brief antworten wird. Bei Veröffentlichung werden wir Ihren Namen natürlich weglassen... (vgl. 3/68/260).
Dass jemand überhaupt bei einem „qualifizierten“ Ratgeber, der gewöhnlich heute beruflich und vom Titel her auch als solcher ausgewiesen ist, um Rat nachsucht, mag von verschiedenen Faktoren abhängen.
Zunächst darf wohl davon ausgegangen werden, dass heute bei einer breiten Masse der Bevölkerung die Bereitschaft vorhanden ist, sich in allen für wichtig gehaltenen Dingen beraten zu lassen. Diesem Bedürfnis entsprechen auf dem Gebiet der Erziehung sog. Elternberater – gezielt für Eltern geschriebene Taschenbücher – aber auch Eltern- Familien- und Frauenzeitschriften, die entweder, wie die Zeitschrift „Eltern“, ausschließlich oder wie der „Ratgeber“ regelmäßig in eigenen Rubriken zu Fragen der Kindererziehung Stellung nehmen. Die Gründe für das Anwachsen der Beratungsliteratur, die eine Art Dolmetscherfunktion zwischen fachwissenschaftlichen Arbeiten zur Erziehung und rein an Erziehungsanweisungen orientierten Schriften einnimmt47, sollen hier nicht näher untersucht werden; es gehört jedoch schon fast zur Pflichtübung an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in einer sich wandelnden Gesellschaft, in der die tradierten Normen und persönlichen Erfahrungen