ТОП просматриваемых книг сайта:
Himmel über der Maremma. Ursula Tintelnot
Читать онлайн.Название Himmel über der Maremma
Год выпуска 0
isbn 9783748504658
Автор произведения Ursula Tintelnot
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ein italienischer Kollege, der an der Accademia Musicale in Siena lehrte, hatte Interesse an Marias Mitarbeit gezeigt. Einmal in der Woche würde sie Kurse geben können.
Maximilian hatte ihr eine großzügige Etage in einem der Seitenflügel des Gutshauses angeboten. Allerdings, erinnerte sie sich, mit der Bedingung, dass er nicht den ganzen Tag »Klaviergeklimper« hören müsste. Sie hatte nicht gewusst, ob sie empört sein oder lachen sollte, und sich entschieden, es amüsant zu finden.
Maximilian war nur wenige Jahre jünger als sie selbst und der amusischste Mensch, den sie je kennengelernt hatte. Außer Geld, seinen Schafen und Frauen interessierte ihn nichts. In genau dieser Reihenfolge. Ja, er war ein charmanter Mann, einer dem die Frauen zu Füßen lagen, ein Genießer, der gerne gut aß und trank.
Wenn er so weitermachte, würde er bald wie ein Fass aussehen, dachte sie.
Aber noch hatte er sich eine erstaunlich gute Figur erhalten. Dass er ihre Tochter betrog, konnte sie ihm nicht verzeihen. Andererseits, das wusste sie, ging sie Theresas Ehe nichts an.
Sie streichelte den cremefarbenen Maremma- Hund zu ihren Füßen. »Du darfst gleich noch mal raus, Ludwig.«
»Nonna?« Die Tür öffnete sich. Amalia stob wie ein Wirbelwind in den Salon. Sie ließ sich, wie der Hund, zu Marias Füßen nieder.
»Wie geht es meiner Schülerin?« Maria strich Amalia über die Locken. »Willst du noch ein bisschen spielen?«
Maria öffnete den Deckel ihres Flügels und stellte den Sitz des Klavierhockers höher. Während Amalia spielte, fragte sie sich, warum das Kind mit ihr sprach, aber mit niemandem sonst. Amalia wechselte mühelos von Deutsch zu Französisch zu Italienisch. Sie sprach mit Amalia vorwiegend Deutsch, um sie die Sprache ihrer Eltern nicht vergessen zu lassen.
Die Kleine hat einen wunderbar sanften Anschlag. Ja, dachte sie, das Kind ist begabt.
Dass es für eine Laufbahn als Pianistin reichte, bezweifelte sie. Sie wusste, wie hart ein solches Leben war. Man würde sehen. Einer ihrer liebsten Komponisten war Chopin. Maria lauschte der Musik.
Erstaunlich für ein Kind in diesem Alter, dachte sie.
Aber an Amalia war alles erstaunlich. Ihre Freundlichkeit und die stoische Ruhe, mit der sie die krassesten Ausbrüche ihres Cousins hinnahm. Sie ließ sich nicht provozieren. Vielleicht blieb die Sprachlosigkeit die einzige Möglichkeit, sich zu wehren. Zu wehren gegen eine Familie, die sie zwar aufgenommen hatte, in die sie aber emotional wenig eingebunden war.
Maria hatte mit ihrem Arzt darüber gesprochen. Er war nicht so überrascht.
»Etwas bringt sie zum Schweigen. Sie könnte das nicht durchhalten, wenn es bewusst geschähe. Es war sicher ein Schock für sie, als ihr Vater starb und sie aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen wurde.«
»Aber warum spricht sie mit mir?«
»Denken Sie darüber nach. Vielleicht gibt es eine Verbindung über Sie zu ihrem Vater.«
Es war seit Jahren Amalias und ihr Geheimnis. Maria befürchtete, dass das Mädchen auch ihr gegenüber verstummen würde, wenn sie dieses Geheimnis lüftete.
Sie erinnerte sich, dass Amalia ihre Räume zum ersten Mal betreten hatte, während sie sich ein Violinkonzert anhörte. Ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft. Sie hatte sich stumm auf einen Stuhl gesetzt und zugehört, bis das Stück zu Ende war.
»Das war mein Papa«, sagte die damals knapp Fünfjährige.
Maria glaubte, nicht recht gehört zu haben. Sie hörte die leicht raue Stimme des kleinen Mädchens zum ersten Mal, und es war tatsächlich eine alte Aufzeichnung aus der Boston Symphony Hall mit dem Orchester ihres Vaters.
Von diesem Zeitpunkt an hatte sie Amalia unterrichtet.
Maria erhob sich und öffnete Fenster und Läden weit. Jetzt nahm die Hitze langsam ab, und ein leichter Wind strich durch die Räume. Sie lächelte, als sie unten Madame hin und her gehen sah. Sie wartete ganz offensichtlich auf ihre Schutzbefohlene.
Maria wandte sich um und sagte: »Amalia, ich glaube es wird Zeit. Lauf hinunter, Madame Durand erwartet dich.«
Madame Durand sah Amalia entgegen.
Seit acht Jahren betreute sie das Kind, das ihr langsam entwuchs.
Amalias noch knabenhafte Figur wandelte sich. Die graublauen Augen leuchteten neugierig auf die Welt. Das dunkelblonde Haar zu einem üppigen Pferdeschwanz gebunden, betonte ihr schmales Gesicht.
Sie war klug, konnte in drei Sprachen gebärden und schreiben. Nach einer Prüfung war sie direkt in die zweite Klasse des Gymnasiums eingeschult worden. Wenn auch weder Theresa noch Maximilian von Ossten Zeit fanden, sich um ihre Nichte zu kümmern, so sorgten sie immerhin für eine angemessene Erziehung. Die Einzige, die sich mit Amalia beschäftigte, war Maria. Auch wenn die alte Dame das, in Madames Augen, zu den ungeeignetsten Zeiten tat. Es war nach zweiundzwanzig Uhr, als das Mädchen aus dem Flügel des Hauses trat, in dem Maria lebte. Amalia sah glücklich aus, wenn sie von ihr kam.
»Du hast wunderschön gespielt«, sagte Madame, »aber jetzt wird es wirklich Zeit.« Amalia nickte. Sie konnte nie einschlafen, wenn Konstantins Besuch bevorstand.
Konstantin hatte ihr das Lesen beigebracht, sich Geschichten für sie ausgedacht und ihr die Angst vor den Pferden genommen. Auf seinen Schultern hatte er sie durch den Stall getragen und sie jedem einzelnen Pferd vorgestellt.
»Das ist Xerxes, sag guten Tag, streichle seine Samtnase. Das ist Ramses, schau dir an, wie sein dunkles Fell glänzt. Leg das Zuckerstück auf deine Hand und halte es Samson hin.«
Sie spürte den weichen, warmen Samt der Nüstern auf ihrer Handfläche. So ging er mit ihr durch die Stallgassen. Auf seinen Schultern fühlte sie sich sicher.
Eines Tages stellte er sie auf die Füße und sagte: »Das ist Cenerentola, sie gehört dir.« Damals war sie fünf Jahre alt.
Sie hob den Kopf und sah einem Pony in die sanften Augen.
Aschenputtel, dachte sie. Grau wie Asche.
Madame