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damals dennoch versucht, gegen den vorgesehenen, historisierenden Wiederaufbau dieses einst unter der Leitung von George Bähr im Jahre 1743 vollendeten spätbarocken sakralen Monumentalbaus zu Felde zu ziehen.

      Zu den weltweiten Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren erstmalig in der Nachkriegsgeschichte auch der deutsche Kanzler Kohl und Bundespräsident Herzog von den alliierten Siegermächten – USA, England, Frankreich und Russland – nach Paris eingeladen worden. Roman Herzog beschwor in seiner Ansprache besonders die Notwendigkeit von Völkerfreundschaft und Aussöhnung. Er brachte zum Ausdruck, dass das deutsche Volk die Masse der Gedenktage seiner Meinung nach würdig, aber unsentimental begehe. Die Schmerzen und das Elend von Flucht und Vertreibung von Millionen seien nun weitgehend ausgestanden. Und Deutschlands Aufteilung auf der Potsdamer Konferenz seien vor fünf Jahren endgültig korrigiert worden.

      Alle Redner der deutschen und internationalen Politelite wiederholten immer wieder das gleiche Gelöbnis, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen sollte. Wieso eigentlich nur von deutschem Boden?, fragte sich Wauer. Denn ungeachtet dessen hatte es seit 1945 dutzende Kriege gegeben und der aktuelle der Krieg in Jugoslawien ging mit unverminderter Härte und mit deutscher Beteiligung weiter.

      4.

      Wauers Hochzeit mit Sibylle Schiller fand im Wonnemonat Mai jenes denkwürdigen Jahres statt. Es war in jeder Hinsicht ein perfekter, warmer Frühlingstag gewesen. So jedenfalls gab es Wauers Gedächtnis wider.

      Ihre Trauung hatte am Vormittag des 20. Mai, einem Sonnabend, im Rathaus Berlin-Weißensee stattgefunden. Mittagessen und Kaffee hatte Wauer in einer Gaststätte am Fennpfuhl bestellt, nur wenige Schritte von der kleinen, versteckten Kirche entfernt, in deren Gemeinderäumen sie zusammen mit Alwin Ziel und den „Genossen“ des Wendeaufbruchs im September und Oktober 1989 eine Reihe von Versammlungen abgehalten hatten.

      Am 8. April hatte er sein fünfzigstes Lebensjahr vollendet und das, so gut es ging, vor seinen Mitarbeiten und den Kreistagskollegen geheim gehalten. Er hatte damals weder Zeit noch wirklich Lust gehabt hatte, dieses „einschneidende“ Ereignis in einem größeren Rahmen zu begehen. Ein viel wichtigerer Grund war aber der, dass Sibylle ihm ein ganz besonderes Geheimnis anvertraut hatte...

      Was für eine herrliche Braut war seine Sibylle an jenem sonnigen und warmen Wochenende gewesen! Mit ihren zweiundvierzig Jahren war sie vielleicht schon ein wenig über die Blüte ihres Lebens hinaus gewesen. Mit vierundzwanzig hatte sie ihren Sohn Christian bekommen. Das war in jener Zeit gewesen, als viele Menschen in der DDR gedacht hatten, es käme in Ostdeutschland so etwas wie ein demokratischer Sozialismus á la Alexander Dubcek auf, weil im Jahr 1976 Erich Honecker zum Staatsratsvorsitzenden ernannt worden war. Seitdem versuchte er, die sozialistische Lehre der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ im deutschen Vasallenstaat des Sowjetimperiums umzusetzen. Das hatte sich jedoch bald als eine weitere Illusion erwiesen.

      Christian hatte ihre blauen Augen geerbt, seine Haare aber waren mittelblond. Sie dagegen hatte fast schwarze, zu einer Pagenfrisur geschnittene, Haare und dunkle, schmalgeschwungene Augenbrauen. Ihre sehr schlanke Figur ließ sie mindestens zehn Jahre jünger wirken, fand Wauer. Sie war sportlich, joggte, fuhr Fahrrad und schwamm gern. Entsprechend sicher und geschmeidig waren ihre Bewegungen.

      Ganz besonders deutlich hatte Wauer natürlich ihre Erscheinung an ihrem Hochzeitstag vor Augen: Ihr zartgelbes, knielanges Kleid, mit einem dunkelblauen Ledergürtel, und die blauen Rosen, die sie bei der Ansprache der Weißenseer Standesbeamtin fest in ihrem Arm hielt. So bescheiden und sparsam sie ansonsten war, was Stilfragen betraf, war sie sehr eigen und ließ sich das manchmal auch etwas mehr kosten. Sie hatte blaue Rosen verlangt und Wauer hatte ein paar Sekunden gebraucht, bis er es auf den Zünder gekriegt hatte. Er hatte natürlich rote Rosen im Visier. Doch Wauer hatte wie sie einen Sohn, der zu der Zeit vierundzwanzig Jahre alt war. Sibylles Sohn war gerade achtzehn gworden. Wauer war geschieden und Sibylle lebte getrennt vom Vater ihres Sohnes. Angesichts dieser Tatsachen wären ein weißes Kleid und rote Rosen einfach Scheiße gewesen. Und sie wusste so etwas von vornherein, während Wauer bis zu derartigen Erkenntnissen einen Denkprozess benötigte. Und es gab in diesem schönen, neuen, wiedervereinigten Deutschland ja wirklich alles zu kaufen, sogar blaue Rosen!

      Eigentlich, so dachte er heute, war diese Hochzeitsfeier mit den beiden großen Söhnen, Sibylles Schwester Christin und deren Tochter Claudia, ihrer Mutter und einigen Bekannten und Freunden - auch Thomas Deutscher war mit Frau Annemarie erschienen - und die darauffolgende einwöchige Reise nach Venedig, wohin denn sonst? - die schönsten und glücklichsten Tage seines Lebens nach dem Mauerfall gewesen. Danach begannen allenthalben, auch in seiner „Sachsenprojekt“, Entwicklungen, die den Optimismus der ersten Nachwendejahre immer mehr schrumpfen ließen.

      Doch in jenem Jahr war er ausnahmslos glücklich gewesen und hatte gedacht, dass sie doch eine beneidenswerte Generation waren, welche ohne Krieg und ohne Hunger, mit sicheren Arbeitsverhältnissen, zahlreichen Reisen - vor 1990 vor allem in die „Karpatenländer“ - mit guten Büchern, viel Musik und mannigfaltigen Kulturerlebnissen, mit mancherlei Querelen mit Organen der DDR-Führung zwar, aber schließlich mit dem Glück der deutschen Wiedervereinigung, eine viel bessere und friedlichere Zeit durchlebt hatte, als ihre Eltern- und Großelterngenerationen. Auch viel wohlhabender als diese waren sie mittlerweile geworden!

      Eine ganz besondere Zeit für ihn war Sibylles Schwangerschaft gewesen. Kurz vor seinem 50. Geburtstag hatte sie es ihm offenbart, als sie ihn an einem Wochenende in seiner Oberlausitzer Heimat überraschte. Es war für beide keine Frage gewesen, dass sie umgehend heiraten würden. Den winzigen Augenblick, in dem es in der Gegend seines Magens einen schmerzhaften Stich gegeben hatte, als sie es ihm mitteilte, dass sie schwanger war, hatte er schnell vergessen.

      Denn die Erinnerung an das Weihnachtsfest 1981 war mit einem hochgeschossen: In jenen Tagen wollte Helga, seine damalige Geliebte, unbedingt, dass er ihr ein Kind zeugte und er hatte das stur abgelehnt. Darum hatte sie sich unverzüglich von ihm getrennt. Dabei waren sie beide noch jung gewesen und hätten auch kaum irgendwelche materiellen Probleme bekommen. Doch Wauer hatte damals seine politischen Alpträume gehabt. Und deshalb wollte er keinesfalls Kinder in diese Welt setzen. Verglichen dazu waren er und Sibylle im Jahr 1995 um einiges älter und erfahrener gewesen. Damals war ihnen die Zukunft rosig und ohne unüberwindbare Probleme erschienen.

      Wauer hoffte von Anfang an, dass dieses Kind eine Tochter werden würde. Für ihn schien alles nochmal von vorn anzufangen. Er hatte die neue Situation dennoch keineswegs als eine Einschränkung seiner Freiheit empfunden, wie bei Lothar. Er hatte sich auf dieses Kind ohne Einschränkungen gefreut, auch wenn ihm klar war, dass er ihm ein „alter Vater“ sein würde. Und auch die Mutter war nicht mehr die Jüngste! Aber, so dachte er damals und so dachte er auch noch heute: War es nicht der größte Liebesbeweis einer Frau, wenn sie mit dem Mann ihrer Wahl all die Umstände und Schmerzen auf sich nahm, die damit verbunden waren, ein Kind auf die Welt zu bringen und großzuziehen?

      Ihre Tochter Maren wurde am 15. November 1995 geboren.

      Soeben hatte Diana, Prinzessin von Wales, ihre endgültige Trennung vom alternden Kronprinzen Charles und damit auch vom englischen Königshaus erklärt. Mit ihrer Liaison mit dem ägyptischen Geschäftsmann Dodi Al-Fayed hatte sie offenbar auf eine Befreiung von den Zwängen des königlich-britischen Establishments gehofft. Später starben beide zusammen bei einem mysteriösen Autounfall in London.

      Die Villa in Großschönau war mittlerweile soweit instand gesetzt, dass Wauers neue Familie zu Weihnachten einziehen konnte. Die endgültige Übersiedelung von Sibylle, Christian und Baby Maren fand am Sonnabend vor dem vierten Advent statt. Vielleicht war das der zweitschönste Tag Wauers nach der Wende gewesen. Heute wusste er das nicht mehr so genau. Denn er fand rückblickend eigentlich jeden Tag in den achtzehn Jahren bis zu ihrem verfluchten Tod wunderbar. Besonders aber eben die Monate ihrer Schwangerschaft!

      Es war ein riesiger Vorteil gewesen, dass Sibylle während dieser Zeit zusammen mit ihrer Schwester und den Kindern in der Wohngemeinschaft am Friedrichshain leben konnte. Christian war gerade mit den Prüfungen für sein Abitur beschäftigt und fand dort die nötige Ruhe und Konzentration. Die Schwangere wurde von ihrer

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