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Mädchen würde sich schon bald wieder in der Provinzhauptstadt eingewöhnt haben. Die Familie besaß ein Stadthaus in Augusta Vindelicum. Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte Elvas oft mehrere Wochen im Sommer bei ihren Eltern in Bratananium verbracht. Heute hatte sie so viele gesellschaftliche Verpflichtungen, dass sie meist in der Hauptstadt festgehalten wurde, auch, weil sie, wie ihre Mutter, Obstetrix war, wie die Römer den Beruf der Hebamme nannten.

      In den Wintermonaten war das Reisen beschwerlich, so dass Elvas meist zum Ahnenfest im November das letzte Mal zu ihrer Familie reiste. Erst wenn der Schnee taute, und die Straßen wieder besser befahrbar waren, konnte sie erneut die Fahrt nach Bratananium wagen. Dann brachte sie all die Dinge mit, die in der Stadt zu jeder Zeit leichter zu bekommen waren als auf dem Land: edlen Wein, eingelegte, getrocknete oder frische Früchte aus fernen Ländern und feine Webstoffe aus Wolle und Leinen. Ihre Mutter Pertha spann selbst Wolle und wob auf ihrem Webstuhl. Doch diese Stoffe waren in der Regel eher zu grob, um direkt auf der Haut getragen zu werden. Sie dienten als Decken, Überwürfe oder für dicke Mäntel. Auf den Märkten der Stadt ließen sich feine Stoffe aus weicher und farbiger Wolle, Leinen oder Hanf kaufen. Diese eigneten sich wesentlich besser für die tägliche Garderobe. Elvas Gedanken schweiften zu den wunderschönen bunt-karierten Stoffen, die ihre raetischen Familienangehörigen und Bekannten so stolz trugen. Sie waren Identifikationsobjekte, man zeigte mit diesen Stoffen seine Herkunft aus einer raetischen Familie. Nicht wenige Raeter trugen Mäntel und Kleider aus diesen bunten Stoffen, eine bunte Tunika oder zum Teil sogar die typischen keltischen Hosen, um sich von den Invasoren abzugrenzen.

      Auch diesmal hatte Elvas wieder einige praktische Dinge mitgebracht, die es nur in der Stadt zu kaufen gab. Ihrer Mutter hatte sie ein sehr schönes Döschen geschenkt, das aus durchscheinendem, dünnwandigem Glas bestand. Es war südlich der Alpen hergestellt worden. Sie konnte es sicher gut für Kosmetik oder Heilmittel verwenden. Für den Vater hatte sie eine Amphore mit teurem gallischem Wein dabei. Caius hatte zwar geschimpft, dass das „schwere Ding“ den Reisewagen unnötig belasten würde, aber Elvas war hart geblieben und hatte sich durchgesetzt.

      ***

      Während Elvas und Alpina einpackten, war Caius in Bratananium, der kleinen Siedlung am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Fernstraßen unterwegs, um seine Geschäfte zu erledigen. Der Ort war durch die Brücke über die Wirmina, die Kreuzung der Straße zwischen Augusta Vindelicum und Iuvavum in der Provinz Noricum sowie der Straße über Abodiacum nach Cambodunum ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Schon kurze Zeit nach dem Brückenbau und der Stationierung römischer Soldaten durch Drusus und Tiberius war Bratananium zu einer ansehnlichen Siedlung herangewachsen, die sich bald am Fluss entlang ausbreitete. In der Nähe der Brücke befand sich die große Mansio mit Rasthaus, Bad, Pferdewechselstation und Werkstatt in einem Gebäudekomplex. Direkt an das Gebäude angeschlossen war die Statio des örtlichen Beneficiarius.

      Caius Iulius Achilleus war dieses Mal in Begleitung seines Helfers, und je zweier Späher und Beneficiarii. Er wollte überwachen, wie die Beamten in Bratananium und am Isaraübergang ihren Dienst versahen. Sie waren erst seit den Iden des Junius auf ihren Posten, und Caius hatte vor, die beiden Beneficiarii, die ihn begleiteten, auf die Arbeit an diesen Stationen vorzubereiten. Clodius Marianus war ein erfahrener Mann. Er sollte die Statio in Bratananium im Winter übernehmen. Tiberius Sabinius Euprepes war hingegen ein Neuling. Er sollte in erster Linie Erfahrungen sammeln und begleitete Caius aus diesem Grund auf seiner Inspektionsreise.

      In der unverschlossenen Statio der Beneficiarii, in der ein gewisser Lucius Attius Dienst tat, herrschte eine grauenvolle Unordnung. Obwohl die Lanze der Beneficiarii vor der Tür die Anwesenheit des diensthabenden Soldaten anzeigte, war nirgends eine Menschenseele aufzuspüren, weder im Officium, noch im anschließenden Wohntrakt des Soldaten. Stattdessen lagen im Officium diverse Schriftrollen und Wachstafeln wild durcheinander, während in den Privaträumen des Beneficiarius Amphoren, Becher und weinbefleckte Tuniken ein chaotisches Bild abgaben. Wütend verließ Caius die Statio und machte sich mit seinen Soldaten auf die Suche nach dem pflichtvergessenen Beneficiarius. Zunächst sahen sie in der Mansio nach, doch der Manceps schüttelte nur bedauernd den Kopf. Wenigstens konnte er Caius den entscheidenden Tipp geben: meist war der Beneficiarius in der Caupona eines gewissen Cassius Fortunatus anzutreffen. Er hatte wohl ein Auge auf dessen hübsche Tochter geworfen, wie der Leiter der Raststation mit einem Augenzwinkern hinzufügte. Und tatsächlich: Lucius Attius saß in der nächsten Caupona nur wenige Häuser weiter, am Ufer der Wirmina. Obwohl es erst Nachmittag war, befand er sich in einem erschreckenden Zustand. Der Wein war ihm offensichtlich bereits zu Kopfe gestiegen. Attius hing förmlich in den Seilen, lehnte gelangweilt den massigen Rumpf an die Wand und stierte in den gefüllten Weinbecher, der sinniger Weise den Trinkspruch „reple me – fülle mich erneut!“ trug. Selbst als der Offizier direkt vor ihm stand, schien Attius ihn gar nicht wahr zu nehmen.

      „Was fällt dir eigentlich ein, Lucius Attius?“ Caius hatte sich zum Gesicht des Betrunkenen vorgebeugt, roch angewidert dessen Weinfahne und brüllte aus voller Kehle: „Ich bin schockiert! So vertrittst du den römischen Kaiser und den römischen Staat! Schämst du dich denn gar nicht?“

      Der rundliche Beneficiarius, der nur noch wenige Haare auf seinem glänzenden Schädel hatte, zuckte merklich zusammen. Schließlich flackerte der Schimmer eines Erkennens in seinen Augen auf. An der Dienstuniform hatte Attius den Vorsetzten offenbar erkannt. Nervös nestelte er an seiner verschmutzten Tunika herum. Einzig die Gürtelschließe wies ihn als Beneficiarius der römischen Armee aus. Er stemmte sich mühsam von der Sitzbank hoch und schwankte bedenklich.

      „Ave, Caius Iulius Achilleus!“, lallte er und hatte Mühe, sich verständlich zu artikulieren.

      „Folge mir in die Statio! Sofort!“ Der Befehl hallte durch die Caupona. Caius hatte sich breitbeinig vor dem Mann aufgebaut, in seinem Rücken die Soldaten, die ihn begleiteten.

      Attius ließ schuldbewusst den Kopf und die Schultern hängen und setzte sich schlingernd in Bewegung. Die zwei Späher, die den Beneficiarius Legati begleiteten, hakten den betrunkenen Mann unter und warteten auf ihren Vorgesetzen, der ins Dunkel des Ladenlokals rief: „Wirt!“

      Vorsichtig näherte sich ein kleiner, magerer Mann. Seine Stimme verriet die Angst vor dem Auftritt der römischen Soldaten, als er antwortete:

      „Ave, Beneficiarius! Wie kann ich helfen?“

      „Wie viel schuldet dir dieser Mann?“, fragte Caius mit einem abfälligen Kopfnicken in Richtung auf Attius.

      Nach einigem Zögern, sagte der Wirt leise: „Heute? Oder insgesamt?“

      Caius atmete hörbar ein und versuchte die Fassung zu bewahren. Er warf dem Attius einen wütenden Blick zu.

      „Sag, dass das nicht wahr ist, Attius!“

       Dieser blickte zu Boden und vermied jeden Augenkontakt mit seinem Vorgesetzen. Kein Wort verließ seine Lippen. Caius nickte seinem Adiutor zu und gab ihm dadurch zu verstehen, dass er den Wirt entlohnen sollte. Dann drehte er sich um und verließ mit seinem Gefolge die Caupona in Richtung der Statio der Beneficiarii.

      Sie setzten den Betrunkenen auf einen Hocker im Wohnraum der Statio. Einer der Soldaten holte einen Eimer mit kaltem Wasser und schüttete ihn über dem in sich zusammen gesunkenen Mann aus. Die Wirkung war nur mäßig, wie angesichts des Trunkenheitszustands nicht anders zu erwarten war. Dennoch blickten die Augen des Beneficiarius wieder etwas klarer.

      „Hast du eine Erklärung für dein Verhalten?“, fragte Caius streng. Attius, ein Koloss von einem Mann, zuckte verlegen die Achseln.

      „Wie lange geht das schon so?“, bohrte der Vorgesetzte weiter.

      Dann wandte er sich an Tiberius Iustinius, den älteren der beiden Späher, und gab ihm den Auftrag, die Nachbarn und vor allem den Wirt der Caupona über das Verhalten des diensthabenden Beneficiarius zu befragen. Marianus, ein erfahrener Beneficiarius, der schon mehrere Stationen gewissenhaft geleitet hatte, übertrug er die Aufgabe, die Schriftrollen und Wachstafeln oberflächlich zu sichten, um daraus Schlüsse über die Versäumnisse des Attius zu ziehen. Nach einem weiteren erfolglosen Versuch, Einzelheiten von dem Beschuldigten zu erfahren, beschloss Caius, eine endgültige

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