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den Felsen hinaufzuklettern, wobei er ein erstaunliches Geschick an den Tag legte. Als er oben war, duckte er sich und schob sich flach über die Kante. Ishira hielt den Atem an. Glücklicherweise war der Felsen auch auf der Oberseite mit Grasbüscheln bewachsen, die Kenjin von unten etwas Sichtschutz boten. Kurz darauf gab er ihr ein Zeichen, dass er bereit war und Etan sich noch immer ein Stück links von ihnen befand. Ishira nickte. Sie hob eine Handvoll kleiner Steine vom Boden auf und warf sie in die Bambusstaude schräg rechts hinter ihnen, was in den am Boden liegenden trockenen Blättern ein vernehmliches Rascheln hervorrief. Das würde ganz sicher Etans Aufmerksamkeit wecken! Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, während sie dicht an den Fels gepresst wartete. Sie hörte das Knarren eines Sattels und das Schnauben eines Pferdes. Etan musste ganz nah sein. Dann das Geräusch losgetretener Steine, ein überraschter Ausruf und ein dumpfer Aufprall. Etans Pferd wieherte schrill. Ishira sprang vor. Ihr Bruder hatte es tatsächlich geschafft, den Kiresh vom Pferd zu reißen. Die beiden rollten auf dem Boden umher, Kenjin obenauf. Ishira packte die Zügel des Hengstes und versuchte vergeblich, das Tier zu beruhigen, während Kenjin mit Etan rang. Obwohl ihr Bruder kleiner war als der Gohari, erwies er sich durch die schwere Arbeit in der Mine als ebenbürtig an Muskelkraft. Während der Kiresh noch versuchte, ihn abzuschütteln, holte Kenjin mit dem Stein aus und schlug hart zu. Etans Körper erschlaffte. Ishira sah einen dünnen Faden Blut an seiner Schläfe entlang rinnen. Kenjin hatte ihn bewusstlos geschlagen – hoffentlich nur das. Er riss seinem Gegner die beiden Schwerter aus dem Gürtel und sprang auf. Das kurze Schwert steckte er in seinen eigenen Gürtel, das lange behielt er in der Hand.

      Ishira konnte den aufgeregten Rappen kaum noch halten. „Steig auf!“ zischte sie Kenjin zu. „Schnell!“

      Er griff nach der Mähne und versuchte, seinen Fuß in den Steigbügel zu stellen, doch der Hengst bockte und keilte aus, so dass Kenjin, der zudem von Etans Waffe behindert wurde, immer wieder genötigt wurde, den Hufen auszuweichen.

      „Etan?“ schallte jetzt auch noch Kiresh Yarens Stimme durch den Wald. „Etan, was ist los?“

      Hinter ihnen rührte der Gerufene sich und tastete stöhnend nach der Beule an seiner Stirn.

      „Jetzt mach schon, Ken!“ fuhr Ishira, der die Nerven durchzugehen drohten, ihren Bruder an.

      „Wie denn?“ schrie er zurück. „Halt doch endlich das verdammte Pferd ruhig!“

      „Versuche ich ja!“

      Sie hätte früher daran denken sollen, dass Pferde Angst vor ihr hatten. Rondar hatte es damit zu erklären versucht, dass die goharischen Rösser keine Inagiri gewöhnt waren, doch Ishira hegte mittlerweile den Verdacht, dass auch dieses Phänomen mit ihrer seltsamen Verbindung zur Kristallenergie zusammenhing. Endlich bekam sie mit der rechten Hand das Kinnstück des Zaumzeugs zu fassen und hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht hinein, so dass der Hengst wenigstens seinen Kopf nicht mehr herumwerfen konnte.

      Ihr Bruder schaffte es im selben Moment, sich in den Sattel zu ziehen, als Etan sich auf dem linken Ellbogen aufrichtete. Er streckte Ishira die Hand hin. „Spring auf!“

      Der Rappe stand jetzt halbwegs ruhig, so als hätte er sich in sein Schicksal gefügt. Sie griff nach Kenjins ausgestreckter Hand und schwang sich ungeschickt hinter ihm auf den Pferderücken. Beinahe wäre sie abgerutscht, doch ihr Bruder hielt ihre Hand fest und gab ihr Halt, bis sie sicher im Sattel saß. Von links preschte Kiresh Yaren heran. Ishira sah einen Moment lang deutlich sein verblüfftes Gesicht, bevor Kenjin den Hengst herumriss und ihm die Hacken in die Flanken stieß. Er machte sich erstaunlich gut dafür, dass er zum ersten Mal ein Pferd ritt. Offenbar hatte er durch Beobachtung gelernt.

      „Bleibt stehen!“ brüllte Kiresh Yaren hinter ihnen her.

      Kenjin dachte gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Im Gegenteil versuchte er mit anspornenden Rufen, ihr Reittier zu noch schnellerem Lauf anzutreiben. Ishira legte die Arme um seine Taille, um nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Hinter ihnen stieß Kiresh Yaren eine Verwünschung aus und nahm die Verfolgung auf. Kenjin lenkte den Hengst gefährlich nah an den Bambusstauden vorbei. Die scharfrandigen Blätter eines überhängenden Stängels streiften Ishiras Knie und hinterließen rote Striemen auf ihrer Haut. Etans Rappe stürmte dahin wie der Wind. Dennoch holte Kiresh Yaren auf. Plötzlich tauchte er an ihrer linken Seite auf. Er hatte sich vorgebeugt und stand halb im Sattel. Sein Kiefer war so fest zusammengepresst, dass die Sehnen an seinem Hals vortraten. Seine Augen bildeten schmale Schlitze, aber Ishira hätte nicht sagen können, ob er wütend war oder nur hochkonzentriert. Immer weiter schob er sich neben sie, bis er auf gleicher Höhe war. Er wechselte die Zügel in die linke Hand und streckte in dem Versuch, das Zaumzeug des Rappen zu fassen zu bekommen, den Arm aus. Kenjin wollte abschwenken, doch der Bambus war zu dicht. Fluchend ließ er die Zügel schießen und zog Etans Waffe. Ishiras Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus, als er mit der Klinge nach dem Kiresh hieb.

      Anstatt seine Hand zurückzuziehen, riss dieser seinen Arm hoch und packte Kenjin am Handgelenk. Ishiras Bruder schrie auf. Bevor er sich befreien konnte, verdrehte Kiresh Yaren ihm brutal die Hand, so dass Kenjin das Kesh mit einem Schmerzlaut fallen ließ. Die Klinge wirbelte durch die Luft und streifte im Fallen die Flanke von Etans Hengst. Der Rappe stieß ein erschrockenes Wiehern aus und brach zur Seite aus. Ishira fühlte, wie es sie aus dem Sattel hob.

      Im nächsten Moment fand sie sich auf dem Boden wieder. Der harte Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Schultern und Rückgrat schmerzten, als hätte sie sich sämtliche Knochen gebrochen. Keuchend rang sie nach Atem und erntete heftigen Protest ihrer Rippen. Neben ihr bewegte sich jemand. Kenjin. Stöhnend rappelte ihr Bruder sich auf. Als Ishira den Kopf hob, sah sie Kiresh Yaren aus dem Sattel steigen. Er hatte es irgendwie geschafft, beide Pferde zum Stehen zu bringen. Die Flanken von Etans Hengst bebten und als er schnaubend den Kopf schüttelte, stob Schaum von seinem Maul. Ishira stützte die Hände auf und setzte sich auf. In ihrem Rücken knackte es, als sich ihre Wirbel wieder in die richtige Position schoben. Durch einen Tränenschleier sah sie den Kiresh auf sich zukommen, nachdem er die Zügel der Pferde in aller Eile zusammengeschlungen hatte. Sie blinzelte, um ihren Blick zu klären. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass sein Kesh noch im Gürtel steckte.

      Kenjin kam taumelnd auf die Füße. Er griff in seinen Gürtel, doch das kurze Schwert war fort. Es musste sich beim Sturz gelöst haben. Den Ahnen sei Dank, konnte ihr Bruder nicht noch einmal auf die wahnsinnige Idee kommen, den Kiresh anzugreifen. Kenjin blickte sich hektisch um und sprang plötzlich ein Stück nach links. Als er sich bückte, ging Ishira auf, dass er Etans Kesh gefunden hatte. Neuerlicher Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie richtete sich mühsam auf den Knien auf. „Nicht, Kenjin! Bist du verrückt? Du hast gegen ihn keine Chance!“

      Ihr Bruder stellte sich taub. Er hob das Kesh und hielt es drohend vor sich. „Bleibt zurück!“ rief er Kiresh Yaren zu.

      Der Kiresh verhielt nicht einmal den Schritt. „Steck die Waffe weg, Junge. Ich kämpfe nicht gegen ein Kind.“

      Damit traf er genau Kenjins empfindlichen Nerv. Ishiras Bruder lief vor Wut rot an. „Ich bin kein Kind mehr!“ schrie er und fuchtelte mit der Waffe vor ihrem Begleiter herum. „Ihr habt meine Schwester lange genug drangsaliert! Verschwindet endlich und lasst uns in Frieden!“

      „Hör auf, Ken!“ rief Ishira flehentlich. „Du kannst nicht gewinnen!“

      Kenjin blieb stur. Der Körper des Kiresh spannte sich. Mit bloßen Händen stürzte er sich auf ihren Bruder. Sie schrie auf, als dessen Klinge zustieß, doch ihr Begleiter wich dem Kesh mit Leichtigkeit aus und duckte sich unter Kenjins ausgestreckten Arm weg. Bevor dieser wusste, wie ihm geschah, hatte Kiresh Yaren ihn von hinten gepackt und drückte ihm den linken Unterarm gegen die Kehle. Mit der anderen Hand umklammerte er Kenjins Schwertarm am Ellbogen und machte ihn somit bewegungsunfähig. Mit einem gezielten Fußtritt schlug er ihrem Bruder das Kesh aus der Hand. Dann drehte er ihm den Arm auf den Rücken. Kenjin schluchzte auf, mehr vor Wut als vor Schmerz.

      Ishira machte sich darauf gefasst, dass der Kiresh sie schlagen, anschreien oder zumindest zur Rede stellen würde, doch er sah sie nur mit der für ihn so typischen ausdruckslosen Miene an. „Es war dumm von euch wegzulaufen“, sagte er. „Damit

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