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ab.“ Er drückte den Strick gegen einen der Grate und bewegte seine Hände mit einer sägeartigen Bewegung auf und ab.

      Irgendwo hinter ihnen raschelte es. Obwohl das Geräusch für ein Pferd zu leise war, fuhr Ishira herum. Aus einer der Bambusstauden kam ein Keiko getrippelt. Beinahe hätte Ishira aufgelacht. Als der Nager ihrer ansichtig wurde, verharrte er kurz, die Schnauze witternd in die Luft gereckt, bevor er in den Schutz einer anderen Staude davon huschte.

      Neben ihr mühte Kenjin sich weiter mit seinen Fesseln ab. Der Strick war zwar bereits deutlich aufgeraut und einzelne Fasern gerissen, aber noch hielt er. Nervös blickte Ishira sich um. „Beeil dich“, flüsterte sie.

      „Das sagst du so leicht“, keuchte ihr Bruder. Vor Anstrengung lief ihm der Schweiß über die Schläfen, doch endlich stieß er einen triumphierenden Laut aus. Ein letzter Ruck und die Fesseln fielen auf die Felsen. Kenjin seufzte erleichtert. „Endlich.“

      Während sie weitereilten, beruhigten sich Ishiras Nerven langsam und sie zuckte nicht mehr bei jedem Windstoß zusammen. Sie begann sogar, sich der Hoffnung hinzugeben, dass sie den Fängen der Gohari entkommen waren, als dumpfes Poltern ihre Ohren streifte. Das war nicht der Bambus! Das harte Klacken klang zu regelmäßig. Hufschläge! Jemand kam über die Rampen! Angst wusch über sie hinweg, doch nicht nur Angst allein. „Lauf schneller, Kenjin! Die Gohari sind am Bach!“

      „Was?“ Ihr Bruder versuchte im Laufen zu lauschen und übersah dabei einen Bambusspross, der sich erst eine Handbreit aus dem Boden geschoben hatte. Er stolperte und stieß mit der Schulter gegen einen der größeren Halme, der raschelnd nachgab. Mit einem verhaltenen Fluch packte Kenjin ihn, um weiteres verräterisches Schwanken zu verhindern. „Sie sind schnell“, zischte er. „Ich hatte gehofft, uns bliebe mehr Zeit.“

      Das hatte Ishira auch gehofft.

      Der Hufschlag war verklungen. Hatte der Reiter den schwankenden Bambus gesehen? Oder hatte er sein Pferd nur gezügelt, um sich umzusehen? Oder hatte er überhaupt nicht angehalten, sondern schluckte der Untergrund das Geräusch? War es wirklich Kiresh Yaren? Und war er allein? Hektisch blickte Ishira über ihre Schulter. Sie bildete sich ein, aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu erhaschen, und duckte sich, aber als sie genauer hinschaute, sah sie nichts als Bambus und Felsen.

      „Da hinüber“, wisperte ihr Bruder und wies mit dem Kinn die Richtung. „Der Felsen da drüben bietet bessere Deckung.“

      Bemüht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen, schlichen sie weiter, bis sie den Felsen erreichten. Sie pressten sich mit dem Rücken gegen das kalte Gestein und lauschten. Vorsichtig spähte Ishira um die Ecke, zog den Kopf jedoch sofort zurück, als nicht weit entfernt Kiresh Etans unverkennbare Stimme erklang. „Yaren? Sieh du da drüben nach, ich übernehme diese Seite!“

      Ishiras Herzschlag beschleunigte sich. Obwohl sie wusste, dass die Nähe ihres Begleiters kein Grund zur Freude war, überwog die Erleichterung, dass er den Kampf gegen die Amanori unbeschadet überstanden hatte. Verhaltenes Hufgetrappel war zu hören. Ishira konzentrierte sich wieder auf ihre gegenwärtige Situation. Ihre Verfolger waren zu zweit und sie hatten sich aufgeteilt. Kenjin und sie saßen in der Falle. Sobald sie die Deckung des Felsens verließen, würde einer der beiden Reiter sie sehen. Wenn es wenigstens schon etwas dunkler gewesen wäre! Aber es würde noch mehrere Sanddurchläufe dauern, bis die Dämmerung einsetzte. Sie konnten kaum darauf hoffen, so lange unentdeckt zu bleiben, zumal das hier alles andere als ein sicheres Versteck war. Beide Verfolger besaßen genug Erfahrung um zu wissen, wo sie zwei entflohene Sklaven zu suchen hatten. Davon abgesehen bot dieser Wald nicht allzu viele Möglichkeiten, sich zu verbergen.

      Es machte Ishira schier verrückt, dass sie die Reiter nicht sehen konnte, sondern darauf angewiesen war, aus dem Rascheln von trockenen Bambusblättern und gelegentlichem Hufschlag deren Position zu erraten. Wenigstens klang es so, als hätte sich Etan wieder ein Stück entfernt. Sie rieb die schweißfeuchten Hände an ihrem Kleid trocken und sah zu Kenjin. Ihr Bruder stand da wie ein fluchtbereites Reh und schien verzweifelt nach einem rettenden Einfall zu suchen. Ishira begann sich Vorwürfe zu machen, dass sie seinem verrückten Plan zugestimmt hatte. Vielleicht sollte sie sogar dankbar sein, wenn ihre Verfolger sie stellten, bevor sie sich hoffnungslos verirrten, von wilden Tieren angefallen wurden oder schlicht vor Hunger nicht mehr weiterkonnten. Es war naiv gewesen davonzulaufen, ohne im Geringsten vorbereitet zu sein. Wenn überhaupt, hätte sie mit Kenjin doch erst heute Nacht fliehen sollen, nachdem sie zumindest einige Nahrungsmittel beiseite geschafft hatte. Aber es gab sich wohl nicht viel. Im Dunkeln hätten andere Gefahren gelauert und die Gohari wären so oder so gekommen.

      Plötzlich holte ihr Bruder aufgeregt Luft. „Ich hab‘ eine Idee“, flüsterte er. „Ich werde auf den Felsen klettern, während du den Kiresh, der gerade gesprochen hat, hierher lockst, ohne dass er dich bemerkt. Am besten wirfst du einen Stein oder Stock, so dass man das Rascheln auch für ein Tier halten könnte. Sobald er unter mir vorbeireitet, lasse ich mich fallen und werfe ihn vom Pferd. Während ich mich um den Gohari kümmere, greifst du nach den Zügeln und hältst sein Pferd fest. Wenn wir erst ein Reittier haben, holt uns niemand mehr ein.“ Er grinste sie erwartungsvoll an. „Na, was sagst du?“

      Ishira glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Sie sind zu zweit! Was ist mit Kiresh Yaren?“

      „Wenn die beiden weit genug auseinander sind, bekommt er von alldem gar nichts mit, bis wir weg sind.“

      Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Bei ihrem Bruder klang das alles so berückend einfach. „Und wie, bitteschön, willst du Kiresh Etan ohne Waffe außer Gefecht setzen?“

      „Hier gibt’s doch genug Steine.“ Er sah sich um. „Der da zum Beispiel.“ Er bückte sich und hob einen faustgroßen Stein auf, der in einer kleinen Höhlung zu ihren Füßen gelegen hatte. Kenjin wog den Stein in seiner Hand. „Perfekt“, sagte er zufrieden.

      Ishira sah erst den Stein und dann wieder ihren Bruder an. „Wenn wir die Hand gegen einen Gohari erheben, werden sie uns töten, ist dir das eigentlich klar, Ken?“

      „Dazu müssen sie uns erst fangen“, gab Kenjin selbstbewusst zurück. „Außerdem glaube ich nicht, dass sie uns töten würden. Wenn sie so leicht auf uns verzichten könnten, würden sie sich nicht die Mühe machen, uns zu verfolgen. Sie brauchen dich – und damit auch mich.“

      Ishira war sich da zwar nicht so sicher, aber wenn Kenjins Plan gelang, brauchten sie sich darüber keine Gedanken zu machen. Auch wenn seine Idee waghalsig war: sie konnte funktionieren. Die einzige Alternative war, darauf zu warten, dass die Gohari die Suche abbrachen, und das würden sie nicht tun. Kiresh Yaren gab niemals auf. Sollten sie sich auf ein zermürbendes Versteckspiel einlassen? War es nicht besser zu handeln und ihre Gegner zu überrumpeln? Zumal sie ein Pferd in der Tat gebrauchen konnten.

      „Also gut“, wisperte sie. „Machen wir es, wie du gesagt hast.“

      Kenjin steckte den Stein mit einem zuversichtlichen Lächeln in den Ausschnitt seiner Tunika. „Du wirst sehen, Nira, das klappt schon.“

      Er stellte den rechten Fuß auf einen kleinen Vorsprung und suchte mit den Händen Halt in einer der zahlreichen Felsritzen. Als er sich hochziehen wollte, gab Ishira ihm ein Zeichen, noch zu warten. „Lass mich erst sehen, wo unsere Verfolger sind.“

      Im Schutz eines Grasbüschels schob sie ihren Kopf Fingerbreit um Fingerbreit um den Felsen, die Ohren gespitzt wie ein Uboshi, der seinen Jäger gewittert hatte. Zuerst sah sie nur Grün, doch dann tauchte Etan in einigen Schritten Entfernung hinter einem Felsen auf. Er ritt langsam und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, um die Landschaft um ihn herum zu mustern. Ishira kniff die Augen zusammen. Kiresh Yaren war nirgendwo zu entdecken. Doch ganz bestimmt war er irgendwo in Hörweite. Einen Moment lang überlegte sie, ob es besser gewesen wäre, wenn er auf dieser Seite gesucht hätte. Er hätte ihnen einen Angriff möglicherweise eher verziehen. Andererseits war sie froh, dass Etan das Opfer sein würde. Sie war nicht sicher, ob sie hätte zusehen können, wie ihr Bruder Kiresh Yaren mit einem Stein niederstreckte.

      „Etan ist ziemlich nah, also sei vorsichtig, damit er dich nicht zu

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