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auf den Oberschenkeln abgestützt, offensichtlich ebenso erschöpft wie sie selbst. Eine Zeit lang blieben sie einfach so stehen, bis Ishiras Herzschlag annähernd zur Normalität zurückgekehrt war und ihre Lungen sich nicht mehr anfühlten, als würden sie jeden Moment bersten. Wie lange waren sie so schnell gelaufen? Bestimmt nicht so lange, wie es ihr vorkam. Da die Sonne sich auch heute hinter dichten Wolken versteckt hielt, war ihr Zeitempfinden vage. Sie hatte keine Ahnung, ob die Schlacht noch im Gange war. So weit entfernt konnte sie die Aura der Amanori nicht mehr spüren, ohne sich darauf zu konzentrieren.

      Die Schlacht… Während sie gerannt waren, hatte Ishira an nichts anderes gedacht als daran, so schnell wie möglich von den Gohari wegzukommen. Doch jetzt gelang es ihr nicht mehr so leicht, die Bilder des Kampfes von sich weg zu halten. Kireshi, die von Blitzen gefällt wurden. Die gegen Zähne und Klauen, die so scharf waren wie ihr Schwert, um ihr Leben fochten. Sie hatte geglaubt, es würde mit jedem Schritt, den sie sich von der Armee entfernte, einfacher werden, die vergangenen Mondläufe hinter sich zu lassen, doch das stimmte nicht. Räumliche Entfernung machte die mit den Gohari verbrachte Zeit nicht einfach ungeschehen. Noch wischte sie die Erinnerungen fort.

      Vor Ishiras innerem Auge tauchte Kiresh Yarens Gesicht auf. Etwas verkrampfte sich in ihr. Seine letzten Worte an sie und wie er sie dabei angesehen hatte… Was würde er denken, wenn er ihre Flucht entdeckte? Würde er sie verachten? Oder würde er verstehen, was sie angetrieben hatte?

      Und die Amanori? Das Leck in den Kristalladern? Hatte sie wirklich die richtige Wahl getroffen? All die ungeklärten Fragen, auf die sie nun niemals eine Antwort erhalten würde…

      Ishira atmete ein paar Mal tief durch. War das nicht der Lauf des Lebens? Mit jeder Tür, die man aufstieß, schlossen sich andere und öffneten sich dafür neue. Sie würde endlich dorthin gehen, wohin sie gehörte. Oder nicht?

      Kenjin richtete sich auf und hielt ihr seine gefesselten Hände hin. „Kannst du die Knoten lösen, Nira?“

      Sie versuchte es, aber sie saßen zu fest. Jetzt hätte sie ihr kleines Messer gebrauchen können, doch der Bashohon hatte es ihr abgenommen. Er hatte darauf gedrungen, dass sie nichts bei sich trug, das sich als Waffe verwenden ließ. Dabei hatte das Messer kaum dazu getaugt, Gemüse zu schneiden. Davon abgesehen wäre es Selbstmord gleichgekommen, eine Waffe gegen einen Gohari zu erheben. Aber Beruk hatte ihr von Anfang an noch mehr misstraut als alle anderen. „Ich bekomme sie nicht auf“, sagte sie hilflos.

      „Lass gut sein, wir versuchen es später noch mal. Wenn wir den Bach erreicht haben, können wir uns eine längere Pause gönnen. Ab da können uns die Gohari nicht mehr so leicht folgen.“

      Ishira nickte. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

      KAPITEL V – Jäger und Gejagte

      Als Yaren zum Wald zurückkehrte, hörte er schon von weitem Beruks wütendes Gebrüll. „Bei allen Höllen, wo sind das Mädchen und ihr Bruder hin, Garulan? Habt Ihr nicht auf sie achtgegeben?“

      Yaren legte einen Schritt zu. Eine düstere Ahnung beschlich ihn. Er sah, wie sich der hagere Telan unbehaglich wand. „Nun, ich gebe ja zu, dass wir alle ein wenig vom Kampfgeschehen abgelenkt waren und ich sie einen Moment aus den Augen gelassen habe. Aber wer konnte denn ahnen, dass sie nur darauf gewartet hat, dass wir ihr den Rücken zukehren?“

      „Wer das ahnen konnte?“ zischte Beruk durch die Zähne. „Ich, Telan! Ich! Warum wohl habe ich Euch eingeschärft, die beiden im Blick zu behalten?“

      Die Erkenntnis traf Yaren wie ein Faustschlag in die Magengrube. Ishira war fort. Geflohen.

      „Welche Laus ist denn unserem ‚Erubuko’ über die Leber gelaufen, dass er sich davon die Siegesstimmung verderben lässt?“ flüsterte ihm jemand ins Ohr.

      Er brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass es Etan war. Wenn irgendwo etwas passierte, war sein alter Mitschüler nicht weit. „Das hörst du doch selbst“, gab er unwirsch zurück. „Ishira und ihr Bruder sind geflüchtet.“

      Etan schnaubte belustigt. „Sieh an, die Sklavin hat mehr Mumm in den Knochen, als ich ihr zugetraut hätte.“

      Yaren kannte seine Schutzbefohlene inzwischen gut genug, um ihr noch ganz andere Dinge zuzutrauen. Dennoch hatte er nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dass sie fliehen würde. Oder hatte er es nur einfach nicht glauben wollen?

      „Ich hatte keine offizielle Order, das Mädchen zu bewachen“, verteidigte sich Garulan beleidigt. „Also steht es Euch nicht zu, mir Vorwürfe zu machen. Wenn diese Sklavin Euch dermaßen wichtig war, hättet Ihr einen der Kireshi für diese Aufgabe abstellen müssen. War nicht Kiresh Yaren für sie zuständig?“ Sein Vorwurf traf Yaren, auch wenn er vollkommen ungerechtfertigt war. Als sein Blick sich mit Garulans kreuzte, räusperte zuckte dieser kaum merklich zusammen. „Natürlich tut es mir leid, dass sie verschwunden ist“, ruderte er hastig zurück. „Eine äußerst bedauerliche Entwicklung.“

      „Wie schön, dass es Euch leid tut“, höhnte Beruk. „Nur leider hilft uns das nicht weiter. Oder bietet Ihr Euch freiwillig an, die beiden zurückzuholen?“

      Garulans Kehlkopf hüpfte nervös auf und ab. „Nun…“

      „Ich werde sie zurückholen“, fuhr Yaren dazwischen. „Insoweit gebe ich Telan Garulan Recht: Ishira ist meine Schutzbefohlene.“

      „Das Mädchen hat Euren Stolz verletzt, wie?“ brummte der Bashohon. „Ich kann verstehen, wie Ihr Euch fühlt.“

       Ihr versteht überhaupt nichts!

      „Brauchen wir das Mädchen überhaupt?“ meldete sich Koban zu Wort. „Kiresh Yaren hat bereits gestern Abend vor einem möglichen Angriff der Drachen gewarnt. Sind wir nicht genauso gut oder sogar besser beraten, wenn wir uns auf seine Erfahrung verlassen statt auf diese Sklavin, die es doch im Herzen begrüßen würde, wenn die Drachen uns alle töteten?“

      Yaren durchzuckte es wie ein Stich. „Hätte sie uns dann gewarnt?“ verteidigte er Ishira ohne nachzudenken.

      „Sie hatte keine große Wahl, wir hatten schließlich ihren Bruder in der Gewalt“, erinnerte ihn der Telan. „Möglicherweise gehörte es sogar zu ihrem Plan. Der Angriff der Drachen war für die beiden die perfekte Ablenkung.“

      „Dennoch könnt Ihr nicht leugnen, dass Ishira uns heute einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat“, beharrte Yaren. „Ich hatte lediglich die vage Vermutung eines Angriffs und ich hätte nicht so früh damit gerechnet. Noch hätte ich auch nur annähernd die Anzahl unserer Gegner abschätzen können. Sie hingegen wusste es.“ Wie unheimlich dieses Wissen war, wollte er in diesem Moment ebenso wenig an sich heranlassen wie die Worte Kobans. „Könnt Ihr auf diesen Vorteil so leichtherzig verzichten?“

      Helon, der bis jetzt geschwiegen hatte, strich sich nachdenklich über sein markantes Kinn. „Ohne die Sklavin wäre die Schlacht womöglich verlustreicher ausgegangen“, sprach er aus, worauf Yarens Argumente abzielten.

      „Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass wir Ishiras Hilfe vielleicht auch benötigen, um das Problem mit der Kristallenergie in den Griff zu bekommen“, gab Mebilor zu bedenken.

      Der Blick des Shohon glitt zu Yaren. „Weit können die beiden noch nicht gekommen sein. Ihr kennt das Mädchen am besten, also reitet los und bringt sie so schnell wie möglich zurück.“

      „Wenn Ihr erlaubt, Shohon, werde ich Kiresh Yaren begleiten“, erklärte Etan. „Zu zweit finden wir sie schneller.“

      Helon gab ohne Zögern sein Einverständnis. Yaren unterdrückte einen Einwand. Auch wenn er es vorgezogen hätte, allein zu reiten, konnte er die Wahrheit in Etans Worten nicht abstreiten. Falls Ishira und ihr Bruder es wider Erwarten bis zum Bach geschafft hatten, würde ein zweiter Mann nützlich sein. Wenn sie sich aufteilten, konnten sie ein größeres Gebiet durchkämmen und es würde für die Ausreißer schwieriger sein, an ihnen vorbei zu schlüpfen.

      „Ich

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