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Von Einem, der auszog.. Paul Barsch
Читать онлайн.Название Von Einem, der auszog.
Год выпуска 0
isbn 9783847690894
Автор произведения Paul Barsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Grenze des heimatlichen Kreises war überschritten. So weit war vorher noch keiner von uns gekommen. Franz meinte, jetzt fange die Fremde schon an; Johann erklärte jedoch, die richtige Fremde beginne erst in Breslau… Die Sonne neigte sich zum Untergange. Wir sangen nicht mehr. Franz war müde geworden; er klagte weinerlich, dass er nicht mehr laufen könne. Auch ich war des Wanderns überdrüssig; doch durfte ich nichts sagen, musste vielmehr so tun, als sei ich stark und stramm, weil ich sonst bei Johann im Ansehen gesunken wäre. Wo werden wir schlafen? Die stolze Zuversicht war dahin. Wir sprachen von daheim.
„Was sie jetzt zu Hause machen werden?“
Meine Gedanken waren bei der Mutter, und mir war so heimwehbang, dass ich am liebsten laut geschrien hätte.
Im Abenddunkel saßen wir auf dem Stamm eines gefällten Baumes im Straßengraben und suchten einander die bangen Gefühle durch Scherz und Spott zu vertreiben. Auch hielten wir Rat. Johann schlug vor, unser Geld zusammenzulegen und gemeinsame Kriegskasse zu führen. Obgleich Johann ein gutes Geschäft dabei machte, willigten wir gern ein. Mit meinem Besitztum von zwei Mark und vierzig Pfennigen war ich am reichsten von uns dreien. Franz fühlte sich in seiner weichen, wehen Stimmung zu einem reuevollen Geständnis bewogen. Er erzählte, zu Hause wüssten sie nichts davon, dass er in die Fremde gegangen; sie seien der Meinung, dass er sich mit dem Attest einen neuen Meister in der Stadt suchen wolle. Die Mutter habe ihm eine Mark auf den Weg gegeben; den übrigen Teil seines Geldbesitzes habe er ihr aus dem Nähkasten stibitzt. Er besaß eine Mark und fünfundsiebzig Pfennige. Johann, dessen Eltern schon lange gestorben waren, hatte von seinem Onkel einen Taler bekommen. Davon waren nur noch dreißig oder vierzig Pfennige übrig geblieben; das andere hatte er auf dem Wege nach der Stadt und zum Teil auch zu Hause schon in den Wirtshäusern vertan. Er meinte, man dürfe nicht zu viel Geld haben, sonst lerne man nicht fechten.
Wir gingen weiter. In einem Dorfe, dem wir uns näherten, hatten die Leute bereits Licht in den Stuben angezündet. Doch der Lichtschein der Fenster war für uns kein Gruß des Willkommens. Mir erschein er wie ein Warnungszeichen, das uns riet, nicht in das Dorf zu gehen, weil wir in der Dunkelheit leicht für Bettler oder Zigeuner gehalten werden könnten. Ich erinnerte mich, dass in meiner Heimat oft zur Nachtzeit fremde Bettler und auch Zigeuner angehalten und ins Spritzenhaus gesperrt worden waren, und diese Erinnerung erfüllte mich mit grauen. Wer weiß, ob nicht der Gemeindebote und der Nachtwächter auf der Straße standen und wache hielten! Wehe uns, wenn wir in ihre Hände fielen!… In solcher zitternden Furcht riet ich den Freunden, die Straße zu verlassen, auf den Feldern im Bogen um das Dorf herumzugehen und dabei einen Ziegelofen zu suchen. Die Ziegelöfen seien warm. Wenn wir eine fänden, könnten wir uns in seiner Wärme hinsetzen und warten, bis der Tag beginne. Johann widersprach mir und schritt keck und mutig auf das Dorf zu. Er behauptete, die Gastwirte seien verpflichtet, jedem fremden Handwerksburschen Quartier zu geben. Mein furchtsamer Einwand, dass wir mit dem Gelde sparen müssten, da leicht noch viel kältere Nächte kommen könnten, fand kein Gehör bei ihm, und so ging ich denn zagend hinter ihm her – hinein in das Dorf.
Wir kamen an ein Gasthaus. Vor einer Stalltür des großen Gebäudes stand eine dicke Frau und schalt die im Stall befindlichen Mägde aus. Johann ging dreist auf die Frau zu; Franz folgte nach; ich aber hielt mich vorsichtig zurück, da ich eine kränkende Abweichung befürchtete. Auf Johanns Frage, ob wir Nachtquartier bekommen könnten, gab die Frau keine Antwort. Sie betrachtete uns, wie mir schien, mit Blicken, die wenig verheißungsvoll waren. Dann ging sie näher zur Stahltür und redete wieder mit den Mägden. Ich ärgerte mich über meine Freunde, weil sie zwecklos und zu unserer Schande stehen blieben, statt weiter zu marschieren; bald aber fand ich freudige Ursache, mich meiner Feigheit zu schämen. Die dicke Frau betrachtete uns abermals und rief und zu:
„Meinetwegen! Uf der Streue kinnt ihr schlofen! An Viehm kost’s!“
Zehn Pfennige für einen jeden! Das war billig. Mit frohem, erleichtertem Gemüt folgte ich den Kameraden in die Gaststube nach, und bald saßen wir seelenvergnügt an einem Tische. Behaglich streckten wir die müden Beine aus, und jeder von uns dreien versicherte, er habe gar nicht geglaubt, dass es so hübsch sei in der Fremde.
O, wie müde war ich, - wie müde! Die Füße brannten in den Stiefeln, die Beine waren so steif geworden, dass ich sie kaum zu bewegen vermochte. Trotzdem war mir wundersam wohlig zu Sinn, und mit wahrer Begeisterung half ich eine Schüssel Brotsuppe und eine Schüssel Pellkartoffeln leeren. Eine besondere Würze empfing das gute Abendessen durch eine Unterhaltung, die am Nebentische laut und lebhaft geführt wurde. Dort saßen mehrere Fuhrleute oder Knechte, die über eine unheimliche Begebenheit sprachen. Wir erfuhren aus den Reden, dass in einem benachbarten Dorf eine reiche und angesehene Bauernfamilie durch ein Gespenst an den Bettelstab gebracht worden sei. Jede Nacht habe der Geist im Hause rumort; die Töpfe seien vom Spinde, die Bilder von den Wänden gefallen, und fast in jeder Woche habe ein Stück Vieh daran glauben müssen, bald ein Schwein, bald ein Rind, bald gar ein Pferd.
Einer von der Tischgesellschaft sagte, er wisse genau, wo das Gespenst herkomme. In den sechziger Jahren sei einmal etwas passiert. Er wolle darüber nicht reden, da es gefährlich sei. Aber wenn eine Frau in einem Tümpel ertrinke und der Mann schon drei Vierteljahre später ein reiches Weibsbild heirate, mit dem er bereits zu Lebzeiten der Frau gekramt habe, so könne man sich allerlei denken. Das Gespenst sei bald nach dem Tode des Mannes gekommen, der die reiche Frau geheiratet habe, und wer nicht ganz vernagelt im Kopfe sei, werde das Richtige erraten. Jemand habe der Frau geholfen, in den Tümpel zu fallen, und dieser Jemand müsse dafür als Gespenst herum poltern.
Ein alter Mann, der abseits allein saß, dem Aussehen nach der Dorfschmied, mischte sich mit grobem und rechthaberischem Gebaren in das Gespräch. Er erklärte, dass in seinen Augen jeder, der noch an Gespenster glaubte, ein ausgemachte Dummkopf und Pinkel sei. Man sollte nur den Knecht fragen, der jetzt mit seinem liederlichen Weibsbilde im Hause wohne; der werde Bescheid wissen. Man brauche nur manchmal ein wenig Petroleum in das Viehfutter zu gießen, so könne man das ganze Vieh zugrunde richten. Der Knecht habe sich eine billige Wohnung verschaffen wollen; das sei ihm gelungen… Früher – das sei sicher – habe sich allerdings verschiedenes Gespensterzeug auf der Welt herumgetrieben. Noch zu seines Großvaters Zeiten sei oft um Mitternacht von Strehlen herüber ein Feuermann gekommen; seitdem aber der Papst Gregor das Gesindel in den Bann getan, lasse sich kein Unding, kein graues Männel, kein dreibeiniger Hase, kein Hund mit feurigen Augen, kein Feuermann und kein Drache mehr blicken.
Die Unterhaltung wurde fesselnder, und ich hätte gern noch lange zugehört; doch ein junger, blau geschürzter Mensch kam und gebot uns knurrend, ihm zu folgen. Wir erhoben uns sogleich, waren ihm jedoch nicht schnell genug. Von der Tür aus rief er uns unwirsch zu: seinetwegen könnten wir noch sitzen bleiben und nachher im Straßengraben schlafen. Wir folgten ihm in den Pferdestall.
Gruselige Geschichten hatte ich von jeher gern erzählen gehört, und wenn auch mein Gespensterglaube schon von allerlei Zweifeln und Erwägungen zernagt war, besaß er doch in seinem Kerne noch immer die alte Zaubergewalt. Er ängstigte mich manchmal in finsteren Nachstunden, so dass ich im Bette nicht zu atmen, mich nicht zu rühren wagte; er lähmte mir oft den Fuß, wenn ich nachts auf Wegen gehen musste, die mir nicht geheuer erschienen; er zwang mich manchmal auch am lichten Tage, scheu umher zu blicken und die Schritte zu beschleunigen, wenn ich über gewisse, von Buschwerk umwucherte Grenzgräben schreiten musste, die das Feldgebiet des Dorfes von den Feldern eines andern Dorfes schieden. Einige Male wollte es meinem Erkenntnisdrange beinah gelingen, die Herrschaft zu gewinnen über die beklemmende Furcht, über das seelenlähmende Grauen vor einem unfassbar Unbekannten. Mit Gebetbuch und Rosenkranz bewehrt, forderte ich dann die Grenzgespenster gebieterisch und tapfer zum Kampfe heraus. Um sie zur Rache aufzureizen und ihr Erscheinen gewaltsam zu erzwingen, verfluchte und verspottete ich sie und beschwor sie gar zuletzt in Gottes und Beelzebubs Namen; dabei zitterten mir aber jedes Mal die Glieder in Todesangst – und sicher wäre ich vor Schrecken umgekommen, wenn sich mir wirklich eines der Gespenster zum Kampfe gestellt hätte. Hinterher war ich mir dann nie im Klaren, ob es in Wahrheit keine Gespenster gebe, oder ob am Ende nur der Rosenkranz und das Gebetsbuch ihr Erscheinen gehindert. So ist mein Wissensdurst ungestillt geblieben.