Скачать книгу

lesen und endlich den hohen Wert meiner Dichtung erkennen werde. Sie wusste vielleicht gar nicht, um was es sich handelte, und hatte möglicher weise meine Erklärung, dass ich das Stück selbst gedichtet habe, nicht verstanden oder für einen Scherz gehalten. Dann sagte ich mir wieder, dass die Mutter, wenn sie Verständnis für die Dichtkunst besäße, das Heft nicht vorzeitig weggelegt, sondern in einem Zuge bis zum letzten Wort ausgelesen hätte. Die Einleitung gehörte ja zu den großartigsten Stellen des ganzen Buches. Der Ritter erzählte den Vögeln des Waldes, dass er einst ein guter Mensch gewesen. Er habe eine Grafentochter geliebt, so heiß und treu, wie sonst auf Erden kein Mensch lieben könnte; sie aber habe ihn verschmäht, und da sei er ein Wüterich geworden, der nach schrecklicher Rache lechze. Sie habe nun ein Kind bekommen von seinem Nebenbuhler; das wolle er rauben, und keine zehntausend Höllengeister könnten ihn an dieser Tat hindern. Die Vögel des Waldes sollten Zeugen seines schrecklichen Schwures sein. Mitten in dieser herrlichen Rede hatte die Mutter zu lesen aufgehört…

      Der tosende Aufruhr in meiner Seele wollte sich lange nicht bezwingen lassen, und als er sich endlich gelegt hatte, waltete an seiner Statt eine hoffnungsleere, dumpfer Ergebung. In mancher Minute sehnte ich mich nach einem erlösenden Worte aus dem Munde der Mutter; doch sie sprach es nicht aus und griff auch nicht nach dem Vertauschten Kinde. Ihre Teilnahmslosigkeit reizte mich zu neuem Grimme, zu neuer Empörung, und ich nahm, ohne dass sie es merkte, das Buch und trug es hinaus, in der Absicht, es zu zerreißen und die Fetzen dem Winde zu überlassen. Die Schuld, dass unsere Familie nun unberühmt bleiben und ihr letzter Sprosse kein großer Dichter werden würde, sollte auf das Haupt der Mutter kommen. Draußen riss ich das Heft quer durch entzwei; gleichzeitig aber erschrak ich über mein Beginnen und gebot meinen Händen Einhalt. So zwecklos mir auch das ganze Dasein und alles, was damit zusammenhing, geworden war, - ich fühlte mich doch nicht fähig, meine Dichtung zu vernichten. Statt die Blätter in den Wind zu schleudern, trug ich sie auf den Boden, umhüllte sie sorgfältig mit Papier und versteckte sie hinter einem Dachsparren. Jetzt grämte ich mich, weil ich die schönen, sauber beschriebenen Blätter zerrissen. Jeder Bogen Papier hatte zwei Pfennige gekostet.

      Abend erinnerte sich die Mutter an das Heft. Sie fragte, wo es sei.

      „Aufgehoben hab ich’s,“ erwiderte ich.

      „Woas war’s denn, woas De da ufgeschrieben hast?“

      „Ein Theaterstück!“

      „A Theaterstück?“

      „Ja, ein Theaterstück!“

      In dem tone, in dem ich meine Antworten sprach, musste etwas liegen, das ihr auffiel. Sie fragte betroffen:

      „Derf ich’s nicht lesen?“

      Die Frage verletzte mich in Verlegenheit. Die rechte Erwiderung, dass ich ihr das Stück zu Lesen hingereicht, sie mich aber durch ihr gleichgültiges Verhalten gekränkt habe, hätte ihr wehgetan. Auch durfte ich ihr nicht sagen, dass ich das Heft im Zorne zerrissen hatte; sie wäre dann erst recht in Missmut geraten. In solcher Not redete ich etwas von schlechter, undeutlicher Schrift und suchte das Gespräch von dem Hefte abzulenken… Nun mochte sie wohl empfinden, dass meine Verstimmung im Zusammenhang mit dem Hefte stand; denn sie sagte mit sanftem Vorwurf, dass sie nun Zeit zum Lesen hätte. Bei Tage habe sie die Gedanken zu sehr bei der Arbeit. Vergebens erwartete sie, dass ich das Heft herbeiholen werde; doch redete sie nicht mehr davon.

      Der Misston, der durch das Vertauschte Kind in mein gut stimmendes Verhältnis zur Mutter gekommen war, störte den Frieden der Tage, die ich im Stübel verlebte. Ich weinte viel in jenen Tagen, da ich über den finsteren Peingedanken nicht hinwegkommen konnte, dass ich von dem einzigen treu liebenden Herzen, das ich auf Erden besaß, in meinem inneren Wesen und Werte, in meinem Wollen und Streben nicht erkannt wurde.

      Junge Gesellen.

      Sechs oder sieben Tage hatte ich bei der Mutter gewohnt, als wir beide durch ein Schreiben des Meisters der bangen Sorge um meine Zukunft entrissen wurden. Der Meister schrieb kurz und schroff: er befehle mir, dass ich sofort auf meinen Posten zurückkehre, den ich ohne Grund und Erlaubnis verlassen habe.

      Ohne Grund und Erlaubnis! Als hätte mich Fräulein Cäcilie nicht vertrieben! Was sollte die Mutter von mir denken! Sie musste mich ja für einen Lügner halten! Ich beteuerte, dass ich die Wahrheit geredet habe; sie aber legte dem Widerspruch, der zwischen dem Briefe und meinen Erzählungen bestand, keine Wichtigkeit bei, freute sich vielmehr, dass ich mich sogleich bereit zeigte, nach der Stadt zu marschieren. Schnell besorgte sie mir ein gutes Frühstück, ordnete mein Bündel und entließ mich mit frommen Wünschen.

      Unterwegs fürchtete ich, dass ein böser Empfang und arge Tage meiner harrten. Hatte ich doch Cäcilie und deren Mutter gar zu schwer beleidigt! Dafür gab’s keine Verzeihung… Je näher ich der Stadt kam, desto mehr wuchsen Furcht und Beklommenheit, und als ich nach dreistündigem Marsche das Ziel erreicht hatte, getraute ich mich nicht, in die Wohnung des Meisters, auch nicht in die Werkstatt zu gehen. Eine lange Weile unentschlossen, und die Frage erwägend, was ich zu antworten hätte, wenn mich der Meiste wegen der frechen Beleidigung zu Rede stellen sollte.

      Oben wurde eine Tür zugeschlagen; Schritte erschollen von der Treppe her… Der Meister!… Herzhaft trat ich ihm entgegen und grüßte.

      „Da bist Du ja schon!“ sprach er. „Ihr seid eine feine Gesellschaft! Da hab’ ich mal gesehen, wie ich mich auf Euch verlassen kann! Grade von Dir hätte ich mehr Treue erwartet!“

      Er ließ mich kein Wort der Entschuldigung sagen, sonder rief rasch und eindringlich: „Nichts hören will ich, nichts! Ich kenn’ Euch schon! Mach’ nur, dass Du an die Arbeit kommst!“ Dann folgte er mir in die Werkstatt. Dort traf ich Franz. Die Gesellen waren nicht zur Stelle; auch Johann nicht. Der Meister befahl mir, Franz behilflich zu sein, ermahnte uns zum Fleiß und ging hinaus.

      Auch Franz hatte von ihm einen Brief erhalten; dank besserer Postverbindung einen Tag eher als ich. Daher war er einen Tag früher zurückgekehrt und wusste bereits allerlei fesselnde Neuigkeiten vom Meister zu erzählen. Am Abend nach seiner Heimkehr hatte er Kohlen aus dem Keller nach der Küche tragen müssen, und bei dieser Gelegenheit war ihm von Fräulein Cäcilie mitgeteilt worden, dass der Meister tatsächlich im Auftrage des Freimaurerordens verreist gewesen. Einen Verräter der Ordensgeheimnisse habe er verfolgen und unschädlich machen müssen. Das sei eine große Ehre für den Meister gewesen, da nicht jedes Mitglied der Loge mit einem so wichtigen Auftrage betraut werde. Franz glaubte aber nicht an diese Geschichte. Vormittags seien drei feine Herren mit dem Möbelhändler Silberstein da gewesen und hätten den Wert der Holzvorräte, Hobelbänke und Werkzeuge abgeschätzt. Während der Unterhaltung sei dem Silberstein das Wort entschlüpft: „Wenn alle Leute fortlaufen sollten, die Schulden haben, gäb’s zuletzt keine Einwohner mehr.“ Aus diesen Worten hatte Franz den Schluss gezogen, dass der Schneider recht gehabt mit seiner Behauptung, der Meister sei lediglich der Schulden wegen durchgebrannt. Er meinte, Cäcilie habe die schöne Geschichte vom verfolgten Verräter ersonnen und verbreitet, damit der Fleischer, der Bäcker und der Krämer nicht misstrauisch werden sollten. Sie brauche das Vertrauen dieser Leute, da sie die Einkäufe nicht immer bar bezahlte.

      Franz war doch viel klüger als er aussah! Ich erstaunte über seine klare Einsicht und seine schaffe Beurteilung der Verhältnisse. Er sagte, der Meister sei bankrott und müsse die Tischlerei verkaufen. Der sicherste Beweis dafür wären die Kisten… Richtig, die Kisten! Franz hatte den Auftrag erhalten, eine Anzahl Packkisten verschiedener Größe anzufertigen, und ich sollte ihm dabei helfen. Er hatte seinen Ohren und Augen gar nicht getraut, als ihm befohlen worden, die noch vorhandenen Bretter zu den Kisten zu verwenden. Das waren gute, teure, auserlesene Fichtenbretter. Sie zu einem Zwecke zu verarbeiten, für den das gemeinste Tannenholz gut genug gewesen wäre, schien sündhaft und jammerschade. In solcher Verschwendung erblickten wir ein Zeichen der bevorstehenden Auflösung…

      Die Stunden vergingen, und eine Minute kam, der ich mit Bangen entgegengesehen. Wir wurden zum Abendbrot gerufen. Das bedeutete für mich das Zusammentreffen mit Cäcilie. Ich fürchtete, dass sie mich angreifen werde, und hatte daher dem Freunde begreiflich zu machen

Скачать книгу