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Von Einem, der auszog.. Paul Barsch
Читать онлайн.Название Von Einem, der auszog.
Год выпуска 0
isbn 9783847690894
Автор произведения Paul Barsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wenn sie nicht kämen? Was sollte ich dann beginnen? Mir wurde bange. Allein in die Fremde gehen… Dieser Gedanke schreckte mich so sehr, dass ich mich in das Reich eines anderen Gedankens flüchtete, der mich noch kurz vorher mit Grauen erfüllt hatte, mir jetzt aber wie ein Erretter vorkam: ich wollte, wenn ich von Johann und Franz im Stich gelassen würde, zu Herrn Thomas gehen und noch ein Jahr lernen. Wenigstens hatte ich dann einen Ort, wo ich des Nachts schlafen konnte. Trübfällig irrte ich in der Stadt umher, setzte mich dann wieder auf die Haustürwelle, sah nach der Uhr und grübelte nach über mein armes, unglückliches Leben. Ich fürchtete mich vor den Menschen…
Da – mit einem Husch war alles in mir verändert. Drüben an einer Straße, die in den Markt mündete, stand Johann. Ich lief hinzu, und mein Gemüt war voller Freude, Weltvertrauen und Kühnheit. Johann trug ein Bündel, wie ich. Aus Dankbarkeit, weil er Wort gehalten, und mit einem Herzen voll übersprudelnder Lust umarmte ich ihn und – merkte zu spät, dass er ein glimmendes Stückchen Zigarre zwischen den Zähnen hielt. So war der Kuss, der seinem Munde galt, in Wahrheit feurig; meine Lippen und ein Teil des Kinns erlitten Brandschaden. Aber im Glück des Wiedersehens und der Befreiung von meiner Seelenangst ertrug ich gern den argen Schmerz und war auch nicht böse, dass Johann mich schadenfroh auslachte.
„Du rauchst schon Zigarren?“ fragte ich mit aufrichtiger Bewunderung.
„Selbstverständlich!“ gab er zur Antwort.
Ich hatte das Rauchen noch nicht erlernt und war auch fest überzeugt, dass ich es nicht erlernen würde. Um dem Freunde zu zeigen, dass ich mich während meiner Gesellenzeit auch schon zu einer höheren Lebensart aufgeschwungen hatte, zog ich eines meiner Taschentücher hervor und betupfte damit die Brandwunden. Sie taten schrecklich weh. Johann wollte sogleich abmarschieren, ohne auf Franz zu warten. Er schäme sich, sprach er, mit einem Stifte in die Fremde zu gehen. Auch sei Franz ein einfältiges Schaf. Ich forderte, dass wir bis zu der verabredeten Stunde warteten, und nahm die Partei des geschmähten Kameraden. Hierbei gerieten wir in Streit, und Johann sprach die schändlichen Worte: ich sollte nur Warten, er werde den Weg in die Fremde schon allein finden. Trotz meiner Entrüstung schlug ich den Ton des gütlichen Zuredens und Bittens an, und nur dadurch gelang es mir, ihn zurückzuhalten. Unter der Bedingung, dass ich für jeden von uns einen Kornschnaps kaufe, erklärte er sich bereit, noch fünfzehn Minuten zu warten.
In einer Destille tranken wir jeder für fünf Pfennige Korn auf meine Kosten. Johann leerte das Glas auf einen Zug und verlangte von mir, dass ich sein Beispiel befolge. Während der letzten beiden Tage habe er sich zu Hause fleißig im Korntrinken geübt, damit er in der Fremde als zünftiger Gesell anerkannt und nicht ausgelacht werde. Mit beherztem Entschluss goss ich den Schnaps in den Mund, verschluckte ihn jedoch nicht, da mir das scharfe Zeug widerstrebte, und spie es draußen auf der Straße aus, ohne dass Johann etwas davon merkte. Auf Franz brauchten wir nicht länger zu warten; er kam bereits anmarschiert.
„Ich hab’s gekriegt vom Gemeindevorsteher!“ rief er uns freudig zu und brachte das Papier zum Vorschein. Auf dem Papier stand geschrieben, dass Franz nahezu drei Jahre Tischler gelernt habe, aber nicht freigesprochen werden konnte, da sein Lehrmeister bankrott geworden und nach Amerika ausgewandert sei. Dem Inhaber des Scheins werde gestattet, sich einen anderen Meister zu suchen. Auch Franzens Mutter hatte ihren Namen auf das Papier gezeichnet.
„Jetzt bin ich so gut wie Geselle!“ meinte Franz.
Johann widersprach dieser Auffassung; ich aber war der Ansicht, dass Franz auf Grund dieses Scheines tatsächlich als Gesell angesehen werden müsse. Jedenfalls habe er die Erlaubnis, in die Fremde zu gehen. Lehrjungen wird solche Erlaubnis nicht erteilt. Die Streitfrage blieb unentschieden; Johann aber ließ sich’s gefallen, dass Franz ihn duzte. So verließen wir in halbwegs friedlicher Stimmung die Stadt.
Der Frühling wollte wirklich kommen. Das weiße Gewand der Fluren war bereits zerrissen und voller Schmutzflecke; die Sonne zeigte sich willens, den Plunder vollends zu beseitigen und der Erde das grüne Lenzkleid anzulegen. Am Wege, in den Gräben und Gerinnen rieselten und plapperten, gleich waldfrohen Quellen, die Wasser des schmelzenden Eises. Das rinnende Spiel ergötzte mich und nahm meine Aufmerksamkeit mehr in Anspruch als die Gegend, durch die wir marschierten und von der meine Begleiter sprachen. Ich dachte daran, wie hübsch es sein müsste, wenn wir Zeit hätten, Papierschiffchen zu machen und sie auf der klaren Flut der kleinen Ströme treiben zu lassen. Manchmal erhob sich aus Schnee und Feuchte ein trockenes Inselchen, auf dem die Frühlingsarbeit schon weiter gediehen war als in der Nachbarschaft. Die Gräser waren dort schon ausgebildet und leuchteten in einem zarten, Herz berückenden Grün, wie es im Spätfrühling und im Sommer nirgends mehr zu schauen ist. Zwischen welken Gräsern und verdorrten Blütenstengeln des Vorjahres zeigen sich bereits mancherlei neu gewordene Blätter, zwar noch unvollkommen an Größe, doch vollendet in der Form und von wunderbarer Feinheit. An manchen Stellen fand ich schon die mir gut bekannten Spitzen des Sauerampfers. Mir war so lenzfröhlich zu Gemüt, dass ich unwillkürlich in der Luft nach Schmetterlinge suchte. Seitwärts in der Ferne stachen die Berge der Sudeten und das Glatzer Landes in reinen Linien und dunkelblauer Färbung vom lichtflimmernden Himmel ab. Zuweilen war mir so, als könnten meine Blicke die Berge und die Wälder am Horizonte durchdringen und fremde, bunte Provinzen sehen, in denen Menschen mit anderen Sitten, Gewohnheiten und anderer Sprache wohnten.
O, wie viele Städte mit hochragenden Wunderwerken mag die Erde tragen! O Wandern! O Freiheit! O du liebe, strahlende Sonne!
Die Mütze flog empor. Sie fiel in den Graben, und meine beiden Freunde lachten. Schadet nichts! Vorwärts – vorwärts! Die Welt ist weit und wonnevoll und die Menschen sind lieb – und, passt auf, uns geht es rasend gut in der Fremde!… Die Sonne leuchtete so warm, als sei Ostern schon gekommen… Sie lachte so freudenvoll, als tönten in den Kirchen bereits die Kesselpauken.
Die Kesselpauken! In der Kirche meines Heimatdorfes standen sie während der Fastenzeit in der Bälgekammer. Wenn man eine davon umkippte, so dass das Licht auf den kupfernen Rand fiel, konnte man die Jahreszahl 1647 finden. Wie viele Menschen mochten schon gestorben sein seit jener Zeit, in der die Pauken gemacht wurden?… Wir aber lebten noch, und wir waren freie Menschen; wir hielten als treue Kameraden zusammen und wollten reich und glücklich und berühmt werden. O, die große, die herrliche Welt!
Am Palmsonntage gehr der Schulmeister mit der Schulmagd und einem großen Jungen in die Kirche, und die Kesselpauken werden aus der Bälgekammer neben die Orgel getragen. Dort bedeckt er sie mit schwarzen Tüchern. Wenn das geschehen ist, dürften die Kinder im Dorfe nicht mehr lachen. In der Schule nicht und daheim nicht. Meine Schulgefährtin Maria verklatschte mich einmal bei meiner Mutter, als ich am Karsonnabend gelacht hatte. Sie wollte sich rächen, weil ich gesagt hatte, sie besäße schon einen Liebsten. Die Mutter tadelte mich.
„Die Kesselpauken sind zugedeckt, die Glocken läuten nicht und die Engel weinen, weil der heilige Christ leiden muss. Da lachen nur garstige Kinder.“
Wenn das Halleluja ertönt, werden die Kesselpauken geschlagen; die Glocken läuten und die Kinder dürfen lachen und lustig sein. Dann sind Feiertage, und die Leute essen Kuchen und zu Mittag gibt es gekochte Pflaumen. Alle Menschen sind freudig und ziehen die schönsten Kleider an. Der Wald wird grün und die Vögel bauen Nester. Bald kam dann die Zeit, in der wir auf die Bäume kletterten, Krähennester ausnahmen und junge Eichhörnchen suchten. Die Gräben auf der Wiese sind zu Ostern ganz mit Wasser angefüllt, und das Wasser ist so klar, dass man jeden Fisch auf dem Grunde sieht. Ich ging als Kind auf die Wiese und belauschte die Fische, und wenn ich an den Teich im Walde kam, spähte ich nach den Feenixen, die sich dort im Gebüsch und im Schilf aufhielten. Ein Junge, der zu Ostern eine Feenixe sieht, hat Glück im Leben; er kann es weit bringen und vielleicht gar Graf oder König werden. So sagen die Leute. Einmal, am Nachmittag des ersten Ostertages, hatte ich etwas Weißes durch das Gebüsch dem Teiche entschweben gesehen. Ich glaubte fest, dass es eine Feenixe gewesen sei. Jetzt war ich nicht mehr abergläubisch; doch musste ich fortwährend an jenes weiße Wesen denken, und der Glaube an ein großes, unerhörtes Glück verließ mich nicht.