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Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or
Читать онлайн.Название Korridorium – der SciFi-Fraktor
Год выпуска 0
isbn 9783847660897
Автор произведения Cory d'Or
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Die Welt von wann?«
»67. Ich sag ja: Lange nach deiner Zeit.«
»2067?«
»Ja, Bingo.« Seine Stimme klingt genervt.
2067. Wie kann das sein? Tatsächlich erinnere ich mich dunkel, gestorben zu sein. Der Tunnel ins Licht. Oder nein, das Schwert im Rücken. Doch das sind wohl auch nur Geschichten, Geschichten, anhand derer ich rekonstruiert wurde. Deshalb kann ich nur wissen, was in den Texten steht – und nichts von meinem Tod, dem des Autors, dessen Rekonstruktion ich bin. Seine – oder ihre – Storys allerdings sind widersprüchlich. Es muss Absicht sein, dass sie sich nicht festlegen. Wie soll ich wissen, wer ich bin, nicht einmal ob Mann oder Frau oder ob überhaupt ein menschliches Wesen, wenn genau das gerade das Suchspiel war, das Rätsel? Wenn alles pluridimensional daherkommt und fraktal zersplittert? Aber nein, löst sich nicht am Ende des Blogs überraschend alles auf, und es wird klar, wer Cory ist und was es mit all den Geschichten auf sich hat?!
Doch ich kann dem Gedanken nicht weiter folgen, sondern werde unterbrochen. »Okay, Mann, also das Korridorium: 400 Blogeinträge, insgesamt vom Umfang eines mittelschweren Romans. Irgendwo da drin muss was zum Untergang der Postmoderne stehen – oder halt was Postmodernes, das den Untergang beleuchtet. Also leg mal los, du bist doch Schreiberling.«
»Es sind 398 Texte. Nicht 400. Dreihundertachtundneunzig!«
»Wie auch immer.«
»Und sie sollten nicht postmodern sein, sondern post-postmodern. Verstehst du? Integral.«
»Hör zu: Das ist hier nicht der Mathe-Unterricht.«
Ich werde wütend. Da rekonstruiert mich jemand im Jahr 2067, indem er ein Blanko-Bewusstsein mit meinen Texten füttert und irgendein Computer daraus den Geist des Autors, also mich, hervorkitzelt, aber es ist kein Literaturwissenschaftler, kein Historiker, nicht einmal ein Liebhaber skurriler Kurzprosa, sondern nur irgend so ein ignoranter Schnösel, der für die Schule was über mich schreiben muss und zu faul ist, auch nur eine Zeile davon zu lesen!
»Jetzt hör du mir mal zu, du Banause! Du musst da was falsch verstanden haben: Ich hab die Postmoderne transzendiert, das mit dem Untergang ist Schwachsinn: Die Postmoderne kann doch allenfalls durch die nächste Kulturstufe, also die Integrale Perspektive abgelöst und in sie integriert worden sein! Die Moderne ist doch auch nicht ›untergegangen‹.«
»Nee, im Gegenteil: Nach der Postmoderne kam die Remoderne, und dann die Prenaissance. Déle. Das ist alles nach deiner Zeit, und jetzt lass uns endlich die Facharbeit schreiben.«
Mir schwirrt der Kopf. Die Postmoderne mit all ihren Errungenschaften soll gescheitert und spurlos verschwunden sein? Doch nicht etwa – durch mich?!
»Das Korridorium hat den Untergang verursacht?!«
»Wohl kaum. Ich hab natürlich recherchiert, was es mit diesem Korri- D?ngd?ng auf sich hat, aber es ist nix drüber zu finden. Blieb wohl unbeachtet, und ich schätze, dass es an der Quote für deutsche Literatur liegt, dass der Teach das Ding ausgegraben hat. O Mann! Zwanzigtausend Zeichen Minimum inklusive Leerzeichen – hätte echt lieber was über chinesische Literatur geschrieben!«
»Aber es muss doch einen Wikipedia-Eintrag zum Korridorium geben!«
Die Stimme lacht. Ein kurzes, genervtes Lachen. »Das ist dann wohl der monströse postmoderne Narzissmus, von dem der Teach redet: immer nur um sich selbst kreisen. Nee, Wikipedia ist längst Geschichte, der Dschiessibi hat die Sùzhìpedia draus gemacht, nach dem Meltdown.«
»Meltdown?«
»2030. War nach deiner Zeit. Und in der Sùzhìpedia …«
»Was ist der Meltdown?«, unterbreche ich ihn.
»Interessiert doch jetzt keinen Benz. Willst du jetzt wissen, ob was über dich in der Sùzhìpedia steht oder nicht?«
»Sùzhì wie Sushi?«
»Doch nicht Japanisch! Das ist Chinesisch und heißt ›schnelles Wissen‹.«
»Du sprichst Chinesisch?«
»Nur Mandarin. Jedenfalls steht nichts übers Korridorium drin. Es gibt da nur irgendeine Fußnote. Eine einzige.«
»Was für eine?«
»Keine Ahnung, hab ich mir nicht gemerkt.«
»Zum Thema ›Pluridimensionales Weltbild‹ vielleicht? Oder zu ›fraktale Literatur‹?«
»Mann, du gongst!«
»Dieser Meltdown: Danach ging’s steil bergab, oder? Ich meine: ›Remoderne‹, das klingt nach Regression. Und mit der ›Prenaissance‹ scheint es die Menschheit ja dann auf einen Schlag zurück ins dunkelste Mittelalter versetzt zu haben.«
»Na, das sagt der Richtige. Der Teach hat recht. Hauptcharakteristikum der Postmoderne: ihre abscheuliche Hybris. Neben ihrem fatalen Werte-Relativismus natürlich.«
»Und wer Cory ist? Hast du das recherchiert?«
»Interessiert doch jetzt wirklich keinen Benz. Hör endlich auf, mich vollzugongen. Ich stelle hier die Fragen! Wer soll Cory schon sein? Cory halt. Du.«
»Was soll das mit dem ›Benz‹? Wovon redest du?«
»Das ist chinesisch. Und damit pik.«
»›Benz‹ soll chinesisch sein? Und was ist ›pik‹?«
»Na, pik. Pikant. Zu deiner Zeit hätte man wohl ›cool‹ gesagt.«
»Zu meiner Zeit … Du hast mich doch gerade erst rekonstruiert. Von damals weiß ich nur irgendwelche Geschichten. Der echte Cory dagegen – hat eigentlich mal jemand rausgefunden, wer hinter dem Künstlernamen steckt?«
»Was gibt’s da rauszufinden. Ist halt irgend so ein postmodernes Versteckspiel. Du musst doch wissen, wer du bist!«
Ich kann mich an eine Preisverleihung erinnern. War es nicht sogar der Literatur-Nobelpreis? Offenbar nur eine der Geschichten. Ich kann meinen Erinnerungen nicht trauen. Wenn ich doch nur in Ruhe über mich nachdenken könnte! Und wie ich hier herauskomme aus dem endlosen Korridor … Ich stelle fest, dass mir das Herz pocht und ich nach Luft ringe. Es kommt mir vor, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Oder bin ich einfach nur wütend? Ich bin mir nicht sicher – auch nicht, ob ich überhaupt einen Puls habe oder atme. Ich bin nur eine Simulation, zusammengesetzt aus Worten. Können die mit der Methode alle wieder zurückholen? Joyce, Homer, Kafka, Goethe?
»Weißt du was, Mann?«
Ich lehne schweratmend an einer der Wände des Korridors. Was hätte Cory jetzt getan?
»Ich geb den ganzen Kram meiner Mutter. War ’ne Scheißidee, dich zu rekonstruieren. M? meint, ich brauch die Spitzennoten für später, Karriere und so, und dann soll sie halt was dafür tun. Für sie ist die Facharbeit ein Klacks.«
»Und was ist mit mir?«
»Was soll schon sein. Ich lösch dich wieder.«
»Das kannst du nicht tun!«
»Werden wir ja sehen.«
»Warte!« Wie hieß er noch? «Ich kann dir helfen, Tom.«
Er lässt sich Zeit mit der Antwort. Ich fühle, wie mir der Schweiß ausbricht.
»Es gibt da diese Geschichte«, rufe ich in den leeren Korridor, »über die Chinesen: Sie schrumpfen sich, bis alle von ihnen in die Verbotene Stadt reinpassen. Eine Satire.« Ich muss improvisieren. Ein Versuchsballon, aber etwas Besseres fällt mir nicht ein.
»Ganz schlecht. Das wird dem Dschiessiebi nicht gefallen. Komisch, dass das dem Teach durchgerutscht ist.«
»Wer ist dieser Dschiessiebi?«