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Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or
Читать онлайн.Название Korridorium – der SciFi-Fraktor
Год выпуска 0
isbn 9783847660897
Автор произведения Cory d'Or
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
70/398
19.1.12
Ich betrete den Korridor. Oder vielleicht sollte ich angesichts der fehlenden Schwerkraft besser sagen: Ich schwebe in eine der Speichen unserer Raumstation hinein. Hier lagern unsere Archäologen die Artefakte einer Zivilisation halbwegs intelligenter Wesen, die sich offenbar selbst vernichtet haben. Was genau auf diesem Planeten geschehen ist, bleibt derzeit Gegenstand der Spekulation, da wir die Schrift der Aliens noch nicht entziffert haben. Sie besiedelten den gesamten Planeten, und fast überall fanden unsere Wissenschaftler ihre mit Motoren und Rädern versehenen Metallpanzerungen, die sie offenbar industriell anfertigten. Dass sie sich bevorzugt damit auf der Oberfläche ihres Planeten umherbewegten, führen unsere Forscher in einer ersten Arbeitshypothese auf eine übertriebene Angst vor Meteoriten zurück – zu ihrer Vernichtung muss allerdings etwas anderes geführt haben.
83/398
1.2.12
Ich betrete den Korridor und beeile mich, rechtzeitig zu Zimmer Nr. 27 zu gelangen. Herr Koriander, unser Gast, legt Wert darauf, dass ihm das Essen – wieder ist es Coq au vin, eine Spezialität unseres Hauses – pünktlich um fünf Minuten nach Mitternacht serviert wird. Heute hat Pascal, der Koch, ein wenig getrödelt, und ich muss es ausbaden. Doch Herr Koriander, der mir die Tür aufmacht, scheint nicht böse zu sein, dass ich mich ein wenig verspätet habe. Wieder ist er nicht allein. Es sitzt ein älterer Herr dort, mit erstem Gesicht und dichtem schwarzem Haar, der ein wenig steif und unsicher wirkt.
Ich serviere beiden ihre Mahlzeit und gieße jedem ein Glas stilles Tafelwasser ein, so, wie es Herr Koriander wünscht. »Bitte bleiben Sie doch«, bietet er mir an, und ich stelle mich neben das Bett in dem kleinen Gästezimmer, um jederzeit nachschenken zu können.
Der Gast von Herrn Koriander beäugt ein wenig kritisch das Hähnchen auf seinem Teller. »Man is no more than a little fleck of foam …«, sagt Herr Koriander, und als sein Gast fortfährt »… on the torrent of existence«, höre ich heraus, dass er Engländer ist. Er lächelt. Das Eis scheint gebrochen.
Der Engländer beginnt zu essen, und Herr Koriander stellt lauter Fragen und schreibt eifrig in seine Notizbuch. Mich scheinen die beiden vergessen haben, oder vielleicht denken sie auch, ich spreche kein Englisch. Ich verstehe aber genug, um mitzubekommen, dass die beiden kurz den Mars und seine Bewohner streifen, um dann zur Venus, auf der Menschen leben, was mich sehr verwirrt. Herrn Koriander scheint es immer wieder um Dinge wie Intelligenz und Bewusstsein zu gehen, denn er stellt ständig Fragen danach und lässt sich von seinem Gast dessen Sicht auf diese Dinge erklären.
Plötzlich dreht sich der Engländer zu mir um. Er hat einen sehr wachen Blick, und ich glaube, ich werde ein wenig rot. Ohne seine tiefliegenden Augen von mir zu lassen, fragt er Herrn Koriander, ob sie hier im Hotel vielleicht ein Schwimmbad haben. Herr Koriander verneint. Auch ich schüttle den Kopf. Der Engländer senkt wieder den Blick und murmelt so etwas wie »too bad«.
Das intensive Gespräch der beiden geht weiter, und die Reise in eine ferne Zukunft setzt sich fort. Nicht nur von einer, von unserer Menschheit, ist die Rede, sondern von einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender Menschheiten und sogar einer, in der sich die einzelnen Menschen telepathisch zusammenschließen zu einer Art Superintelligenz, wenn ich das richtig verstanden habe. In zwei Milliarden Jahren – kann es wirklich sein, dass die beiden über eine solche unvorstellbare Zeitspanne reden? Und das, wo doch unsere Welt noch in diesem Jahr enden soll?!
Der Engländer hat schließlich den Teller leergegessen, schüttelt aber den Kopf, als ihm Herr Koriander noch seine Portion anbietet, die er nicht angerührt hat. »Sie können abräumen«, meint dieser dann zu mir. Gerne hätte er sich, sagt er zu seinem Gast, als ich mit dem Tablett das Zimmer verlasse, noch über die Intelligenz und das Bewusstsein von Sternen und Galaxien unterhalten hätte. Mir schwirrt der Kopf. Ich starre oft staunend in den lichterübersäten nächtlichen Himmel. Dass aber die abertausend Leuchtpunkte über mir ein eigenes Bewusstsein, dass sie Intelligenz besitzen könnten, ist mir noch nie in den Sinn gekommen!
Pascal ist noch da und löchert mich, als ich ihm das Tablett in die Küche stelle. Eigentlich müsste ich ihm erklären, dass es zwei Verrückte sind – von denen der eine auf rätselhafte Weise aufgetaucht ist, denn ich habe den ganzen Abend die Rezeption nicht verlassen, außer einmal, als ich aufs Klo musste. Aber mir stehen noch ihre beiden Gesichter vor Augen und die Ernsthaftigkeit, mit denen sie sich über ihre verschrobenen Themen unterhalten haben. Deshalb sage ich Pascal nur, dass sich da oben in Zimmer 27 bei uns zwei Schriftsteller getroffen hätten.
»Schriftsteller, hm-hm«, sagt Pascal mit einem süffisanten Grinsen, »und nur Tafelwasser, sagst du?« Er möchte noch einen Wein mit mir aufmachen, aber ich schicke ihn nach Hause.
Kurze Zeit später steht Herr Koriander mit Hut und Mantel an der Rezeption und legt mir den Zimmerschlüssel und ein Trinkgeld hin. Fast hätte ich ihn gefragt, wer dieser Mann mit den intensiven Augen gewesen ist, aber da ich glaube, Herr Koriander hat unser kleines Landhotel deshalb ausgewählt, weil wir hier sehr diskret sind, halte ich dann doch den Mund.
Das Zimmer ist leer, das Bett unberührt. Wie es der Engländer geschafft hat, unbemerkt aus dem Hotel zu kommen, bleibt mir ein Rätsel. Aber vielleicht macht ja genau das einen guten Zimmerservice aus: sich einfach über nichts zu wundern.
[Unter der originalen Blog-Veröffentlichung des obenstehenden Textes gibt es einen externen Link zu Informationen über den Science-Fiction-Autor Olaf Stapledon († 1950). Sämtliche externen Links des Korridoriums finden Sie in der archivierten Version; s. Nachwort. Anm. d. Hrsg.]
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12.2.12
Ich betrete den Korridor, weil ich ein seltsames Geräusch gehört habe. Auf Kopfhöhe leuchtet an der Haustür ein blendendes Licht auf, zwei-, dreimal. Schweißt sie jemand von außen auf? Es leuchtet wieder gleißend auf, dreimal, wie ein Klopfen, doch völlig lautlos. Ohne lang nachzudenken reiße ich, obwohl ich nur im Pyjama dastehe, die Tür auf.
Im nächtlichen Treppenflur steht – etwas. Oder besser: es schwebt. Es wirkt wie ein dreidimensionales Kaleidoskop, dessen leuchtende Splitter ständig nach innen wandern, bis sie plötzlich die Richtung ändern und wie geschmolzenes Eisen vom Zentrum aus nach außen verlaufen.
Die Stimme ist sehr leise und sanft, und es kommt mir vor, als höre ich ein vertrautes, geliebtes Wiegenlied. Sie sagt: »Du hast einen Spiralarm der Galaxis verdampfen lassen.«
Ich starre die Erscheinung an. Mir fehlen die Worte. Ich will wegrennen, mich verstecken oder einfach nur ohnmächtig werden. Aber es ist, als würden meine Gedanken keinen Widerhall mehr in meinem Körper finden, keine Andockstelle, um eine tatsächliche Handlung auszulösen. Ich bleibe einfach stocksteif vor diesem Ding stehen.
»Du hast eine Maschine gebaut«, sagt die Stimme.
Eine Maschine? Ja, da war was. Aber das war nicht ich. Nur ein Traum. Seit Wochen wache ich immer um genau dieselbe Zeit mitten in der Nacht auf, um 2:22 Uhr, und erinnere mich jedes Mal an einen lebhaften Traum, in dem ich eine Art Ingenieur bin, der wie besessen an einer hochkomplexen Maschine baut – sie füllt fast die ganze von