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Schulen verboten!“ „Na da halten sich ja auch nur die Lehrer dran, Frau Ansorge“, frotzelt mich der Typ an, der einen auf cool macht und dabei doch Tränen in den Augenwinkeln hat. Ich verpasse ihm einen ordnenden Seitenhieb. Dann fange ich auch an zu schluchzen.

      Der Krankenwagen fährt wieder ab. Ein Polizeiauto fährt vor. Ein Mann im Anzug und eine blonde Frau in Uniform steigen aus. Mit einem eleganten Ausfallschritt schiebt sich die wuchtige Frau vor den zierlichen Herrn und segelt voraus Richtung Portal. Der kleine Mann stolpert verdutzt und eilt ihr dann hinterher. Sie spielt bestimmt Basketball oder Rugby, bemerke ich anerkennend. Das Team betritt kurz darauf das Klassenzimmer. Die wuchtige Dame blickt majestätisch um sich und fragt: „Wer ist hier zuständig!“ „Ich“, mein Chef hebt eingeschüchtert die Hand. „Name!“, bellt sie wie auf dem Kasernenhof. „Herrlich“, sagt der Chef brav. „Was soll hier herrlich sein“, fragt die Dame indigniert in betontem Hochdeutsch „hier ist eben jemand verstorben!“ Ich zeige mich hilfsbereit: „Er heißt so!“ Von unten taucht der kleine Mann auf und schiebt sich zwischen die Freiheitsstatue vom Revier und meinen Chef. „Marta!“, sagt er vorwurfsvoll. „Was ist Rüdiger?“, fragt sie genervt. „Du hast etwas vergessen.“ „Wieso vergessen?“, sie schüttelt unwirsch den Kopf. „Das sind keine Drogenhändler, wir sind an einem Gymnasium. Der Mann ist Rektor.“ „Und jetzt?“, blafft sie.

      „Wir sollten uns zunächst einmal vorstellen“, souffliert er hilfreich. „Ich bin das noch nicht gewöhnt, Rüdiger, mach du das mal!“ Also stellt sich der kleine Mann erst mal vor. „Guten Tag, Herr Herrlich“, er stutzt kurz wegen der Verdopplung und fährt dann fort. „Wir kommen von der Kripo Aschaffenburg, das ist Kommissar Marta Baierl, eine neue Kollegin aus dem Osten. Sie ist von der Drogenfahndung Berlin zu uns gewechselt. Und mein Name ist Rüdiger Schneider, ich bin Psychologe. Wir sind hier um zu helfen und natürlich um den Tathergang zu ermitteln. „Es war Selbstmord!“, wirft Herr Herrlich schmollend ein. „Auch dann müssen wir ermitteln“, informiert Herr Schneider gelassen und dann machen sich die beiden an die Arbeit.

      Man merkt, dass sie Erfahrung haben. Frau Baierl zeigt sich von ihrer mütterlichen Seite und ordnet mit energischer Hand das Chaos. Sie wird dabei von dem kleinen Psychologen unterstützt. Beide machen einen ruhigen und souveränen Eindruck. Die Mehrzahl der Schüler hat sich wieder gefasst. Man steht in Gruppen herum und diskutiert wild. Carlas beste Freundin allerdings ist zusammengebrochen und schluchzt hysterisch. Sie bekommt etwas Beruhigendes und Marlene eine Klassenkameradin nimmt sie tröstend in den Arm. Als alle auf die Anweisung von Frau Baierl hin Platz genommen haben und einigermaßen Ruhe eingekehrt ist, wendet sich der Psychologe an unseren Rektor und fragt: „Würden sie uns bitte berichten, was sich hier zugetragen hat?“ Herr Herrlich berichtet ausführlich. Herr Schneider hört aufmerksam zu und nickt hin und wieder.

      Dann wendet er sich an die Klasse: „Wir brauchen möglichst viel Information über den Tathergang und über Fräulein Faber. Wir werden jeden von euch einzeln vernehmen müssen. In der Zwischenzeit werden wir eure Eltern verständigen, damit sie euch später abholen.“ Zu Herrn Herrlich gewandt fährt er fort: „Die jungen Leute brauchen etwas Stärkendes, etwas Heißes zu trinken wäre gut. Tee, wenn es nichts ausmacht. Können Sie das organisieren?“ Der angesprochene nickt. Der kleine Mann blickt vollkommen unbeeindruckt von dessen Größe zu unserem Rektor hoch, tätschelt ihm beruhigend den Arm und fährt fort: „ Wenn Sie dann mit ihren Kollegen warten würden, bis wir mit den Schülern fertig sind, wäre das fein.“ An die Kommissarin gerichtet fährt er fort: „Martha, wir brauchen einen Sozialarbeiter oder Seelsorger, wir schaffen das alleine nicht.“ Martha reagiert schnell und zückt ihr Handy. Das angeforderte Team leistet ganze Arbeit. In der nächsten Stunde wird Tee ausgeschenkt, getröstet, beruhigt und natürlich ermittelt. Ich selbst stehe einfach nur rum und beobachte das Treiben. Seltsam unbeteiligt fühle ich mich. Sollte ich mir jetzt Vorwürfe machen? Hätte ich anders reagieren sollen? War ich zu schnell, zu forsch? Ach ich weiß es einfach nicht.

      Die Ermittlungen laufen zügig. Zwei Stunden später sind alle verhört worden und haben das Schulhaus verlassen. Der Unterricht für den nächsten Tag ist abgesagt. Ich sitze apathisch im Lehrerzimmer und grüble vor einer kalten Tasse Kaffee immer noch vor mich hin. Immer wieder lasse ich das Erlebte vor meinen inneren Augen Revue passieren. Beginnend von da an, als ich im Lehrerzimmer sitze und mich eine laute Stimme aus meinem Morgendämmer reißt. „Frau Ansorge, bitte kommen Sie unverzüglich in den Klassenraum 28!“, röhrt es über den Lautsprecher der Schule. Das reißt mich fast vom Stuhl. Wütend schimpfe ich: „Mein Gott, wie das scheppert!” Morgens bin ich ja immer noch nicht ganz fit. Da muss ich mich immer erst mal sortieren.

      Also, Frau Ansorge, das bin schon mal ich. Ich resümiere, Eva Ansorge, Lehrerin für Englisch und Sport, Alter: 40 plus, klein und drahtig, Augenfarbe grün, Sternzeichen, Wassermann, besondere Kennzeichen: Sommersprossen und ein roter lockiger Haarschopf mit Eigenleben. Im Moment im Lehrerzimmer sitzend. Eigentlich sollte ich hier Unterricht vorbereiten. Aber in Wirklichkeit sitze ich hier quasi zur Selbstfindung, die bei mir morgens immer etwas länger dauert.

      „Zimmer 28, wo ist Zimmer 28? Verflixt noch mal, woher soll ich wissen, wo Zimmer 28 ist!“, beschwere ich mich. Mein Orientierungssinn ist zwar großartig, aber einen Klasseraum an der Zimmernummer erkennen, das ist zu viel für mich, ich habe mir noch nie Zahlen merken können. „Sag doch einfach welche Klasse du meinst!“, schimpfe ich. Also erhebe ich mich und schau mal auf dem Lageplan der Klassenzimmer nach. Zimmer 28 ist die 10 b, da müsste ich eh gleich hin. Das passt ja prima. Ob die Klasse etwas angestellt hat? Sie neigt etwas zum Drama, die 10b.

      Ich werfe noch einen zweiten Blick auf die Stundentafel. Mathematik, steht da. Der Meinrad, unterrichtet die Klasse also jetzt. Das könnte gut sein, dass es jemandem schlecht geworden ist, sinniere ich. Der Mann kann nämlich die vielfältigsten Symptome in Menschen hervorrufen. Angefangen von A wie Angstschweiß über Ü, wie Übelkeit, bis hin zu Z wie Zerebrallähmung.

      Notrufe kommen aus dem Rektorat. Der Stimme nach ist der Chef die Quelle des ominösen Aufrufs und er klingt, wenn ich es mir so recht überlege, doch ziemlich nervös. Vielleicht ist es doch etwas Schlimmeres? Ich raffe mich widerwillig auf und sprinte los. Im Eiltempo, na ja halt so schnell wie ich kann, haste ich die große Freitreppe empor. Unterwegs ramme ich wie einer von diesen bulligen Baseballspielern ein paar Leutchen um, die gerade zum Stundenwechsel die breite Treppe herunterscharwenzeln. Ich reiße die Türe auf und dann sehe ich nur noch ein Bild in Großformat. Es ist der Moment, in dem Carla loslässt. Mir wird akut schlecht und ich renne aufs Klo.

      Hier stöbert mich später Frau Übel, unsere Sekretärin auf. „Komm schon Eva, du bist dran. “ Sie klemmt mich unter ihren Arm und bringt mich ins Elternsprechzimmer, das jetzt als Verhörraum dient. „Ach Sigrid, du bist immer so gut zu mir“, seufze ich, als sie mich noch einmal anguckt, ob ich auch präsentabel bin. Dann streicht sie mir die widerspenstige Haarlocke aus der Stirn und sagt: „So geht`s.“ Sie ist einfach die menschlichste Person an unserer Schule, obwohl sie so übel heißt.

      Der Psychologe und die Kripobeamtin sitzen bereits im Lehrerzimmer. Die beiden scheinen sich hier eindeutig nicht wohl zu fühlen. „Es rieschd hier so nach Schule!“, sächselt die ältere Beamtin spontan und rümpft missbilligend die Nase.

      Ihre blonden Haare zu einem Dutt hochgesteckt, mustert sie die Umgebung und sieht dabei aber recht adrett aus in ihrem Polizeioutfit. Ihr Vorbau sprengt beinahe die Uniform. „Nett, Sie kommt ja aus dem Osten!“, registriere ich erfreut. Ich mag nämlich Dialekte. Deshalb hat sie vorhin so schönes Hochdeutsch gesprochen. Ihr Vorsatz scheint nicht lange zu halten. Ich folge ihren Blicken und nehme den Raum mit ihren Augen wahr. Es stimmt, es riecht nicht nur so, es sieht auch so aus. Die dunklen Schränke und die altmodischen Stühle wirken erdrückend. Alles ist irgendwie staubig. Ich erkläre der Dame: „Die Inneneinrichtung des Raums stammt teilweise noch aus dem vorletzten Jahrhundert. Dafür ist unsere Bildungssystem aber so was von modern!“ Die Kriminalbeamtin mustert die abgewetzten, mit grünem Samtstoff bezogenen Stühle. Sie stehen um einen großen Tisch herum, auf dem es vor Heften, Ordnern und Blätterstapeln nur so wimmelt. Die Frau von der Polizei stellt trocken fest: „Hier könnte einer wenigstens mal aufräumen, wenn Sie schon in so altem Mobiliar hausen müssen.“

      Die

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