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einiger Zeit, als alles ruhig geworden war, begann die Kraan-Frau leise in ihrer Heimatsprache zu singen. Teri verstand zwar die Worte nicht, wohl aber den Sinn des Liedes: Von sonnendurchglühten Steppen sang die alte Frau, von einsamen Dörfern im steinigen Vorgebirge, von Herden auf der Suche nach Wasser und Gras, von der Hochzeit eines Königspaares und von einem großen Fest zu Ehren der Götter. Es war ein ruhiges, ein beruhigendes Lied. Teris Phantasie fügte den Bildern die es besang ein weiteres hinzu: ein Erdhörnchen, das friedlich in seinem Bau schläft. Langsam trug die fremdartige Melodie sie weiter in den Schlaf, und so bemerkte sie nicht den erstaunten Blick der Alten, die, mit den Lauten ihrer Sprache Traumbilder malend, weitersang, wobei ihre Augen zu lächeln begannen. - Diese Teri war ein besonderes Mädchen. Sie würde sich auf der Reise sehr um sie kümmern, nahm sich die Alte vor.

      Am nächsten Morgen war Fakun wieder einigermaßen bei Kräften. Blass zwar und sehr dünn, aber immerhin fest auf den Beinen. Erfreut gratulierten die Kraan ihm zu seiner Genesung und er bedankte sich immer wieder für die gute Pflege.

      "Was wirst du jetzt anfangen?", wollte Teri von ihm wissen, als er beim Frühstück neben ihr saß. Tana hatte sofort, als das Tor wieder geöffnet wurde, ein großes Brot besorgt und auf eine Decke neben die Feuerstelle gelegt. Ohne zu zögern griffen die Kraan erfreut zu. Auch Fakun kaute genießerisch auf einer Brotkruste herum, bis ihm Teris Frage den Appetit zu verderben schien.

      "Ich, ich weiß nicht", gab er zögernd zu. "Meine Gefährten haben mich hier als Todgeweihten zurückgelassen. Das dürft ihr ihnen nicht übelnehmen." Auch Tana und Gerit hörten interessiert zu. "Das ist bei unserem Volk so Sitte. Wir wandern sehr viel im Land umher. Wenn jemand stirbt, dann darf er die Gruppe nicht aufhalten. Sein Besitz wird verteilt und seine Familienbande erlöschen. Er selbst wird an geeigneter Stelle zurückgelassen."

      "Was ist eine geeignete Stelle?" Gerit beugte sich vor.

      "Ein Dach! Ein Dach gegen Regen und Sonne und Wind. Ein Dach aus Zweigen, aus Holz oder aus Stein. Das ist alles, was ein Sterbender braucht", erklärte Fakun bereitwillig.

      "Und wenn jemand nicht stirbt, so wie du?"

      Fakun lachte kurz auf, aber es klang ein Unterton von Bitterkeit mit. "Ihr kennt mein Land nicht. Die Steppen hinter Kaji sind kein Ort, wo ein Verlassener überlebt. Nie ist ein Todgeweihter aus den endlosen Weiten zurückgekehrt. Nur die Stimmen der Geister schweben in sternklaren Nächten über der Steppe."

      Teri spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. - Nicht nur des grausamen Rituals wegen, das Fakun gerade beschrieben hatte, sondern auch der Art wegen, wie er es tat. In seiner nachdenklichen Art hatte er der nüchternen, thedranischen Sprache eine Kraft und Bildhaftigkeit verliehen, wie Teri es noch nie erlebt hatte.

      Auch Tana zeigte sich beeindruckt. "Wo hast du unsere Sprache so gut gelernt?"

      "Es gibt thedranische Kaufleute in Kaji", antwortete Fakun. "Ich war Gehilfe dort."

      "Dann kannst du doch zurückkehren", stellte Gerit fest. "Bestimmt geben dir die Thedraner deinen alten Posten zurück."

      "Ihr irrt Euch, Herr Gerit." Fakun wurde, wenn möglich noch blasser als er ohnehin schon war. "`Kein Toter kehrt zurück', heißt es bei meinem Volk. - Mein Besitz ist verteilt, mein Zelt verbrannt, meine Frau einem Anderen gegeben ..."

      "Deine Frau?" Für Tana sah Fakun fast noch wie ein Kind aus. Sie schaute ihn ungläubig an.

      "Ja", bestätigte Fakun schlicht. "Alles was ich besaß ist nicht mehr mein. Kein Toter kehrt je zurück, das ist das Gesetz. Würde ich es wagen, dieses Gesetz brechen zu wollen, meine eigenen Brüder würden dafür sorgen, dass ich es doch nicht könnte."

      "Du meinst - sie würden ..."

      "Sie würden mich an der Stadtgrenze erschlagen und verscharren", bestätigte Fakun Tanas Verdacht.

      "Was willst du denn jetzt machen?" Teris Frage war immer noch nicht beantwortet worden.

      "Ich weiß es noch nicht. Die Kraan haben es schon durchblicken lassen, dass sie keine Verwendung für mich haben. Sie haben selbst nicht genug Geld und werden einen Teil der Passage abarbeiten müssen. Ich denke, ich werde versuchen, mich im Hafen nützlich zu machen. Vielleicht kann ich mir mein Essen verdienen, bis ein Kapitän eines Tages einen Mann ohne Seeerfahrung gebrauchen kann. Wenigstens um ein Obdach brauche ich mir keine Sorgen zu machen, solange es das Fremdenhaus gibt."

      Fakun hatte recht. - Das war aber auch das einzig Erfreuliche an Thedras Fremdenhaus: die Übernachtungen waren umsonst.

       KAPITEL 6 - DIE KAO-LAD

       Auch wenn der Weg nicht das Ziel ist, so ist er doch der Weg.

      Klobig wie ein altersgrauer Holzschuh lag die `Kao-lad' an der Kaimauer des Schneckenhafens. "Ein Schneckenschiff, das seinen Namen sicher verdient", meinte Gerit, als sie mit ihren Bündeln bepackt den Liegeplatz erreichten.

      Insgeheim gab Teri ihm recht. Als Kind einer Hafenstadt hatte sie schon Tausende von Schiffen aller Art gesehen. Dieser alte Frachter mit seinen kurzen Masten und den kleinen Segeln würde starken Wind brauchen, um überhaupt von der Stelle zu kommen. Betrübt schaute sie zu dem hohen Felsenriff hinüber, das den Schwalbenhafen und die Werft der fliegenden Schiffe vollständig von der Stadt abtrennte. - Wie schön wäre es gewesen, hätten sie mit einem Schiff der Edelsteinklasse reisen können. - Aber das war natürlich völlig unmöglich. Erstens gehörten sie nicht zur Sturmflottenschar und durften die Schiffe noch nicht einmal aus der Nähe sehen, und zweitens hättenTanas und Gerits Ersparnisse aus vielen Jahren Arbeit noch nicht einmal ausgereicht, auch nur ihr Gepäck nach Isco, der Kaiserstadt des Kontinents, bringen zu lassen. So waren Tana und Gerit gezwungen gewesen, ein langsameres und billigeres Transportmittel zu wählen.

      Teri spürte, wie Ärger in ihr aufkam. Dreißig Tage würde die `Kao-lad' etwa brauchen, bis sie die Kaiserstadt erreichte - das Zehnfache der Zeit, die ein Schwalbenschiff benötigte.

      Eigentlich hatte Teri sich auf die Reise gefreut, aber jetzt schlich sie mürrisch und lustlos an Bord.

      "Was ist mit dir? Hast du jetzt schon Heimweh?"

      Teri beantwortete Gerits Frage nur mit einem unbestimmten Laut, der alles und nichts bedeuten konnte.

      Tana hatte mit dem Kapitän vereinbart, dass für die Familie auf dem Vorschiff ein kleines Rechteck aus geöltem Tuch gebaut würde. Teri fand diesen Schutz reichlich überflüssig. Wind und Regen hatten ihr noch nie viel ausgemacht. Achtlos warf sie ihr Bündel in das winzige, mit Stroh ausgepolsterte Zelt und überließ Tana das Einrichten.

      Gerit war inzwischen auf das Achterdeck gegangen und unterhielt sich mit dem Kapitän. Teri sah, wie er dem Mann etliche Münzen übergab. Unwillkürlich tastete sie nach dem flachen Lederbeutel, den sie unter ihrer Kleidung auf der Hüfte trug. Acht Bronzestücke waren darin und nochmals der Wert von zwei Bronzestücken in Kupfer- und Zinnmünzen. - Ein Vermögen! Teri schaute sich weiter um.

      Oft schon war Teri auf Schiffen gewesen, die im Hafen lagen. Die grauen Planken, das ordentlich zusammengelegte Tauwerk, die wettergebleichten Segel aus grobem Tuch, das alles war ihr ein wohlvertrauter Anblick. Auch die Matrosen aus allen Ländern des Kontinents waren nichts Besonderes für sie. - Trotzdem war diesmal etwas anders: Noch nie war ihr ein Schiff so fremdartig und beängstigend vorgekommen, wie die Kao-lad. Die Matrosen, obwohl großenteils Einheimische, sahen so groß und roh aus. Selbst das Hafenwasser, Freund und Spielgefährte aller thedranischen Kinder, wirkte dunkel und bedrohlich. Die Kaimauer, die jetzt bei Ebbe hoch über das Deck der Seidenprinzessin aufragte, kam ihr seltsam vertraut und verlockend vor, und die Hafenausfahrt, dieser Felsdurchbruch am anderen Ende des Hafenbeckens, erschien ihr wie das Tor in eine fremde, feindselige Welt.

      Teri erschauerte. Sie würde den Hafen verlassen. Sie würde Thedra an Bord dieses grauen, alten Frachters verlassen und jahrelang nicht zurückkommen. Sie hatte ihr Zuhause bereits verloren und war nun gerade dabei, auch noch den Rest aufzugeben.

      Teri hatte Angst. Es war ungerecht von den Erwachsenen, sie in diese

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