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STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr
Читать онлайн.Название STURM ÜBER THEDRA
Год выпуска 0
isbn 9783847641407
Автор произведения Michael Stuhr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Entmutigt sah Tees zu der langen Reihe dunkel schimmernder, tiganischer, Gefäße hinüber, die die Zünfte zu Versuchszwecken gekauft hatten. "So kommen wir nicht weiter, Raban", sprach er den Obmann der Brenner an. "wir verderben nur gutes Material und haben keine Erfolge."
"Die anderen Zünfte lachen schon über uns, weil wir uns den Rang ablaufen lassen", stimmte Raban in das Klagelied ein. "Wir müssen einfach einen Weg finden, wie auch wir mehrfarbig schillernde Teile herstellen können."
"Das Geheimnis liegt im Brand", behauptete Tees. "Der besondere Brand macht die Teile so hart und glatt, dass sie schimmern."
"Dummes Zeug!", fuhr Raban auf. "Die Former behandeln die Teile vor dem Brennen mit besonderen Mitteln. Ihr müßt herausfinden, was für Mittel das sind!"
Tees seufzte tief auf. Schon seit Monaten schwelte dieser Streit zwischen den beiden Männern. Sämtliche Versuche, die Tees unternommen hatte, waren jämmerlich fehlgeschlagen. Was hatte er nicht alles versucht, seinen Stücken diese Farben und diesen Glanz zu verleihen: Mit Wein hatte er sie bestrichen und mit Milch, den Ton mit Asche vermengt und mit Honig. Jedes nur denkbare Mittel hatte er ausprobiert, nichts unversucht gelassen - einschließlich wilder Stoßgebete an die zuständigen Götter und ihre Verwandten. - Nichts hatte geholfen. Die Werkstücke waren schon auf der Drehscheibe zusammengesunken oder beim Brand förmlich explodiert, sie waren unansehnlich geworden, mit rauher Oberfläche, oder sofort gesprungen, wenn sie belastet wurden. Tees hatte wirklich alles versucht. Das Geheimnis mußte im Brand liegen.
Raag, dem Brenner, war es nicht besser ergangen: Er hatte die Versuchsstücke dem Rauch der verschiedensten Hölzer ausgesetzt, hatte teure Gewürze in das Feuer geworfen und manche Teile tagelang im Ofen gelassen. Bei dem Versuch, allergrößte Hitze zu erzeugen, hatte er sogar einen der Öfen der Zunft so ausgeglüht, dass der massive Fels sich mit einem berstenden Geräusch gespalten hatte. Da hatte Raban es aufgegeben und sich aufs Jammern verlegt, und Tees war dabei, es ihm gleichzutun.
Immer mehr gewürzter Wein floß die Kehlen der beiden Männer hinab, bis Tees wieder einmal das erlösende Wort sprach: "Die Schachtmeister sind schuld!"
"Genau!", pflichtete Raban bei. "Die Schachtmeister! - Wenn die uns besseren Ton liefern würden ..." Er nahm einen großen Schluck Wein und bekam einen heftigen Hustenanfall.
"Genau!", nahm Tees den Faden wieder auf. "Dann könnten wir auch ordentlich arbeiten."
"Genau!" Raban hatte seinen Husten unter Kontrolle bekommen und keuchte nur noch.
Wer nicht da ist, der hat unrecht! So waren die beiden Obleute bald der einhelligen Meinung, dass die Schuld einzig und allein bei den Schachtmeistern läge, die nicht in der Lage seien, anständiges Material herbeizuschaffen. Dass sie diese Weisheit schon an etlichen Abenden zuvor entwickelt hatten, und dass ihre Gespräche in den immer gleichen Bahnen verliefen, fiel ihnen überhaupt nicht auf.
Als die beiden sich müde geredet hatten und erschöpft und schläfrig auf ihren Bänken saßen, bemerkte Tees eine Bewegung im Eingang. "Tana?", fragte er erstaunt, als er die junge Frau erkannte, die zögernd eintrat. "Was tust du hier im Brennerfelsen? Warum bist du nicht bei der Arbeit?"
"Wir - wir wollen mit euch reden." Tana trat unsicher in den Lichtschein. Nun war hinter ihr eine weitere Gestalt zu erkennen. "Gerit!", stellte Raban mit schwerer Zunge fest.
Gerit, ein unscheinbarer Mann aus der Zunft der Brenner, trat neben Tana und grüßte höflich.
"Dürfen wir uns zu euch setzen?" Die Besucher waren an den Tisch getreten.
"Setzt euch nur", forderte Raban, der Hausherr, die beiden leutselig auf. "Nehmt euch Wein."
"Genau!", pflichtete Tees ihm bei und griff selbst nach dem Krug. Auch Gerit schenkte sich ein und trank mit durstigen Zügen.
"Wir wollten euch einen Vorschlag machen." Abwesend nahm sich auch Tana einen Becher und goß sich etwas ein. "Es geht um die neuen Techniken der Tiganer." Sie zeigte mit der freien Hand auf die im Raum herumstehenden Musterstücke, die im Feuerschein des Brennofens vielfarbig glänzten.
"Ach!" Tees winkte ab. "Was wollt ihr da bereden? Wir haben alles versucht und nichts erreicht. Es liegt am Material."
"Genau." brummelte Raban. "Die Tiganer haben besseren Ton."
"Genau." Tees nickte trübsinnig. "Besseren Ton haben sie. - Wenn nur Geron da wäre. Ein guter Zauber über unseren Ton gesprochen ..."
"Genau!" Raban war ganz der Meinung seines Kollegen. Dann verfielen beide Zunftmeister wieder in dumpfes Schweigen.
"Jetzt hört uns doch wenigstens an." Tana war es offensichtlich leid, sich das wehleidige Gestammel der beiden Betrunkenen anzuhören. "Bis Geron zurückkommt können Jahre vergehen. Er ist ein alter Mann. Wer weiß, ob das verbotene Haus jemals wieder bewohnt sein wird? - Wir haben eine bessere Lösung für unser Problem."
"Genau!", stimmte ihr Gerit mit dem Weinbecher in der Hand zu und fing sich sofort einen heftigen Rippenstoß ein.
"Gerit und ich haben einen Plan, wie wir den Geheimnissen der Tiganer auf die Spur kommen können."
Gerit holte Luft, um Tanas Worte zu bestätigen, sagte dann aber doch nichts. Kopfschüttelnd nahm er noch ein wenig Wein.
Da keiner der Obleute reagierte, fuhr Tana in ihren Ausführungen fort: Gerit und ich haben die Absicht, nach Tigan zu reisen und dort zu versuchen, die Arbeitsweise der Tiganer auszuforschen. Man wird uns in die Stadt lassen, soviel haben wir bereits erfahren können. - Die Former und Brenner arbeiten alle außerhalb der Stadtmauern.
Wir werden uns als Kaufmannsfamilie ausgeben, die auf der Durchreise ist. Einen Kapitän, der unser Spiel mitspielt, hat Gerit auch schon gefunden. Es ist ein Löwenbootmann, der schon oft in Tigan vor Anker lag. Er wird einen Schaden vortäuschen und wenigstens fünfzehn Tage im Hafen bleiben. In dieser Zeit können wir uns in aller Ruhe umsehen. In vierzig Tagen sollen wir ihn in der Kaiserstadt treffen." Erschöpft hielt Tana inne und sah ihren Gefährten hilfesuchend an.
Gerit schwieg verlegen. Es war ihm deutlich anzumerken, dass ihm die Sache doch nicht ganz geheuer war. Lieber nahm er noch einen großen Schluck aus seinem Becher.
"Und was haben wir damit zu tun?" Raban wirkte verärgert. "Meint ihr, wir hätten nicht selbst schon lange ..."
"Euch gehört das Geheimnis der farbigen Glasuren. Bezahlt uns die Passage und wir werden versuchen ..."
"Aha!" Raban richtete sich auf seinem Platz auf. "Geld wollt ihr! Das habe ich mir doch gleich gedacht. - Und was ist, wenn ihr mit leeren Händen zurückkehrt?"
"Genau! Pläne machen ist billig - bezahlen ist teuer!", flocht Tees schnell ein thedranisches Sprichwort ein.
"Nein! Daraus wird nichts! Für solch unsichere Pläne geben die Zünfte kein Geld. Die Tiganer werden euch erkennen und gefangennehmen, und es wird so enden, dass sie euch die thedranischen Geheimnisse abpressen. Geht jetzt wieder an eure Arbeit und mischt euch nicht in unsere Belange."
"Genau", brabbelte Tees, wobei er den Kopf leicht anhob, der vor seiner Brust baumelte.
"Wir werden fahren!" Tana war aufgestanden und sprach laut und schnell. Wir werden auf eigene Kosten reisen. Gerit und ich werden das Rätsel um die bunten Glasuren lösen! Haltet eure Kassen gefüllt, Zunftmeister - denn bei unserer Rückkehr gibt es unser Wissen nicht umsonst!"
Wieder hob Tees seinen Kopf an und schielte von unten in Tanas Richtung. "Ihr seid den Zünften verantwortlich, ihr könnt nicht nach Belieben reisen."
Raban stand mühsam auf. "Genau!"
"Ihr habt es nicht anders gewollt! - Ich sage mich los von Zunft und Stadt!", sprach Tana die Formel und war damit ab sofort nicht mehr den Weisungen ihres Obmanns unterworfen.
"Isch ssage misch los von Ssunft und Sdatt! Genau!" - Breitbeinig hatte Gerit sich neben Tana aufgebaut. Auch er war nun frei in all seinen Entscheidungen.