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und zur Verdeutlichung ihrer Worte, hatte sie ihn, mithilfe seines Schulterranzens, an einem der Gartenpfosten neben dem Eingangsportal des Schulgebäudes aufgehängt.

      „Meine Güte“, lachte Marie-Claire unvermittelt auf, „dem hast du es damals aber gegeben, noch heute sehe ich ihn am Gartenpfosten hängen und zappeln!“

      Jetzt musste auch Ella lachen, „ja, ja,, entgegnete sie, „der kleine Carl war äußerst widerborstig, er spuckte und trat, doch als er dann so hilflos an dem Pfosten hing, ging ihm sein kleines Hinterchen auf Grundeis.“

      „Hast du ihn später befreit?“

      „Nein“, grinste sie in Erinnerung, „ich hatte eine Vereinbarung mit dem Pedell getroffen, denn auch er hatte noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen, er ließ ihn so lange hängen bis er Besserung gelobte. Naja, jedenfalls hatte er dich danach in Ruhe gelassen.“

      „Hm, ich hoffe doch nicht, dass du mit Eugen genauso verfährst“, witzelte Marie-Claire.

      Ihre Mutter sah sie mit ernster Miene an und sagte: „Bei ihm würde mir mit Sicherheit etwas Besseres einfallen, glaub mir“, und somit war der anfängliche Galgenhumor so schnell entschwunden wie er gekommen war.

      Während Marie-Claire ihre Brote aß, beobachtete sie ihre Mutter die gedanklich mal wieder in ihrer Vergangenheit unterwegs war. Schon als Kind hatte sie darüber gerätselt was ihr da wohl durch den Kopf gehen mag.

      Zuerst saß sie ganz still und mit gesenktem Blick da, hin und wieder huschte ein Zucken über ihre Mundpartie, manchmal kam es aber auch vor, dass sie ihre Lippen fest zusammengepresst hielt und in dieser Position eine Zeit lang verharrte, danach schüttelte sie den Kopf, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte: „So genug der Grübelei!“

      Marie-Claire schrak zusammen und fragte: „Warum machst du das? Was spukt dir dann im Kopf herum?“

      Entsetzt sah sie ihre Tochter an. „In meinem ganzen Leben habe ich niemandem Rechenschaft ablegen müssen und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen“, gab sie barsch zurück. „Wann sagtest du starten wir unsere geheime Mission?“, wechselte Ella geschickt das Thema.

      „Jaaa, ist ja schon gut. Gegen sieben, ich denke das ist eine gute Zeit.“ Als sie abrupt aufstehen wollte, wurde sie erneut von ihren Hämatomen im Hüftbereich abgebremst, „autsch“, kam es schmerzverzerrt über ihre Lippen.

      Sofort eilte Ella zum Kühlschrank, nahm aus dem Tiefkühlfach ein Kühlbeutel hervor und befahl: „So, und damit gehst du nun zu Bett und kühlst deine Blessuren. Ich bringe dir gleich noch ein Schmerzmittel.“

      Marie-Claire gehorchte dieses Mal gerne. Ein wenig später stand ihre Mutter mit zwei Schmerztabletten und einem Glas Wasser an ihrem Bett. „Hier mein Kind, danach wird es dir besser gehen“, sagte sie, anschließend strich sie zärtlich über ihre Wange und sagte: „du hast etwas Besseres verdient als diesen Schläger. Versprich mir, dass du nie mehr zu ihm zurückkehren wirst“, anschließend beugte sie sich über ihre Tochter und küsste sie auf die Stirn.

      Plötzlich hatte Marie-Claire Tränen in den Augen, denn tröstende Worte von ihrer Mutter zu hören hatten Seltenheitswert. „Ich verspreche es“, antwortete sie „großes Indianerehrenwort“, wobei sie drei Finger auf ihr Herz legte und ihr dankend zulächelte.

      „Gute Nacht mein Kind, schlaf gut.“

      „Danke für alles. Gute Nacht“, entgegnete sie.

      Nachdem Marie-Claire alleine war, zog sie das Plumeau über ihren Kopf und weinte, ob es nun die mitfühlenden Worte ihrer Mutter waren, oder ob es vor Selbstmitleid war, das vermochte sie in diesem Augenblick nicht zu deuten – ihr war nach Weinen und es tat ihr gut.

      In den frühen Morgenstunden wachte sie mit einem Zittern am ganzen Körper auf, ihr Unterbewusstsein drangsalierte sie ununterbrochen mit Falschmeldungen. Immer wieder sagte etwas in ihr: Du musst zu Eugen zurück. Er hat das nicht so gemeint! Er braucht dich! Er liebt dich doch! Wenn sie ihn verlassen würde, so würde das ein schlechtes Licht auf ihn, als Lehrer und Vorbild in der Schule werfen – jedenfalls hatte er ihr das immer eingetrichtert. Und als krönenden Abschluss sieht sie wie er weinend vor ihr kniet, sie mit seinem treuen Dackelblick ansieht und seine Entschuldigungen wie Liebesbekundungen aufsagt.

      „Nein, nein Eugen nie mehr wirst du mir das antun!“, brach es laut aus ihr heraus, zeitgleich öffnete sie ihre Augen, um dem manipulierenden Bilderstrom in ihrem Kopf ein Ende zu setzen. „Lieber Gott“, flehte sie, „bitte gib mir die Kraft ihn zu verlassen.“ Kaum ausgesprochen ertönten laut und markdurchdringend die Kirchenglocken, sicherlich eine Ermahnung Gottes, schoss es ihr durch den Kopf, denn dass ausgerechnet sie den Herrgott um Hilfe bat, wo ihre Ehe noch nicht einmal mit seinem Segen geschlossen wurde, grenzte schon an Blasphemie.

      Kapitel 2

       Himmelfahrtskommando

      Am nächsten Morgen war es soweit, ihre geheime Mission konnte starten! Zuvor noch rasch die Anrufliste ihres iPhones checken – und oh Schreck, wie befürchtet kletterten Eugens Anrufe wie an einer Leiter empor. Seit ihrer Flucht aus der ehelichen Wohnung hatte er fast stündlich versucht sie anzurufen, und allesamt waren es Hilferufe eines feigen Psychopathen. Tja, dachte sie, um zu ihr zu kommen müsste er erst einmal an Ella vorbei, und dazu fehlte ihm schlichtweg der Mumm. Ratzfatz hatte sie allesamt gelöscht, anschließend steckte sie das Ding, ganz nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn, in die Nachttischkonsole. Wieder ein Schritt in die richtige Richtung. Und bevor ihr Mut sie wieder verlassen würde spurtete Marie-Claire die Treppe hinunter, sicherlich würde ihre Mutter schon in der Küche stehen und auf sie warten – Fehlanzeige! Sie wird dich doch jetzt nicht im Stich lassen?, bibberte sie. Hoffentlich war sie nicht krank? Aber da hörte sie schon schwergewichtige Schritte im Flur. War das ihre Mutter?

      Im nächsten Moment wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen. Kampfbereit und breitbeinig wie ein Mann stand Ella auf der Türschwelle. Beim Anblick fiel Marie-Claire die Kinnlade runter. Die Füße ihrer Mutter steckten in schwarzen Springerstiefeln und ihr Körper press in einem Overall im Military-Look, um ihre Taille war ein breiter Arbeitsgürtel so eng geschnürt, dass ihr übergroßer Busen bei jedem Atemzug ins Beben geriet – dem nicht genug, am Gürtel waren Hammer, Zange sowie ein Seil befestigt. Großer Gott! Was hatte sie vor?, schoss es ihr durch den Kopf, wobei ihr urplötzlich der kleine freche Carl aus ihrer Schulklasse wieder in den Sinn kam, ihn hatte Ella damals für seine Frechheiten kurzerhand an seinem Schulterranzen am Gartenpfosten vor ihrer Schule aufgehängt. Auch Ellas blutrotgeschminkter Mund signalisierte Aggression und ließ nichts Gutes ahnen, und ihre sonst so gepflegte Kurzhaar-Frisur stand gegelt zu Berge. Die Krönung war jedoch ein rotes Stirnband mit der Aufschrift: fighting machine – ihr ganzes Erscheinungsbild wirkte alles in allem äußerst bedrohlich.

      „Ella!“, entsetzte sich Marie-Claire, „wir ziehen nicht in den Krieg, sondern gehen lediglich meine Klamotten holen!“

      „Das Leben hat mich gelehrt, dass man bei solchen Männern mit allem rechnen muss“, wobei sie ihrer Tochter ein Pfefferspray in die Hand drückte und sagte: „hier, für alle Fälle.“

      Marie-Claire fühlte sich von Ellas Kampfbereitschaft völlig überrumpelt, sprachlos und mit offenem Mund stierte sie die Spray-Dose in ihrer Hand an.

      „Na, auf was wartest du noch? Komm schon, bevor ich es mir wieder anders überlege“, anschließend wandte sie ihrer Tochter den Rücken zu und marschierte los.

      „Wo zum Teufel hast du diese Kampfkleidung überhaupt her?“, rief sie ihrer Mutter nach wobei sie Mühe hatte mit ihr Schritt zu halten.

      „Ah … Flohmarkt“, gab sie im militärischen Ton eines Feldwebels zurück.

      Manchmal kam Marie-Claire der Gedanke, dass sie als Kind adoptiert worden sei, denn sie hatte so gar keine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Im Gegenteil zu ihr, war sie von schlanker Natur, zurückhaltend bis scheu, nur Bilder aus Ellas Jugendzeit deuteten auf

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