Скачать книгу

Schlafzimmer verteilt lagen, sieht wie Ella mit dem Hammer die Scheinwerfer seines neuen Sportflitzers zerschlägt und wie er fassungslos davor kniet, doch dann, wie von Teufelshand gelenkt, schlossen sich andere Bilder an, Bilder aus glücklichen Tagen mit Eugen. Mit schmerzendem Herzen wälzt sie sich von einer Seite zur anderen. Jetzt nur keine alten Gefühle durchs Hintertürchen lassen, ermahnte sie sich selbst – doch keine Chance, das komplette Bildmaterial hing in einer Endlosschleife fest. Verärgert sprang sie schließlich aus dem Bett, schlüpfte in ihren Morgenmantel und schlich hinunter in die Küche, um ihr Aufgewühlt-Sein mit heißer Milch und Honig zu besänftigen. Auf künstliches Licht konnte sie verzichten, denn der Vollmond leuchtete durch Tür- und Fenstergläser, ansonsten spendeten Uhren von Mikrowelle und Elektroherd genug Helligkeit um sich zurechtzufinden. Ein wenig später stand sie mit dem wohltuenden Heißgetränk am Küchenfenster. Chef schien auf Beutefang zu sein, unbeweglich, mit gespitzten Ohren und aufrechtstehendem Schwanz, stand er mitten auf dem Gartenweg, wobei sein Schatten überdimensional groß und furchteinflößend hinter ihm lag. Plötzlich schoss er aus dem Stand heraus ins Kräuterbeet. „Oha!“, stieß Marie-Claire erstaunt hervor und beäugte neugierig das Geschehen. Kurze Zeit später tauchte er mit seiner Beute im Maul wieder auf, mit erhobenem Kopf und voller Stolz marschierte er Richtung Hauseingang. Auweia, dachte Marie-Claire schmunzelnd, wahrscheinlich wird ihre Mutter dieses Geschenk mit einem Lächeln entgegennehmen und ihn dafür mit einer extra Portion feinstem Katzen-Ragout belohnen. Wie auch immer, sie gönnte Ella ihren neuen vierbeinigen Lebensabschnittsgefährten, der ihr ein Stück weit ihre Einsamkeit nahm. Mit einem kleinen bitteren Seufzer, das vielmehr ihrer eigenen Lebenssituation galt, ging sie wieder zu Bett, und als sie endlich den ersehnten Schlaf gefunden hatte, wurde sie von einem furchtbarer Traum aufgesucht:

       Eugen steht weinend vor ihrem Bett und während er sie anfleht zu ihm zurückzukommen, lässt er Rosenblätter auf sie fallen. Sie ringt nach Luft und will sich von den Blättern befreien, doch plötzlich entdeckt sie überall Blut. Ein zynisches Lachen dringt aus seiner Kehle, denn er hat die zerschlagenen Autoscheinwerfer seines Wagens unter die Rosenblätter gemischt. Mit Händen und Armen wild um-sich-schlagend schreit sie: „Geh weg, lass mich“, doch Eugen kennt kein Pardon, er demütigt sie und sagt ihr wie lebensunfähig sie ohne ihn sei. Zu allem Übel springt nun auch noch der Kater auf ihre Brust …

      Sie muss husten und ist wach, dabei stellt sie fest, dass es nur ein Traum war! Doch der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten. Chef saß wirklich auf ihrem Bett, mit seinen grünen Katzenaugen strahlt er sie an. „Wo ist deine Beute?“, entsetzte sich Marie-Claire, dabei entdeckte sie etwas das zuckend auf ihrer Brust lag, „igitt“, schrie sie angewidert auf, „mach, dass du rauskommst.“ Fassungslos und nur für den Bruchteil einer Sekunde, stierten beide einander an, dann schnappte der missverstandene Kater seine Beute und suchte das Weite. Mit einem Satz und sich vor Ekel schüttelnd, sprang auch sie aus dem Bett.

      Dem nicht genug stand plötzlich ihre Mutter mit dem Schürhaken auf der Türschwelle. „Komm her du Widerling?“, drohte sie, „wo hast du dich versteckt du feiger Frauenschläger du …?“

      „Ella! Was um Himmels willen machst du hier?“, entrüstete sich Marie-Claire. „Glaubst du nicht, dass du jetzt zu weit gehst? Das war doch nur dein Kater!“

      „Nichts ist unmöglich“, erwiderte Ella barsch, und bevor sie ging spähte sie trotzdem noch in jede Ecke.

      Für Marie-Claire war die Nacht beendet. Und bevor übellaunige Gedanken sich wieder einnisten konnten, beschloss sie die Zeit sinnvoll zu nutzen, und so war der Albtraum für sie gleichsam der Startschuss ihre räumliche Trennung von Eugen auch rechtlich anzugehen, dabei gab es so viele Dinge zu beachten, dass sie um eine To-Do-Liste nicht herum kam. Beim Listen-Aufbau dachte sie auch an Marc Haber – ihren Chef. Sie kannten und vertrauten sich bereits seit zehn Jahren, wobei ihre Beziehung immer rein beruflich war, nie gab es irgendwelche private Berührungspunkte, bis zum letzten Karneval vor einigen Wochen, ab da war alles anders. Sie lehnte sich zurück und ließ jene Zeit Revue passieren.

      Eugen war mit seinen Schülern auf einer Abschluss-Klassenfahrt zum Skilaufen in den Alpen. Am Abend zuvor waren sie noch zu einem Geburtstagsessen bei einem seiner ehemaligen Studienkollegen eingeladen. Es war eine kleine elitäre Gesellschaft die Genugtuung dabei fand, ihre Mitmenschen herablassend zu behandeln. Eugen mischte kräftig mit und mit steigendem Alkoholpegel hatte er sich auf sie – seine eigene Frau – eingeschossen. Es ging um ihr abgebrochenes Studium, ihre ach so anspruchsvolle Tätigkeit in der Buchhandlung und ihre Kinderlosigkeit. Mit wenigen, aber gezielten Worten hatte er es fertiggebracht sie zu einem hübschen Anhängsel zu degradieren. Noch heute fühlt sie die mitleidigen Blicke der Anwesenden und spürt wie sich ihr Magen dabei zusammenkrampft.

      Am nächsten Tag war Rosenmontag und die Buchhandlung hatte nur in den Vormittagsstunden geöffnet. Eine Kollegin äußerte zuvor die verrückte Idee, sich zu maskieren, dabei sollte jeder das Kostüm tragen, das der eigenen Lebenssituation entspräche, und da sie selbst frisch geschieden und auf Männerfang war, war es nicht verwunderlich, dass sie als männerverschlingender Vamp ankam: obenrum offenherzig, untenrum kaum mehr als eine Handbreit Rock überm Po, dazu Netzstrümpfe und Strapse. Marc Haber war in das Kostüm eines Clowns geschlüpft: er trug eine übergroße rotbraun-karierte Jacke, eine rote Schlapperhose, viel zu große Schuhe, dazu eine rot-gelockte Perücke mit einem grünen Hütchen, in seinem Gesicht, das hübsch traurig geschminkt war, leuchtete eine rote Nase, der Clou jedoch war die Sonnenblume an seinem Revers, und immer wenn er den traurigen Clown mimte, ließ sie ihr Köpfchen ebenfalls traurig hängen. Marie-Claire war nur widerwillig in ihr altes Bienenkostüm geschlüpft – ihr war weder nach Faschingstreiben noch nach irgendwelchen Albernheiten zumute. Schuld war Eugen, der es am Abend zuvor wieder einmal geschafft hatte ein Stück weit mehr ihr Selbstbewusstsein zu demontieren. Marc Haber und ihre Arbeitskollegin taten alles um sie aufzumuntern – doch nichts half, erst in der Nacht, als der Clown mit traurigem Gesicht und hängender Sonnenblume vor ihr stand, machte es bei ihr Klick und ihr Herz öffnete sich ihm. Das war der Moment wo Clown und Bienchen zusammenfanden.

      Seit dieser Zeit huschte das Bienchen, einmal wöchentlich und in der Mittagspause, zu einem Schäferstündchen in seine Wohnung. Er nannte sie liebevoll Bienchen und sie mein trauriger Clown – beide genossen ihre traute Zweisamkeit. Für Marie-Claire war diese kleine Amour fou ein Haltegriff um nicht in die Tristesse abzugleiten, wogegen sie bei Marc etwas unschlüssig war. Marc lebte seit seiner Scheidung alleine und sehr zurückgezogen. Als sie ihn einmal nach seiner Ex-Frau und nach dem Trennungsgrund gefragt hatte, hatte er nur enttäuscht mit den Achseln gezuckt. Danach hatte sie es unterlassen unliebsame Fragen zu stellen, und so profitierten beide voneinander. Jeder nahm sich seine Portion an Geborgenheit, Liebe und ungezwungenen Sex.

      Erste Sonnenstrahlen fielen auf ihre To-Do-Liste. Der neue Tag war erwacht und es drängte sie zu ihrem Clown, ihr war nach Wärme, Nähe und Geborgenheit. Und um dem langsam wiederkehrenden Schmerz im Hüftbereich entgegenzuwirken, schluckte sie vorsorglich nochmals zwei Schmerztabletten, anschließend schlüpfte sie in ihren Jogginganzug, schnappte sich Jacke und Turnschuhe und schlich dann auf Zehenspitzen durch den Flur. Vor dem Schlafzimmer ihrer Mutter stoppte sie, vorsichtig lauschte sie an der nur leicht angelehnten Tür, und nach ihrem lauten Luft-Schnapp-Schnarchen zu urteilen schien sie noch den Schlaf der Gerechten zu schlafen. Um sie nicht zu wecken huschte sie mit angehaltenem Atem die Treppe hinunter, wobei sie geschickt die knarzenden Stufen überging. Mit einem kaum hörbaren Klack fiel die Haustür hinter ihr in Schloss.

      Marc wohnte gleich über der Buchhandlung. Um Tratsch und Gerede in der Nachbarschaft zu vermeiden, parkte sie ihren Wagen in einer Seitenstraße. Während sie die Eingangstür aufschloss, betätigte sie gleichzeitig den Klingelknopf, denn keinesfalls wollte sie unangemeldet bei ihm erscheinen. Als sie die Treppe hochkam, streckte er bereits den Kopf durch den Türspalt und beäugte etwas skeptisch den allzu frühen Besuch.

      „Guten Morgen, Marc“, sagte sie, zeitgleich setzte sie ihre Kummer-Versteck-Brille ab. Das Veilchen um ihr Auge war mittlerweile vom dunkelblauen Violett ins schimmernde Gelbgrün gewechselt.

      „Oh, mein armes Bienchen!“, rief Marc erschrocken auf, „was ist denn mit dir geschehen!“, wobei eine Mischung aus Mitleid

Скачать книгу