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kramte aus ihrem grünen Arbeitsoverall ein Feuerzeug hervor und zündete das Papier an. Es dauerte nicht lange, da hatten sich die Flammen mit lautem Geknister durch das trockene Gestrüpp geschlängelt, und nur wenige Augenblicke später war alles verbrannt, was übrig blieb war eine helle Rauchwolke die durchs Geäst der alten Kastanie zum Himmel zog. Marie-Claire und ihre Mutter sahen dem Rauch solange nach, bis der Wind ihn verwirbelt hatte. Die restliche Asche würde sie gleich in die Erde einarbeiten, danach würde sie die Beete ausmessen, kleine Stöckchen in die Erde treiben und diese mit einer Richtschnur verbinden – nach ihr würde sich später die Bepflanzung richten. Und so geschah es! Meine Güte, wie vorhersehbar sie war! Ein Leben ohne ihren Garten wäre für sie undenkbar, hatte sie einmal gesagt, und so hatte sie sich, über all die Jahre, ihr eigenes kleines Paradies geschaffen. Eine grüne Oase in der eine Vielfalt von Insekten und Vögeln beheimatet waren. Am Rande der Idylle entdeckte sie schließlich den stillgelegten Ziehbrunnen, und wie eh und je lenkte obenauf eine Pflanzschale, die je nach Jahreszeit bepflanzt wurde, von seiner unnützen Existenz ab. Über den Winter duckten sich Stiefmütterchen schutzsuchend unter ein üppiges Heidekrautgewächs, im Frühling jubelten Narzissen den ersten Sonnenstrahlen entgegen, und im Sommer zierten gefüllte Miniröschen die Schale. Ihr Bruder Laurel hatte ihn, aus welchen Gründen auch immer, Mamas Mausoleum getauft. Bewusst sah sie nun zu dem Brunnen hin und heute wie damals hatte er etwas Geheimnisvolles, ja, wenn nicht sogar etwas Verwunschenes. Kurzum, es war der ideale Spielplatz für kleine Mädchen mit Hang zur Mystik. Damals hatte ihre Mutter ihr verboten dort zu spielen, das Gelände sei viel zu abschüssig und viel zu gefährlich. Und nach heutiger Betrachtung musste sie ihr zustimmen, denn nur wenige Schritte hinter dem Brunnen ging es steil den Abhang zum Fluss hinunter, und wenn sie jetzt bewusst lauschte, konnte sie das gleichmäßige Gurgeln des Wassers im Flussbett hören.

      Schließlich, nach stundenlanger Schufterei, stützte sich die mittlerweile Fünfundsiebzigjährige auf ihren Spaten, mit einem befreienden Seufzer und einem zustimmenden Kopfnicken deutete sie an, dass sie mit ihrem Tagewerk zufrieden sei.

      Während der ganzen Zeit hatte Marie-Claire auf der Gartenmauer gesessen und ihr dabei zugesehen, die Art und Weise, ja, mit welcher Gelassenheit und Perfektion sie das tat, war am heutigen Morgen – nach dieser für sie schrecklichen Nacht – Balsam für ihre geschundene Seele.

      Pünktlich mit dem zwölften Glockenschlag der Kirchturmuhr, sagte ihre Mutter: „Wir sollten etwas essen. Geh schon mal vor und dreh den Backofen auf zweihundert Grad. Ich pack den Krempel noch zusammen und komm dann nach.“

      Marie-Claire tat wie ihr befohlen und als sie die Küche betrat, musste sie, trotz all ihrem Elend, lächeln. Nein, ihrer Mutter konnte man wirklich nichts vormachen, sie wusste, dass sie sich wieder einmal ins Haus geschlichen hatte, denn im Ofen stand nicht nur ihr Lieblingsessen: ein Nudelauflauf mit besonders viel Parmesankäse, auch der Tisch war für zwei Personen eingedeckt. Wie geheißen hatte Marie-Claire den Ofen angedreht, und genau wie früher saß sie nun davor, um dem Auflauf beim Brutzeln zuzusehen, und während sie das tat, dachte sie darüber nach, wie sie ihrer Mutter am Geschicktesten ihre Situation erklären könnte.

       Das Mutter-Tochter-Verhältnis war von je her nicht ganz unproblematisch und nicht zuletzt deshalb, weil ihre Mutter ihr eigenes Leben an der Tochter zu korrigieren versuchte, sondern auch deshalb, weil sie gerne über alles die Kontrolle hatte. Das Resultat war vorhersehbar: gleich nach dem ersten Semester an der Uni hatte Marie-Claire das Literaturstudium gegen eine Buchhändler-Lehre eingetauscht, auch ihre Ehe mit Eugen war viel mehr eine Trotzreaktion auf die Ermahnung ihrer Mutter.

      Doch jetzt galt es Farbe zu bekennen, endlich zuzugeben, dass sie in allem recht hatte! Aber wie kapituliert man ohne dabei sein Gesicht zu verlieren? Zu weiteren Überlegungen kam sie nicht mehr, denn im nächsten Augenblick polterte ihre Mutter, im Kampf mit dem Stiefelauszieher, gegen die Terrassentür. Murrend, ohne ihre Tochter eines Blickes zu würdigen, betrat sie die Wohnküche. In ihren ausgetretenen Pantoffeln schlurfte sie an ihr vorüber, schielte zum Backofen und sagte: „Gleich fertig, ich spring noch rasch unter die Dusche, danach können wir …“, fügte sie sachlich an.

      Marie-Claire nickte und sie wusste, dass es für ihre Eheprobleme keine Ausflüchte mehr geben würde.

      Kurze Zeit später stand ihre Mutter raumfüllend in der Küche. Sie öffnete den Backofen, stach mehrmals mit einer Gabel in den dampfenden Auflauf, nickte zufrieden und bugsierte dann die heiß-duftende Köstlichkeit, mit den Worten: „Vorsicht heiß und fettig“, mitten auf den Küchentisch, anschließend schaufelte sie jedem eine Portion auf den Teller, wobei sie beim Verteilen nicht gerade pingelig war.

      Marie-Claire brachte keinen Bissen runter, ihre Kehle wurde von ihren Problemen dermaßen blockiert, dass sie nur in ihrem Essen herumstochern konnte. „Aufgewärmt schmeckt der Auflauf noch viel besser“, kommentierte sie schließlich ihre Appetitlosigkeit.

      Ohne den Blick von ihrem Teller zu heben, begann ihre Mutter schließlich mit der Inquisition: „Raus mit der Sprache, Marie-Claire, was ist los mit dir?“

      „Es ist aus!“, sagte sie wie auf Knopfdruck. „Meine Ehe ist am Ende!“

      Ihre Mutter unterbrach ihren Kauvorgang und sah sie mit großen Augen an – sagte aber nichts.

      „… aus und vorbei!“, schob Marie-Claire zur Verdeutlichung hinterher, und mit ihrer eigenen Aussage spürte sie eine kleine Erleichterung. Ja, es war vollbracht! Sie hatte den Auftakt zu ihrem persönlichen Drama ausgesprochen.

      Mit einem ungläubigen „Ach-Ja-Stöhnen“ legte ihre Mutter die Gabel zur Seite, anschließend nahm sie eine Serviette und tupfte sich in aller Gemütsruhe den Mund ab, doch just in dem Moment als sie ihren Kommentar abgeben wollte, sagte Marie-Claire laut und deutlich: „Es ist endgültig aus!“, wobei sie ihrer Mutter einen angriffslustigen Blick zuwarf.

      „Setz die alberne Brille ab“, forderte ihre Mutter sie sogleich auf, „ich will deine Augen sehen.“

      Marie-Claire gehorchte, wobei ihr bewusst war, dass weder Puder noch Abdeckstift das mittlerweile voll erblühte Veilchen abdecken konnten.

      „Oha“, stieß Ella hervor und presste vor Schreck die Hand auf den Mund. „Mein Gott, Kind“, seufzte sie kopfschüttelnd, „dieses Mal hat er es aber gehörig übertrieben!“

      Marie-Claire fühlte sich erneut gedemütigt und setzte sofort die Brille wieder auf.

      „Jedes Mal, wenn du dich in deinem Zimmer unter der Bettdecke verkrochen hast, war mir klar, dass das kein gutes Ende nehmen wird. Hab ich dir nicht immer gesagt …“

      „Jaaa und genau aus dem Grund werde ich ihn nun verlassen“, fiel sie ihr sogleich ins Wort, denn nur allzu gut kannte sie ihre ausschweifenden Belehrungen.

      Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Ella etwas ungläubig ihre Tochter, „ja, ja Kind, ich weiß“ seufzte sie mit einer abweisenden Handbewegung.

      „Glaub mir, dieses Mal ist es anders“, verteidigte sie sich, wobei sie demonstrativ und mit Nachdruck ihre Gabel so auf dem Teller ablegte, dass es kurz aufschepperte.

      „Ah, nenn mir einen einzigen Grund warum ich dir das gerade jetzt glauben soll?“

      Achselzuckend antwortete Marie-Claire: „Weil es so ist und weil, weil“, stotterte sie, „weil ich jetzt erst dazu bereit bin!“

      „Und nun? Wie soll’s weitergehen?“, fragte ihre Mutter stirnrunzelnd wobei sie ihre Tochter nun etwas genauer ins Visier nahm.

      „Naja, ich wollte dich fragen ob ich, also nur vorübergehend, so lange hierbleiben kann, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe.“

      „Alles Geldverschwendung“, antwortete Ella barsch, „das Haus ist groß genug für uns beide und soweit ich mich erinnern kann, hast du nur eine Aushilfsstelle“, fügte sie überspitzt an, wobei ihre Mimik genau das widerspiegelte, was sie über den Job ihrer Tochter dachte.

      „Jaaa, aber nicht mehr lange“, gab Marie-Claire prompt zurück.

      Ihre

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