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Wagner verdrehte die Augen. Der Friseur, der behutsam vorging, sprühte nichtsdestoweniger so lange, bis die Haare feucht genug waren. Da komme ich mir ja vor, als wäre mein Kopf eine Topfpflanze… „So kann ich einfach besser schneide, als wenn’s ganz trocke iss.“ Wagner nickte. Am besten nicht widersprechen, lag ja außerhalb seines Kompetenzbereichs.

      „Unn um die Ohre rum…? Halb bedeckt oder alles freimache?“

      „Wäre gut, wenn Sie die Ohren dran lassen: Spässel!“

      Der Friseur lachte vergnügt auf.

      „Alla guut.“

      Er kämmte und schnitt, schob Haare hin und her, veränderte den Blickwinkel, schnitt weiter. Doch der Gast blieb stumm. Nun sah er, dass er sogar die Augen geschlossen hielt. Der wird mir doch am Ende nicht hier einschlafen…Da hörte Wagner vorderpfälzischen Singsang:

      „Ä Tässel Kaffee?“

      „Nein, danke. Ich war vorhin in Schramm’s Kaffeerösterei.“ „Ich dacht’ nur, weil Sie so still sinn.“ „Ach, wissen Sie…, wenn man beruflich immer so viel reden muss…“ „Wem sagen Sie das? Des iss ganz klar, dess versteh ich. Da iss mer als froh, wenn man mal sei Ruh hat. Nur manche Kunde, die erwarten einfach, dass man sich nach Ihne erkundigt und sich unnerhält.“ „Da können Sie bei mir beruhigt sein.“

      Langsam wurde er doch ein wenig neugierig. Würd’ mich schon mal interessieren, was der beruflich so macht…

      „Da haben Sie einen Beruf, in dem man viel rede muss? Ich versteh…“

      Was könnt’n der sei: Anwalt?

      „Manchmal bin ich auch lange Zeit still und grübele nur.“

      „Und dafür wer’n Sie bezahlt? Dess deed mer aah gefalle! Ich grübel als auch viel, aber mir zahlt niemand was dafür. Das iss der Unnerschied.“ „Die Lebensschicksale sind sehr unterschiedlich.“ „So isses!“

      Der Friseur setzte mit einer letzten Schnittoffensive gleichsam das Fanal zum Endspurt.

      „Ein paar graue hab ich schon entdeckt. Iss abber net schlimm.“

      Wagner zog die Mundwinkel nach unten.

      „Wenn’s Ihne mit der Zeit mit dem Grau zuviel wird, kummen Se halt zu mir und dann mache mer die Packung druff.“

      Der Friseur raunte unter dem Siegel der Verschwiegenheit:

      „Sie wer’n lache, dess machen immer mehr Männer. Oft die, wo mer’s gaar net denkt.“

      „Ich fürchte, ich werde nicht lachen.“

      Der Friseur holte flugs einen großen Spiegel und zeigte seinem Neukunden das Resultat seiner Haarpflegekunst.

      „Zufriede?“

      „Sehr gut!“

      In diesem Moment ging die Tür auf, ein Mann trat ein. Wagner blickte in den Spiegel und war bestürzt.

      „Was machen S I E hier?!?“

      Hinter ihm stand Kommissar Rehles, der Mann, den ihm sein berufliches Schicksal vor einigen Jahren über den Weg führte.

      „Äh, ich wollte gerade zum Friseur.“

      Rehles starrte vor sich hin, als habe er sich in der Zimmertür eines Büros geirrt. Dann deutete er auf die vielen Haare am Boden:

      „Das hat sich aber gelohnt.“

      Wagner verzog das Gesicht. Dann nahm er den Haarschopf seines Mitarbeiters in den Blick. Diese verwegene Locke gehört auch mal ab.

      „Ich dachte, Oksana schneidet Ihnen die Haare?“

      „Das war einmal. Seit sie im Eiscafé Roma arbeitet…“ Wagner bewegte sich zur Kasse. „Stimmt so.“ „Danke!“ An der Tür drehte Wagner sich noch einmal zu Rehles um. „Bin jetzt schon gespannt, wie Sie am Montag aussehen...“

      4. Kapitel

      Die Buchhalterin zog eine kleine Fingerkappe über und blätterte in unglaublichem Tempo durch einen Stapel Rechnungen. Zwischendrin seufzte sie auf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nochmals. Was war ihr hier durch die Lappen gegangen? Mit der Zeit kannte sie ihre Pappenheimer. Habe ich doch alles sofort angelegt, ’Debitorenbuchhaltung’, da bin ich mir sicher. Sie überflog Daten, Rechnungs- und Kundennummern, warf einen Blick auf Beträge, addierte Summen, verglich mit Ausdrucken, ächzte tief auf. Verflixt. Ein typischer Montag. Irgendetwas lief da schief, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Diese Migräne! Und dann hatte man ihr auch noch diese langhaarige Kollegin vor die Nase gehockt, die sich oft genug unter dem Deckmantel ihrer Mähne merkwürdig nach vorn beugte, so als fische sie etwas aus der Schublade heraus. Bestimmt Kuchen, jede Wette. Na, warte. Nein…., nicht gleich… Die soll sich erst mal in Sicherheit wiegen und dann, schnelle ich hervor und erwische sie! Dann heißt es: Gibst du mir sofort die Hälfte vom Kuchen ab oder du kannst was erleben! Erpressung? Nein, nein. So etwas nennt man ’christlich teilen’. Ich muss sie zu einer guten Tat zwingen, da tue ich sogar noch ein gutes Werk. Sie lachte boshaft in sich hinein. Wo drückt sie sich jetzt wieder rum? Mittagspause? Ist doch längst vorbei. Na, soll mir recht sein. Sonst fängt sie wieder an mit ihrem: ’Glaaben-se, ich hann widder sooo de Lääde!’-Gejammer: De Lääde? Habe ich am Anfang gar nicht verstanden, was sie meinte. Die gehen einfach davon aus, dass jeder aus der Pfalz stammt. ’De Lääde’. Sie äffte es nach und wurde von mächtigem Unwillen erfüllt. Was für ein grauenhafter Ausdruck! Sollte man verbieten! Wenn die das jeden Tag dreimal sagt – sie überschlug in Gedanken die Zahlen – dann sind das, bei ungefähr 220 Arbeitstagen im Jahr, schon 660. Rechnen wir mit 20 Jahren bis zur Rente…, dann muss ich mir das – sie holte ihren Taschenrechner – 13.200 Mal anhören! Ziehen wir vielleicht noch die Grippe ab, die sie jedes Jahr nimmt, dann sind das…ungefähr: 12.275! Nun war sie selbst erschüttert über die ungeheuer große Zahl. Und das soll ich mir bieten lassen? Fast 13.000 Mal diesen hässlichen Ausdruck! Ich glaube, die kann das gar nicht mehr kontrollieren. Auf einmal kam ihr eine Idee: Nehmen wir an, für jedes Mal, wo ihr das rausrutscht, bekomme ich ein Stück Kuchen! Dann sind das 12.275 Stück Kuchen…, ein Kuchen hat, sagen wir mal, 12 Stücke: Durch 12 = 1023 ganze Kuchen! Nun wurde sie fast von einem Rausch erfasst. 1023 Kuchen…, verteilt über 20 Jahre, das heißt: 50 Kuchen im Jahr…, 50 an 220, abzüglich Grippe…= 200 Tagen, zirka, das bedeutet…Sie blickte triumphal auf: Sie muss mir jeden Donnerstag einen Kuchen bringen! Das Telefon klingelte schrill und laut, sie erschrak: „Ja, bitte?“ „Kommen Sie bitte herauf, der Chef will Sie sprechen.“ „Ich komme…“

      5. Kapitel

      Auf demselben Flur, gleich neben dem Aufgang zur Treppe, fand sich zu rechter Hand der Eingang zum Personalbüro. Herr Unterberger strich sich durch sein graumeliertes gewelltes Haar und versuchte sich zu konzentrieren:

      „Moment e mohl. Sahn mer mohl…“

      Er zückte seinen Filzstift und überprüfte die Urlaubsliste, die der Auszubildende ihm vorlegte. Dann hob er das Blatt in die Höhe, so als müsse er es erst im Licht der Sonne betrachten. Die mit Schreibmaschine und Lineal gezogene Umrandung war doch auf dieser Seite…, mal sehen. Nein, obwohl…, vielleicht 1 Millimeter?

      Er holte sein Lineal aus der Schublade, legte an und maß ab. Er fühlte eine gewisse Gereiztheit in sich aufsteigen. Darüber befragt, hätte er wohl kaum zu sagen vermocht, woher sie stamme und auf wen oder was sie sich richte. Er beugte sich nach links und linste in den Nebenraum:

      „Herr W a d l e?“

      Der Auszubildende, der inzwischen an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war, schrak auf und blickte nach links. Herr Unterberger winkte ihn herbei, bewegte sich dabei unruhig hin und her, wie er immer zu tun pflegte, wenn jene schwer zu steuernde Gereiztheit von ihm Besitz ergriff. Er zeigte auf das Blatt, gerade so als ob dieses ein Corpus Delicti sei. Dann wedelte er mit ihm hin und her:

      „So kann

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