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Augen wie Gras und Meer. M.T.W. Mayer
Читать онлайн.Название Augen wie Gras und Meer
Год выпуска 0
isbn 9783738036176
Автор произведения M.T.W. Mayer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Da er nicht antwortete, drehte Milia sich um. Sicher war sie geflohen, entweder zum Hafen, um auf dem Meer Schutz zu suchen oder aufs Land, wo keine Gebäude sie erschlagen könnte. Wenn sie nur wüsste, wohin sie gegangen war!
Ebo packte seine Herrin am Arm und schleuderte sie zu Boden. Alle Luft entwich schlagartig aus ihren Lungen. „Du bleibst hier.“
Als Milia in die schwarzen Augen des Sklaven blickte, bekam sie eine schreckliche Angst. Wieso auch immer er wollte, dass sie blieb, seiner Entschlossenheit und Kälte hatte sie nichts entgegenzusetzen. Er würde ihr nicht helfen.
Ein Schluchzen drang über ihre Lippen. „Bitte … wo ist sie?“ Vor ihren Augen erschien ein Bild ihrer Schwester, wie sie mit zerschlagenen Knochen und verdrehten Gliedern unter den Überresten des Hauses begraben war, das noch vor kurzem ihr sicheres Heim war.
Ebo blickte ungerührt zu Aret und Fara. Seine tiefe Stimme gab keinerlei Emotionen preis. „Sie ist weg. Mit Sia. Nach dem ersten Beben hat sie die kleine Herrin gepackt und weggebracht. In Sicherheit, hat sie gesagt.“ Milia atmete erleichtert auf. Langsam kam sie wieder auf die Füße, stolperte unsicher, klopfte sich etwas Staub von ihren Kleidern und versuchte erneut, auf den Sklaven einzuwirken.
„Ich muss sie finden. Sie ist meine Schwester. Und nun werde ich gehen und sie suchen.“ Milia würde sich doch nicht von einem Sklaven daran hindern lassen, Dora zu finden! Er hatte vielmehr ihren Befehlen zu gehorchen. Gerade als sie wieder dabei war, den Haufen aus Steinen herabzusteigen, packte Ebo sie und drückte sie wieder auf das Geröll. Diesmal jedoch ließ er seine gesunde Hand schwer auf ihrer Schulter liegen.
„Wir warten.“ Mit diesen Worten deutete er auf Aret und Fara, die schmerzhaft voneinander Abschied nahmen. Offensichtlich hatte er versucht, seine Schwester aus dem Geröll zu befreien, doch hatte auch er die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens erkannt. Nun ruhten Arets aufgeschürfte Hände wieder in denen seiner Schwester, während sie mit Tränen in den Augen zu ihm sprach. Es schien so, als wolle sie ihn trösten. Langsam streifte sie sich eine Kette über den Kopf und gab sie Aret. Milia konnte nicht genau erkennen, welcher Anhänger an dem dünnen Lederband befestigt war. Sie hatte dem Schuckstück nie Beachtung geschenkt. Aret blickte kurz zu ihr und Ebo, dann wandte er sich wieder seiner Schwester zu und nickte. Fara lächelte ihn an, strich ihm sanft über die Wange – und starb. Ihr Kopf sank leblos zurück, die Hand glitt an der Brust ihres Bruders nach unten. Aret weinte. Verzweifelt zuckten seine Schultern, während er seine Schwester zum Abschied in den Arm nahm und ihr liebevoll Worte zuflüsterte, deren Bedeutung Milia nicht kannte.
Still war es, schrecklich still. Dann kam ein weiteres Beben, lang und stark und todbringend wie alle zuvor. Das Geröll unter Milia rutschte weg, Ebo verlor sein Gleichgewicht und stürzte. Als es endlich vorbei war, schmerzte Milias ganzer Körper. Mit den Steinen war sie nach unten gerutscht und kämpfte sich nun mühsam aus dem Schutt, der sie teilweise begrub. Ebo half ihr so gut es mit seiner Verletzung möglich war. Als Milia endlich befreit war, trat Aret zu ihnen. Offensichtlich war er im Innenhof bei Fara sicher gewesen, er zeigte keine Verletzungen außer leichten Abschürfungen auf der Haut. Sein Gesicht war von Trauer gezeichnet, die Augen kalt auf Milia gerichtet. In seiner Hand hielt er die Kette von Fara, augenscheinlich ein Amulett. Stumm überreichte er es Ebo, der es ehrfurchtsvoll annahm und sich umlegte.
„Wir müssen los“, sagte Aret. Er und Ebo packten Milia und zogen sie durch die zerstörte Stadt. Sie brachten sie zum Hafen.
Milia verstand nicht, was Aret sagte, aber er schien zu fluchen. Er und Ebo hatten sie in die Nähe des Hafens gebracht, an eine schwer einsehbare Stelle. Leise und unwirklich drang Geschrei zu ihnen vor, Hilferufe, Ausdruck von Verzweiflung, Angst. Milia zitterte am ganzen Körper. Ein kleines Boot trieb vor ihnen im Wasser. Es war wohl nahe am Ufer befestigt gewesen, doch die Erdbeben hatten die Verankerung gelöst. Aret entledigte sich seiner schmutzigen Tunika und stieg in die kalten Fluten. Kraftvoll schwamm er zu dem kleinen Boot und hievte sich geschickt hinein. Sein brauner Körper hob sich unwirklich schön vom blau des Meeres ab. Aret nahm ein Paddel, das sich im Boot befand, und manövrierte das Gefährt zu Ebo und Milia, die noch immer am Ufer auf ihn warteten.
Während sie von ihren Sklaven durch Atlantis gezogen wurde, war ihr klar geworden, dass sie ihnen ausgeliefert war. Aus irgendeinem Grund hatten sie beschlossen, sie fort zu bringen. Jedoch lag es nicht in ihrer Macht, wohin sie gelangen würde oder wie.
Sie war ihre Gefangene.
Doch aus welchem Grund?
Milia hätte versuchen können, zu fliehen, aber ihr war klar, dass Ebo sie nicht gehen lassen würde. Trotz seines verletzten linken Armes war er um einiges stärker als die junge Atlanterin.
Kurz bevor Aret das Ufer erreichte, rollte erneut ein heftiges Erdbeben über die Insel. Auf dem Weg zu dieser Stelle hatte der Boden immer wieder bedrohlich geschwankt, jedoch nicht so heftig wie die ersten Male. Dieses Beben jedoch war stärker. Milia ließ sich sofort auf den Boden fallen, wobei sie sich ihre Knie aufschürfte. Ebo kniete neben sie und schützte sie mit seinem großen Körper vor womöglich herabfallenden Dingen ab. Wollten diese Beben denn nie aufhören?
Noch während die Erde sich aufzubäumen schien, packte Aret Milia, zog sie durch das flache Wasser und hob sie in das Boot. Ihre Tunika wurde nass und schwer, ihre Schritte waren unsicher, der Boden schwankte unaufhörlich. Das Meer schien sich seinen Bewegungen angepasst zu haben. Aufgebracht ließ es das Boot auf und ab schaukeln. Nur mit Mühe zogen sich nun auch Ebo und Aret zu ihr. Besonders der schwarze Sklave keuchte. Seine Verletzungen setzten ihm sehr zu. Auch Aret rang erschöpft nach Luft, doch dann packte er schon zwei Paddel und begann, das Boot von der Küste fortzutragen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, die Sonne brannte ungehindert auf die drei Insassen und das Meer wollte sich nicht beruhigen.
Als sich Milia in dem Holzboot umsah, bemerkte sie, dass es gut ausgestattet war. Es gab einige Behältnisse mit Frischwasser, etwas Nahrung, Decken und Umhänge. Langsam begriff sie, dass ihre Entführung schon länger geplant war. Doch von wem? Aus welchem Grund?
Ein ohrenbetäubendes Krachen und Tosen unterbrach sie in ihren Gedanken. Erschrocken blickten alle drei zur Insel, die sich bis eben majestätisch aus dem Meer erhob. Sie sank! Oder stieg der Meeresspiegel? Erst brachen Teile von ihr, die Ausläufer zum Hafen, ab und wurden von der See in die Tiefe gezogen. Doch nach und nach brach sie ganz auseinander. Häuser wurden zerrissen, Menschen rannten panisch umher um letztendlich doch das Schicksal von Atlantis zu teilen und ins Meer geschleudert zu werden. Die Wellen wurden immer höher, peitschten gegen die verwundete Stadt, griffen nach ihr und trieben das kleine Boot mal hierhin und mal dorthin, vor und zurück, nach oben und unten. Milia versuchte zu schreien – vielleicht schrie sie auch – aber sie hörte nichts. Da war nur Lärm. Unvorstellbarer, unbegreiflich, zerstörerischer Lärm.
Und mit der Stadt versank Milias Glaube an die Götter im Meer.
Trostlos und erschöpft sah Milia aufs Meer hinaus. Trümmer trieben umher, Menschen schrien um Hilfe. Doch niemand half. Aret paddelte unermüdlich weiter von ihnen weg, Richtung Süden. Auch wenn eine starke Strömung von der untergegangenen Stadt ausging, die das Boot immer wieder in eine andere Richtung zog, gab er nicht auf. Milia hatte nicht die Kraft, ihn zu bitten, den Menschen zu helfen. Sie zwang sich zu atmen, zu trinken, wenn Ebo ihr etwas Wasser reichte und sich nicht der Finsternis in ihrem Inneren hinzugeben, die drohte von ihr Besitz zu ergreifen, seit die Erdbeben ihre Heimat zerstört hatten.
Einige der Menschen, die hilflos im Meer trieben, hatten das Boot bemerkt und versucht, sich ihm zu nähern. Sie riefen und wollten auf sich aufmerksam machen. Doch Arets Blick war unbeweglich auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, während er paddelte. Und schon bald gaben die Atlanter auf. Die Schreie wurden leiser und weniger. Milia wollte nicht darüber nachdenken, ob sie sie irgendwann nicht mehr hörte, weil sie zu weit weg waren, oder weil die Menschen nicht mehr um Hilfe flehen konnten.
Dann kam eine dumpfe Stille, die Milia umfing. Sie wirkte unwirklich, womöglich, weil die letzten Stunden nur Lärm, Tosen und Geschrei an ihre Ohren gedrungen waren. Mit der